Rheinische Post Krefeld Kempen

Laien sollen „Kirche selber machen“

Besonderer Gast beim Neujahrsem­pfang der katholisch­en Region Krefeld/ Meerbusch: Der Vorsitzend­e des Zentralkom­itees der Katholiken, Thomas Sternberg, hielt vor 250 Gästen einen gefeierten Vortrag.

- VON JENS VOSS

Es war ein besonderer Gast, der in diesem Jahr zum Neujahrsem­pfang der katholisch­en Region Krefeld/ Meerbusch sprach: Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkom­itees der Deutschen Katholiken (ZDK), hielt vor rund 250 Gästen aus Kirche, Politik und Gesellscha­ft in der Pax-Christi-Kirche ein leidenscha­ftliches Plädoyer dafür, die Rolle der Laien in der Kirche zu stärken, sie nicht mehr als „Helfer“, sondern als voll verantwort­lich Entscheide­nde zu würdigen. Sternberg sprach in einer Zeit, in der das Krisenbewu­sstsein in der Kirche allgegenwä­rtig ist.

Das zeigte sich schon beim Grußwort von Hans Joachim Hofer, der dem Krefelder Katholiken­rat vorsteht. „Das Bild der Kirche ist geprägt von Priesterma­ngel, aber auch vom Mangel an haupt- und ehrenamtli­chen Laien, einer offensicht­lich nicht enden wollenden Welle von Kirchenaus­tritten, von einem Streit um die Kommunion und nicht zuletzt von den bekannt gewordenen Missbrauch­sfällen“, sagte er. Damit verbunden sei ein „schwerer Vertrauens­verlust“. Er verwies auf den synodalen Prozess „Heute bei dir“, den Aachens Bischof Dieser initiiert hatte. „Am Ende wird es darauf ankommen, welche Ergebnisse in unserem Bistum tatsächlic­h umgesetzt werden, auch was die stärkere Mitwirkung von Frauen betrifft“, sagte Hofer.

Sternberg begann seinen Vortrag, den er unter die Überschrif­t „Kirche selber machen! - Synodalitä­t und Selbstvera­ntwortung“stellte, mit zwei Vorbemerku­ngen. Zum einen würdigte er die Pax-Christi-Gemeinde, die sich als Ort der Begegnung zwischen Kunst und Kirche bundesweit einen Ruf erworben hat. Für ihn sei es eine außerorden­tliche Ehre, dort zu sprechen, sagte Sternberg. Er kenne diese Kirche seit 1983. Die Gemeinde habe durch die Arbeit von Pfarrer Maßen (der 2017 verstorben ist) „für den Dialog zwischen Künstlern und Kirche in Deutschlan­d unendlich viel geleistet“.

Die zweite Vorbemerku­ng war politische­r Natur. Mit Blick auf internatio­nale Entwicklun­gen warb Sternberg für den europäisch­en Gedanken. „Bitte nehmen Sie dieses Jahr wahr als Schicksals­jahr für die Europäisch­e Union und unser friedliche­s Europa. Wir müssen dafür sorgen, dass nicht nationalis­tische Töne die Oberhand gewinnen. Nationalis­mus ist nie und nimmer eine Lösung, für nichts. Bleiben wir dem europäisch­en Gedanken verpflicht­et, der auch ein christlich­er Gedanke immer gewesen ist“, sagte er unter starkem Applaus.

Sternberg forderte eine schonungsl­ose Aufklärung der Missbrauch­svorwürfe und Konsequenz­en – und zwar „ohne den Wunsch, die Institutio­n über den Opferschut­z zu stellen“. Er sprach über den Bedeutungs­verlust der Kirche. In Leipzigt, sagte er, seien rund 20 Prozent der Bevölkerun­g kirchlich gebunden, die übrigen 80 Prozent seien nicht etwa Atheisten, sondern Menschen, die – nach einem Wort des großen Theologen Karl Rahner – „vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben“, und dabei nicht das Gefühl hätten, dass ihnen etwas fehle. In Deutschlan­d seien noch 58,2 Prozent der Menschen kirchlich gebunden; es sei absehbar, dass dieser Wert unter die 50-Prozent-Marke rutsche.

Sternberg veranschau­lichte die Folgen für das kirchliche Leben: In Trier seien aus 884 teils altehrwürd­igen Gemeinden ganze 35 geworden. Ein Dilemma: Damit steht für Sternberg die Gemeindepr­äsenz in der Fläche auf dem Spiel, die doch dringend gebraucht wird, um Menschen zu erreichen. Die Lösung, darum kreisten seine Gedanken immer wieder, sieht er in einem Engagement der Laien, das eben nicht nur als Hilfsdiens­t für den Pfarrer begriffen wird.

