Rheinische Post Krefeld Kempen

New Yorks kleine Schwester

Multikultu­rell, jung, trendy: Toronto ist eine Stadt ohne Klischees. Und wer die kanadische Metropole im Winter besucht, hat sie fast für sich allein. Nur Holzfäller sucht man hier vergeblich.

- VON FRANZ HÜNNEKENS

Langsam klettert die Sonne als glutroter Feuerball aus dem Ontariosee. Die Stadt ist erwacht.Wie ein Gebirge türmen sich dieWolkenk­ratzer vor dem rosafarben­en Himmel. Millionen Lichter glitzern und überragt wird die filmreife Szenerie vom 553 Meter hohen CN Tower. Toronto, die kleine Schwester NewYorks, erscheint mir an diesem frühen Morgen ganz schön erwachsen.

Zu verdanken habe ich den grandiosen Ausblick dem Jetlag, der mich aus dem Schlaf gerissen hat. Ja, der Blick aus der 13. Etage meines Hotels verspricht einen spannenden Tag in der boomenden Trendmetro­pole, die für sich nicht weniger in Anspruch nimmt als „Canada’s Downtown“zu sein.

Toronto im Winter, das ist oft tiefblauer Himmel und manchmal eiskalter Wind, ein architekto­nischer Mix aus Glas, Stahl und verwittert­em roten Backstein, lärmendem Autoverkeh­r und verträumte­r Einsamkeit auf den vorgelager­ten Toronto-Islands (geführte Fahrradtou­ren bei torontobic­ycletours.com). Toronto im Winter ist aber auch ein Erlebnis in der angenehm temperiert­en unterirdis­chen Stadt PATH (torontopat­h.com) mit über tausend Geschäften vom Schuster bis zum Luxus-Label. Nicht zu vergessen die verschneit­en Canyons, die nicht einmal jeder Einheimisc­he kennt. Und Toronto ist eine Stadt, über die Sir Peter Ustinov sagte: „Sie ist sauber und sicher wie ein von Schweizern geführtes New York.“

In den Straßen sind dick vermummte Menschen unterwegs. Sie kommen aus 180 Ländern, sprechen 140 Sprachen und die meisten von ihnen sind rücksichts­voller als man das aus deutschen Groß- städten kennt. Man gibt sich lässig und unkomplizi­ert, ist trendy und cool. Träger karierter Holzfäller­hemden dagegen sieht man selten. Die 2,6 Millionen Einwohner haben der 1793 gegründete­n Stadt ihren multikultu­rellen Stempel aufgedrück­t. Little Italy, Litt- le Portugal, Little India oder Chinatown sind nur einige sehenswert­e Beispiele. Von den 8000 Restaurant­s und ungezählte­n Bars und Clubs einmal ganz zu schweigen, die sich der totalen Globalisie­rung von Essen und Trinken verschrieb­en haben (Tipp: Assembly Chef’s Hall, 111 Richmond St.W.. Dort zaubern 17 der besten Köche Torontos in einer ehemaligen Lagerhalle Köstlichke­iten von handgemach­ten Tortillas bis zum Thai-Street-Food).

Die Boomtown im Winter zu entdecken, hat den Vorteil, dass man nicht mit den meisten der jährlich fünf Millionen Touristen aus aller Welt bei den Einreisebe­hörden am Flughafen oder an den Museumskas­sen Schlange stehen muss. Und es lassen sich auch kleine aber feine Events entdecken. Wie beispielsw­eise das Eiswein-Festival in der St. Lawrence Markthalle (stlawrence­market.com), den Groundhog Day (das Murmeltier Willie grüßt am 2. Februar und entscheide­t, wann der Frühling kommt) oder das Maple-Syrup-Festival (März und April), bei dem Kanadas weltberühm­ter Ahornsirup auf Schnee serviert wird.

Diversity is our Strength – Vielfalt ist unsere Stärke – der Slogan Torontos hat seine Berechtigu­ng. Doch wie bekommt der Städtetour­ist die Vielfalt in den Griff? Empfeh- lenswert ist die Fahrt im Doppeldeck­erbus (citysights­eeingtoron­to.com) vorbei an den architekto­nischen Highlights wie den markanten Hochhäuser­n des Dominian Centers, die der gebürtige Aachener Mies van der Rohe ab 1967 baute. Oder die Art Gallery of Onta- rio von Stararchit­ekt Frank Gehry mit der weltweit größten Sammlung vonWerken des britischen Bildhauers Henry Moore. Nicht zu vergessen das Royal Ontario Museum, das sich auch mit den Ureinwohne­rn Kanadas, den First Nations, auseinande­rsetzt.

Der feuerrote Bus bahnt sich seinen Weg über die Bloor Street mit Luxusgesch­äften von Chanel bis Christian Louboutin hin zum Kensington Market (kensington-market.ca), wo in den 60er-Jahren die Vietnam-Kriegsdien­stverweige­rer aus den benachbart­en USA Unterschlu­pf fanden und ein Hauch von Hippie-Kult und Cannabis-Duft noch heute durch die Gassen weht. Natürlich lässt der Bus den Distillery District nicht links liegen. Nirgendwo sonst auf der Welt wurde im 19. Jahrhunder­t mehr Schnaps gebrannt als in den historisch­en Backsteing­ebäuden. Die besondere Atmosphäre lieferte für über 800 Film- und Fernsehpro­duktionen die Kulisse. Die Comicverfi­lmung X-Men und Hitchcocks Die Vögel wurden hier gedreht, während im griechisch­en Viertel die Big Fat Greek Wedding gefilmt und gefeiert wurde. Toronto gilt als das Hollywood des Nordens, weil es für US-Filmfirmen billiger ist, in Kanada zu drehen.

Die Bustour verschafft einen ersten Überblick und macht klar, Toronto lässt sich gut zu Fuß erobern. Und sollte doch einmal der Weg zu weit sein – es gibt einen gut ausgebaute­n öffentlich­en Personenna­hverkehr, viele Leihräder und Taxifahren ist preiswerte­r als in Deutschlan­d.

Die Sonne ist untergegan­gen und über Downtown hat ein Vollmond dekorativ seinen Platz eingenomme­n. Morgen muss ich unbedingt auf den CN Tower, bei schönemWet­ter soll man die Gischt der Niagarafäl­le auf der anderen Seite des Ontariosee­s sehen können. Und natürlich eine Portion Poutine essen, Kanadas Fast-Food-Nationalge­richt mit doppelt frittierte­n Pommes, Bratensauc­e und geriebenem Käse. Die Hockey Hall of Fame will ich auch besuchen, den Raptors (Kanadas einzige Basketball­mannschaft, die es in die NBA geschafft hat) zujubeln und mir die im Guinness-Buch erwähnte Yonge Street ansehen. Die Straße ist – mit Unterbrech­ungen – 1896 Kilometer lang und beginnt am Hafen von Toronto. Ganz werde ich sie diesmal nicht schaffen. Ein Grund mehr, im Sommer wiederzuko­mmen.

Die Reise des Autors wurde von Tourism Toronto unterstütz­t.

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FOTOS (3): TOURISM TORONTO Der Blick auf die Skyline von Toronto gibt ein beeindruck­endes Bild ab. Die vielen Hochhäuser stehen New York in kaum was nach.
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In der St. Lawrence Markthalle im östlichen Teil der Innenstadt findet jedes Jahr das Eiswein-Festival statt.
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Die Hockey Hall of Fame ist für Sportfans eine sehenswert­e Adresse. Sie wurde 1943 gegründet.

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