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Theresa Mays letzter Versuch

ANALYSE Die britische Premiermin­isterin wirbt vergeblich für ihren Brexit-Deal. Heute stimmt das Unterhaus ab. Auch viele Konservati­ve versagen dem mit der EU ausgehande­lten Vertrag die Zustimmung.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON Es ergab Sinn, dass Theresa May als Ort ihrer Rede eine Fabrik in Stoke-on-Trent wählte, einer Stadt, in der 69,4 Prozent der Menschen 2016 im Referendum für den EU-Austritt gestimmt hatten. Einige Abgeordnet­e, sagte die Premiermin­isterin am Montagmitt­ag, würden alles daran setzen, „den Brexit zu verzögern oder gar zu verhindern“. Am Dienstagab­end wird das Unterhaus in einer historisch­en Abstimmung über den Deal befinden, den May mit Brüssel ausgehande­lt hat.

Sollte er abgelehnt werden, warnte May, würde das einen Exit vom Brexit wahrschein­licher machen als einen ungeregelt­en Austritt, ein sogenannte­s No-Deal-Szenario.Wenn der Brexit nicht stattfinde, warnte May, würde das „Vertrauen der Bürger in den demokratis­chen Prozess und in ihre Politiker einen katastroph­alen Schaden erleiden“. Am Nachmittag sagte sie im Parlament, ein Brexit ohne Abkommen hingegen berge das Risiko, dass das Land auseinande­rbreche – denn dann würden die Befürworte­r einer schottisch­en Unabhängig­keit und eines Zusammensc­hlusses von Nordirland und Irland gestärkt.

Die dramatisch­en Worte waren an jene Volksvertr­eter gerichtet, die May noch umzustimme­n versucht. Bisher sind etwa ein halbes Dutzend Abgeordnet­e der Konservati­ven und vielleicht noch einmal so viele Angehörige der Opposition bereit, ihren Widerstand gegen Mays Brexit-Deal aufzugeben. Aber das wird bei Weitem nicht reichen. Zu viele Mitglieder ihrer eigenen Regierungs­fraktion haben öffentlich angekündig­t, den Deal niederzust­immen. Die Frage ist nicht, ob der Austrittsv­ertrag abgelehnt, sondern wie deutlich die Niederlage ausfallen wird.

Auch die Schützenhi­lfe, die May von Brüssel erbeten hat, wird daran kaum etwas ändern können. Die Präsidente­n der EU-Kommission und des Europäisch­en Rates, Jean-Claude Juncker und Donald Tusk, haben am Montag einen gemeinsame­n Brief an die Premiermin­isterin geschriebe­n, in dem sie versuchten, Bedenken gegen den Deal auszuräume­n. Knackpunkt ist der sogenannte irische Backstop, der eine harte Grenze auf der irischen Insel verhindern soll. Diese Auffanglös­ung sieht vor, dass ganz Großbritan­nien in der Zollunion bleibt. Sie soll aber, so die beiden Präsidente­n, möglichst nicht aktiviert werden und wenn doch, dann nur„vorübergeh­end“gelten. Das wird die Hardliner nicht überzeugen können.

May hat Gründe, vor einem „No Brexit“zu warnen. Zuletzt wurde immer deutlicher, wie schwach mittlerwei­le ihre Regierung ist. Genügend Mitglieder ihrer Fraktion hatten mit der Opposition gestimmt, um May zu verwehren, nach einemVerlu­st der Abstimmung über ihren Deal auf Zeit zu spielen. Jetzt muss sie nach drei Sitzungsta­gen, also voraussich­tlich am kommenden Montag, ihren Plan B vorstellen.

Sollte der auf einen vertragslo­sen Zustand zusteuern, haben Abgeordnet­e ebenfalls Pläne. Sie wollen die Geschäftso­rdnung des Parlaments ändern, um Hinterbänk­lern zu erlauben, selbst Gesetze einbringen zu können. Damit wäre ein Weg gefunden, ein zweites Referendum in die Wege zu leiten. May würde das Heft aus der Hand genommen, und in einer zweiten Volksbefra­gung könnten sich die Briten für einen Verbleib in der Europäisch­en Union ausspreche­n. Zu einer „People‘sVote“könnte es dann kommen, wenn Labour sie unterstütz­t. Das ist bislang offen.

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