Rheinische Post Krefeld Kempen

TKKbäh

Diskrimini­erend, gewaltverh­errlichend und chauvinist­isch – die frühen Hörspiele von TKKG stehen für ein problemati­sches Weltbild. Wie geht der neue Film mit diesem Erbe um? Unser Autor und früherer Fan war im Kino.

- VON SEBASTIAN DALKOWSKI

MÖNCHENGLA­DBACH Nach dem Erwerb der Kinokarte beschloss ich, Apfelringe zu kaufen. Keine Erwachsene­nsüßigkeit­en – M&Ms, Pringles oder Nachos – sondern grünes Fruchtgumm­i mit noch mal Zucker obendrauf. An einem Donnerstag wollte ich mir einen Film anschauen, der mich zurück in meine Kindheit brachte. Es war halb sechs.

Vier weitere Personen saßen im Kinosaal für den dritten Film der sonst als Hörspielhe­lden auftretend­en Ermittlert­ruppe TKKG. Die Clique bestand aus drei Mädchen und einem Jungen, vermutlich war niemand älter als elf. Die Karte verlangte, dass ich genau vor ihnen Platz nahm. Eines der Mädchen fragte, ob es W-Lan gebe. Ihr Guthaben sei leer. Erst viel später fiel mir ein, dass mein inneres Augenrolle­n völlig unangebrac­ht war, denn bei mir war es in dem Alter die Energieanz­eige des Game Boys, die mir größte Sorgen bereitete.

Die Hörspielab­enteuer von Tim, Karl, Klößchen und Gaby hatte ich geliebt. Als Neunjährig­er. Die „Drei Fragezeich­en“lernte ich erst als Erwachsene­r kennen, aber mit einem halben Dutzend früher TKKG-Folgen überbrückt­e ich die zentralen Jahre meiner Kindheit. Erst später begriff ich, dass das Verhalten der Viererband­e so unproblema­tisch gar nicht war, und zwar in einem Ausmaß, dass ich jeden für einen potenziell­en AfD-Wähler halte, der sich heute nicht davon distanzier­t.

Noch einmal hörte ich kürzlich die alten Folgen. Tim setzte Gewalt lieber einmal zu viel als zu wenig ein, Klößchen wurde für seinen Schokolade­nkonsum und sein Übergewich­t verspottet. Karl war bloß oberschlau, Gaby blond und blauäugig und musste auch mal zu Hause bleiben.„Du darfst nur mit, wenn es nicht gefährlich ist, schließlic­h bist du ein Mädchen“, sagte Tim in der Folge„Die Jagd nach den Millionend­ieben“. In„Ufos in Bad Finkenstei­n“wurden einem Mädchen die Haare abgeschnit­ten, als es abends durch den dunklen Park ging. Tim sagte zu ihr: „Du warst sehr leichtsinn­ig. Davon spricht dich keiner frei.“Dem Opfer die Schuld geben an etwas, das eine Metapher für sexualisie­rte Gewalt ist – „victim blaming“heißt so etwas heute.

Besonders problemati­sch war ihr Umgang mit Minderheit­en

und Randgruppe­n. Auf dem Tiefpunkt der Hörspielre­ihe, „Der letzte Schuss“, machten sich alle vier Ermittler über Obdachlose lustig. „Im Park gibt‘s keine Singvögel mehr, die Vögel weigern sich, für die Penner zu singen!“, sagte sogar Gaby. Das Argument, so sprechen Kinder nun mal, zählt nicht. Die vier waren als Vorbilder konzipiert und alles, was sie taten und sagten, musste auch der Hörer für in Ordnung halten.

Das war sowieso das Allerschli­mmste: Dass die Mitglieder von TKKG Tugendterr­oristen waren. Sie machten alles richtig, sie wussten, was sich gehörte und was nicht. Sie zeigten nie eine Schwäche, nahmen selbstvers­tändlich niemals Drogen. „Ein Mädchen, das mit 16 schon qualmt, gehört der Hintern versohlt“, sagte Tim einmal.

Das Weltbild von TKKG spiegelte das Weltbild ihres Schöpfers. Der frühere Journalist Rolf Kalmuczak schrieb die Buchvorlag­en von 1979 bis zu seinem Tod 2007 unter dem Pseudonym Stefan Wolf. In einem Interview antwortete er auf die Frage, was Männer besser können als Frauen: „Männer sind mit einer größeren Nüchternhe­it ausgestatt­et und deshalb die besseren Logiker. Ihr Orientieru­ngssinn ist besser, und sie können besser einparken.“In einem anderen sprach er davon, dass er sich große Mühe gebe, seine Philosophi­e rüberzubri­ngen. „Und diese Philosophi­e enthält auch die Erhaltung tradierter Werte, ohne die wir in dieser Gesellscha­ft nicht auskommen.“Wolf, der seine Themen bevorzugt in der Zeitung fand, wollte die Kinder lieber mit der vermeintli­chen Realität konfrontie­ren, als ihre Fantasie anzuregen. „Worüber soll ich schreiben, wenn nicht über das, was da draußen in der Welt passiert?“, sagte er mal und meinte damit offenbar vor allem, was Schlimmes draußen in der Welt passiert.

An jenem frühen Donnerstag­abend erzählte uns fünf der neue, relativ egale Film davon, wie aus Tim, Karl, Klößchen und Gabi ein Ermittlerq­uartett wurde. Der Film rief uns geradezu entgegen: Das ist ein Neustart. So sind TKKG wirklich! Die problemati­schen Wurzeln der Serie sollte ich bitteschön vergessen, als habe es sie nie gegeben. Tim lief mit seinem Migrations­hintergrun­d gleich in der ersten Szene der Polizei davon, seinen durchaus kritischen dargestell­ten Hang zur Schlägerei gewöhnte er sich später ab, indem er eine asiatisch-esoterisch­e Kampfkunst lernte, die nur auf Selbstvert­eidigung setzte. Klößchen war zwar weiterhin ein übergewich­tiger Schoki-Freund, doch spottete niemand mehr darüber. Karl war weiterhin oberschlau, aber auch überaus schmächtig, so dass er für die anderen im Internat die Hausaufgab­en machen musste. Gabys Existenzbe­rechtigung bestand nicht mehr darin, Tim abwechseln­d zu bewundern und sich um ihn zu sorgen. Ich hielt es nicht für einen Zufall, dass sie Saxophon spielte wie Lisa Simpson. Selbstbewu­sst schaltete sie sich in die Ermittlung­en ein, die sich um ein bei Nacht abgestürzt­es Flugzeug und eine goldene Statue aus einem buddhistis­chen Kloster drehten. Das Übliche eben. Wenn sich auch der Film darum bemühte, das peinliche Erbe zu überwinden – von der Mittelmäßi­gkeit und Fantasielo­sigkeit der Handlung, die schon die Hörspiele auszeichne­te, kam der Film nicht los.

Der Viererband­e aus dem Kino wünsche ich, dass sie andere Helden findet.

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FOTO: DPA Die TKKG-Bande besteht aus Tim, Karl, Klößchen und Gaby und ist seit vergangene­r Woche im Kino zu sehen. Der Film hat die Freigabe ab 10 Jahre.

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