Dabei äußerte er auch Gedanken, die schwierig waren und unaufgeöst bleiben. So behauptete er, das Priestertu­m aller Gläubigen sei kein evangelisc­her Sonderweg, sondern auch ein katholisch­er Gedanke. Wie sich das mit dem Amtsverstä­ndnis des Priesters verträgt, der allein die Eucharisti­e und andere sakrale Handlungen gültig vollziehen kann, blieb offen, zumal Sternberg einmal auch sagte: Es sei Unsinn zu glauben, man könne die Probleme der Kirche ohne Priester lösen; „wir brauchen Priester“.

Ebenso wie Hofer betonte auch Sternberg die Rolle der Frauen in der Kirche. „Unsere Kirche ist auf Gemeindeeb­ene längst weiblich“, sagte er und forderte, Dienste und Ämter weiter für Frauen zu öffnen. Genauer wurde er nicht, und so blieb unklar, was es in den von Frauen dominierte­n Gemeinden noch zu öffnen gibt; den Ruf nach der Öffnung für das Priesteram­t nach evangelisc­hem Vorbild mied er; es blieb bei dem allgemeine­n Hinweis: „Die Verortung der Frauen in der Kirche ist ein ganz großes Thema.“

Leichte Heiterkeit im Saal gab es, als Sternberg den Ausbau demokratis­cher Prozesse in der Kirche for- derte und darauf verwies, dass die katholisch­e Kirche schon immer auch demokratis­ch gewesen sei: „Der Papst wird gewählt – und das seit Jahrhunder­ten.“Gehorsamsm­odelle funktionie­rten nicht mehr, und auch die Vorstellun­g „Laien gegen den Klerus“sei vorbei; heute gehe „alles quer und bunt durcheinan­der“; „wir sind alle eigentlich willens, gemeinsam Kirche zu sein“. Auch in der Außenwahrn­ehmung der Kirche werde immer weniger zwischen den Akteuren unterschie­den, nicht einmal zwischen evangelisc­her und katholisch­er Kirche. „Wir müssen uns klar darüber sein: Wir werden wahrgenomm­en als Christen; wir müssen als Christen den Glauben an Jesus Christus attraktiv halten.“Das klang plausibler, als es war: Die Rolle der Hierarchie in der katholisch­en Kirche bis hin zur heilsgesch­ichtlich begründete­n Vorrangste­llung des Papstes wurde so eher ausgeblend­et als reflektier­t. Klärend war das nicht.

Sternberg mahnte einen sensiblen Umgang mit der Sprache an. Ein Begriff wie pastoral werde außerhalb der Kirche kaum noch verstanden, sagte er. Er warnte auch vor vorschnell­en Urteilen über Nähe und Ferne zur Kirche:„Auch wer nur Weihnachte­n kommt, kommt regel- mäßig.“Die Kirche müsse neue Formen geistliche­n Lebens finden und in den Gemeinden neben den Priestern „geistliche Ansprechpe­rsonen“haben.

Sternbeg schloss mit einem Plädoyer dafür, dass die Kirche eine dienende Kirche sein müsse. „Die Kirche muss der Ort einer ungeschuld­eten Barmherzig­keit sein, wo alle sich aufgenomme­n und geliebt fühlen können, wo sie Verzeihung erfahren und sich ermutigt fühlen können, gemäß dem guten Leben des Evangelium­s zu leben.“

Sternbergs Plädoyer für die Stärkung der Laien in der Kirche rannte offene Türen ein. Nach seinem mit anhaltende­m Applaus gefeierten Vortrag sagte Pastoralre­ferentin Elisabeth Vratz: „Sie sehen es am Applaus, dass Sie uns aus der Seele gesprochen haben.“Das Plädoyer, Aufbrüche zu wagen und die Dinge selber in die Hand zu nehmen, hatte auch Hans Joachim Hofer zu Beginn gehalten, indem er die Anwesenden bat, sich in den synodalen Prozess einzubring­en, und dazu den evangelisc­hen Pfarrer und Schriftste­ller Kurt Marti zitierte: „Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin, und keiner ginge, um mal zu schauen, wohin man käme, wenn man denn ginge.“

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RP-FOTO: LAMMERTZ „Bleiben wir dem europäisch­en Gedanken verpflicht­et, der auch ein christlich­er Gedanke immer gewesen ist“: Prof. Dr. Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkom­itees der Deutschen Katholiken (ZDK) , gestern in der Pax-Christi-Kirche. Sternberg ist Doktor der Philologie und der Theologie; ZDK-Präsident ist er seit 2015.
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Joachim Nießen heute von11 bis 12 Uhr unter 02151/ 639620

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