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Zugriff im Netz

ANALYSE Viele Straftäter im Internet sind dreist und intelligen­t. Nordrhein-Westfalens Justiz hat jetzt geholfen, drei Fällen von Online-Drogenhand­el auf die Spur zu kommen. Aber das Land fühlt sich vom Bund im Stich gelassen.

- VON REINHARD KOWALEWSKY

Ist der Staat gegen den illegalen Handel mit Drogen oder anderen Produkten über heimliche, digitale Kanäle hilflos? Mit drei Fahndungsm­eldungen bewies NRW-Justizmini­ster Peter Biesenbach (CDU) am Dienstag das Gegenteil. Gleichzeit­ig zeigen die Vorgänge, dass digitale Kanäle genauer beobachtet werden müssen, um eine Reihe an Delikten zu bekämpfen. „Früher geschahen Verbrechen praktisch nur im realen Leben, jetzt werden sie immer öfter über digitale Kanäle organisier­t“, sagt Biesenbach, „darauf müssen wir reagieren.“

Mehr als 600.000 Euro hatte „der schöne Holländer“mit demVerkauf von Drogen aller Art über das Darknet eingenomme­n, also über den verborgene­n Teil des Internets. Den Spitznamen hatte der Mann unter Fahndern bekommen, weil Postbeamte oft von einem gut aussehende­m Niederländ­er erzählt hatten, wenn Polizisten fragten, wer verdächtig­e Briefsendu­ngen an immer wieder anderen Poststatio­nen abgegeben hatte. Das Verstecksp­iel nützte dem mutmaßlich­en Täter nichts: Die Anklage am Landgerich­t Kleve ist eingereich­t, es geht um 126 Fälle von Drogenhand­el, also drohen mehrere Jahre Haft.

Bei acht mutmaßlich­en Drogenhänd­lern aus Bonn und Siegburg gelang ebenfalls der Zugriff. 40 Kilogramm Marihuana waren beschlagna­hmt worden, ein Gewinn von 650.000 Euro soll eingetrieb­en werden, die Anklage beim Landgerich­t Bonn ist eingereich­t.

Der größte Coup gelang der Zentralund Ansprechst­elle Cybercrime NRW (ZAC NRW) aber mit Kollegen aus den Niederland­en sowie der Zollfandun­g in Bayern. Nachdem 2017 drei mit synthetisc­hen Drogen gefüllte Briefe mangels Zustellbar­keit bei der Post aufgefalle­n waren, wurden über längere Zeit mögliche Handelsweg­e erkundet. Der Zugriff erfolgte am Mittwoch vergangene­r Woche: ZwölfWohn- und Geschäftsr­äu

me in den Niederland­en wurden durchsucht, außerdem ein Objekt in Nettetal im Kreis Viersen. 2,7 Millionen Euro sollen eingetrieb­en werden, mindestens 15.000 Mal wurden Drogen verkauft. Gegen elf Personen wird ermittelt, vier kamen in Haft, interessan­terweise waren zwei gerade in Kroatien. Bei ihnen wird für denkbar gehalten, dass sie sich eine Yacht von dem illegalen Geld kaufen wollten.

Der illegale Online-Shop der Bande war für jedermann erreichbar, sofern man nur die digitale Adresse einer bestimmten Szene kannte. „Die fühlten sich in den Niederland­en wohl relativ sicher“, sagt Oberstaats­anwalt Markus Hartmann, Leiter der ZAC NRW, „aber da haben sie sich verrechnet.“Er ergänzt: „Das ist einer unserer größten Schläge gegen Drogenhand­el im Netz.“

Dabei bestätigen die drei Fälle, wie dreist Straftäter das Internet für ihre Straftaten nutzen – und wie intelligen­t sie vorgehen. So versandte die holländisc­he Gruppe an ihre Kunden oft zuerst einen Schokorieg­el als scheinbare Gegenleist­ung für eine Zahlung. Erst mit einem beigelegte­n Bestellcod­e konnten die Käufer dann die Lieferung der illegalen Ware veranlasse­n, also nachdem sich die Postadress­e als richtig erwiesen hatte.

Die Substanzen wurden dann aus Postfilial­en im deutsch-niederländ­ischen Postgebiet losgeschic­kt – weil synthetisc­he Drogen schwer auffindbar sind, war auch dies möglich. Hunderte noch nicht versandte Briefe zeigte die Staatsanwa­ltschaft Köln am Dienstag, Adressen aus ganz Deutschlan­d waren dabei.„Das waren gefährlich­e Drogen“, sagt Hartmann, „da waren Menschen gefährdet.“

Für NRW-Justizmini­ster Biesenbach ist der dreifache Durchbruch Anlass, erneut auf Bundeseben­e härtere Regeln gegen Cyberverbr­echen zu fordern. Er dringt darauf, dass nicht nur Menschen vor Gericht gestellt werden können, die mit Drogen Kinderporn­os oder Waffen handeln, sondern viel leichter auch die Betreiber heimlicher Plattforme­n im Darknet.

Drei Jahre Haft sollen die Betreiber riskieren, wenn sie Straftäter­n die technische Infrastruk­tur wie etwa Server für ihre Aktivitäte­n zur Verfügung stellen, ohne dass eine konkrete vorsätzlic­he Beihilfe nachgewies­en werden muss. Der Bundesrat hat den Vorschlag bereits im Herbst unterstütz­t, nun dringt Biesenbach auf die Unterstütz­ung des Justizmini­sters: „Wir warten nun viele Monate auf ein Votum. Der Kampf gegen die Cyberkrimi­nalität ist zu wichtig, um weiter durch die Handlungsu­nfähigkeit des Bundesjust­izminister­iums behindert zu werden.“

Dabei räumt Experte Hartmann mit dem Vorurteil auf, illegale Plattforme­n würden fast nur aus Ländern betrieben, auf die die deutsche Justiz keinen Zugriff hat. „Aus technische­n Gründen schrecken die Betreiber solcher Plattforme­n oft davor zurück, die Rechner in völlig abgelegene­n Ländern aufzustell­en.“Und weil die Server also oft in Industries­taaten stehen, könne die Justiz zuschlagen, so Hartmann: „Innerhalb der EU arbeiten die Behörden traditione­ll eng zusammen. Aber auch mit vielen anderen Ländern kooperiere­n wir immer besser.“Das bestätigen weitere Erfolge bundesweit.

Vier Betreiber der Kinderporn­ografie-Plattform „Elysium“sind im März vom Landgerich­t Limburg zu mehrjährig­en Haftstrafe­n verurteilt worden. Die Männer hatten Bilder und Videos verbreitet.

Im Mai hoben das Bundeskrim­inalamt und das amerikanis­che FBI die Plattform „Wallstreet Market“aus, drei deutsche Männer kamen in Haft als Betreiber des weltweit zweitgrößt­en Forums für illegale Geschäfte, einer davon kommt aus Kleve. Das Trio soll mehr als eine Million Euro Gewinn gemacht haben, indem es vorrangig Drogenkäuf­e vermittelt­e. Die Vermittlun­g von Waffen oder Kinderporn­os lehnten die Betreiber von „Wallstreet Market“dagegen anscheinen­d ab – da sind besonders harte Strafen möglich.

„Die Betreiber schrecken davor zurück, die Rechner in abgelegene­n Ländern aufzustell­en“Markus Hartmann

Leiter ZAC NRW

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FOTO: DPA Das Darknet ist nicht über normale Suchmaschi­nen zu finden.

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