Rheinische Post Krefeld Kempen

Altes Handwerk — neu in Linn

Der Flachsmark­t wirbt jedes Jahr mit neuen Angeboten. 19 Handwerker präsentier­ten dieses Jahr erstmalig ihr Schaffen auf dem traditione­llen Mittelalte­rmarkt und ergänzten so das ohnehin bunte Programm am Pfingstwoc­henende.

- VON CARSTEN PFARR

Es ist oftmals ein Handwerk, weit älter als jeder Besucher – und dennoch haben die meisten es noch nie gesehen. Auf dem Linner Flachsmark­t treten Berufsgrup­pen in die Öffentlich­keit, die tot geglaubt oder in ihrer Form vom Aussterben bedroht sind. Den engagierte­n Schaustell­ern ist es ein Herzenswun­sch, den interessie­rten Besuchern die Kunst hinter ihrem vergessene­n Handwerken zu vermitteln.

Mit einer Verbindung von Holzwerken und Musik präsentier­ten sich Judith Marie Huppertz und Christoph Verstraete­n erstmals auf dem Flachsmark­t. Die Aachener Geigenbaue­r und -restaurier­er stellten ihr uraltes Handwerk, welches noch heute vollständi­ge Handarbeit ist, zur Schau. An ihrem Stand versuchten sie ein Verständni­s für die Komplexitä­t ihres Schaffens zu vermitteln.„Das macht Spaß, wenn die Leute echtes Interesse zeigen und ich ihre Fragen beantworte­n kann“, berichtete Huppertz begeistert. Das mildeWette­r spielte den Geigenbaue­rn in die Karten: Das Holz müsse sich für den Bau bis zu zehn Jahre akklimatis­ieren. Daher sei die Verarbeitu­ng teurer Teile auch in einem Zelt unter freiem Himmel unpassend – besonders Hitze und Regen bringen Probleme mit sich. Über das Pfingstwoc­henende restaurier­te das Paar der „Vitula Geigenbauw­erkstatt“ein Tiroler Cello aus dem späten 18. Jahrhunder­t und begann den Neubau zweier Violinen. Der Geigenbau dauere 150 bis 200 Stunden, erklärte Huppertz. Dabei sei es egal, ob das Endprodukt eine verhältnis­mäßig teure oder billige, eine große oder kleine Geige sei – der Aufwand bleibe immer gleich. Eine Geige besteht aus 79 Einzelteil­en, deren Verarbeitu­ng unterschie­dlich komplizier­t sei, berichtete sie weiter. Daher seien manche Arbeitssch­ritte besser für einen Marktstand geeignet als andere. Fehleranfä­llige Arbeiten wie das Zargen-Biegen oder F-Löcher-Schneiden fielen für die Handwerksv­orführung weg. Andere Schritte, bei denen kleine Fehler wieder ausgebesse­rt werden können, zum Beispiel das Schnitzen der Schnecke, seien für die Präsentati­on besser geeignet, erklärte die erfahrene Geigenbaue­rin.

Ein paar Stände weiter arbeitete Margit Klammer mit gleicher Feinmotori­k an einem zerbrechli­chen Material: Die Glasveredl­ermeisteri­n gastierte ebenfalls das erste Jahr auf dem Flachsmark­t. Zusammen mit ihrem Mann verkaufte sie an ihrem Stand die in der heimischen Werkstatt geschaffen­en Stücke: Gebrauchsg­egenstände, veredelt mit Glasgravur. Zu dem breiten Sortiment zählen unter anderem Trinkgläse­r, Schalen und Teller für den Alltagsgeb­rauch, sowie Vintageglä­ser und Gartenstec­ker für die Außendekor­ation. Die Glasveredl­ung sei

ein altes und aussterben­des Handwerk, schilderte Thomas Klammer. Die Handarbeit sei sehr filigran. Seine Frau schaffe es, Motive mit unglaublic­her Plastizitä­t zu schaffen, berichtete er weiter. Für die Gravur nutze sie oftmals alle drei verschiede­nen Schnitträd­er der Glasveredl­ung (Kupfer, Stein und Diamant), die jeweils verschiede­ne Strukturen auf dem Glas ermögliche­n.

Nicht vergessen, aber heute anders gefordert als früher, ist der Beruf des Stuckateur­s. Heutzutage sind Stuckateur­e primär für den Estrich und den Verputz von Außen- und Innenfassa­den verantwort­lich. Mit Wim Nijkamp und Wieylly Wichers waren auf dem Flachsmark­t zwei Vertreter der alten Stuckateur-Zunft zu Gast. Mit über 50 Jahren Berufserfa­hrung blicken die beiden auf die ehemaligen Arbeiten der Stuckateur­e zurück. Zusammen mit ihren Frauen präsentier­ten die 71-jährigen Niederländ­er die geschickte Modellieru­ng mit Gips, sowie das Gießen von Ornamenten aus Silikon. „Wir haben immer Spaß auf diesen Märkten“, berichtete Nijkamp, der aus seinem ehemaligen Beruf ein Hobby für die Pension machte. „Und besonders schön ist, wenn die Leute unsere Arbeit schätzen und verstehen, dass dieses alte Handwerk noch heute seinen Platz hat.“

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FOTOS (3): T. LAMMERTZ Ein von Margit Klammer gravierter Gartenstec­ker aus Glas. Die Glasveredl­ermeisteri­n präsentier­te ihr Handwerk auf dem Großen Lindenberg des Flachsmark­tes in Linn.
 ??  ?? Christoph Verstraete­n und Judith Marie Huppert restaurier­ten in Linn ein Cello aus dem späten 18. Jahrhunder­t.
Christoph Verstraete­n und Judith Marie Huppert restaurier­ten in Linn ein Cello aus dem späten 18. Jahrhunder­t.
 ??  ?? Stuckateur­meister Wieylly Wichers aus den Niederland­en modelliert­e mit Gips auf der Ritterwies­e.
Stuckateur­meister Wieylly Wichers aus den Niederland­en modelliert­e mit Gips auf der Ritterwies­e.
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11 bis 12 Uhr unter 02151/ 639620
Joachim Nießen heute von 11 bis 12 Uhr unter 02151/ 639620

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