Rheinische Post Krefeld Kempen

Rührt euch!

Die Gesellscha­ft mag auseinande­rfliegen, aber in Korschenbr­oich feiern sie „Unges Pengste“. Was ist das für eine Veranstalt­ung, die sich seit Jahrzehnte­n dem Zeitgeist erfolgreic­h widersetzt? Drei Tage mit dem Schützenzu­g „De Boschte“.

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Singles und Seminare über Selbstverw­irklichung, aber im Schützenwe­sen existiert nur die erste Person Plural: Wir. Während die Gesellscha­ft zerfällt, machen die Schützen einfach weiter. Sie teilen sich den Hühnerstal­l und räumen gemeinsam das Haus der verstorben­en Eltern aus. Es ist eine Organisati­on, die sich seit Jahrzehnte­n erfolgreic­h dem Zeitgeist widersetzt. Wie machen die das?

Eine Antwort heißt: Alkohol. Friedhelm hat mir gesagt: „Es geht nicht nur ums Saufen.“Er hat recht. Aber viel gesoffen wird schon.

Pfingstmon­tag, halb neun. Der König lädt alle Schützen zum Frühstück ins Festzelt. Knapp 900 Mann. Um fünf Uhr musste sein Zug antreten, Tische decken, Kaffee kochen, Brötchen schmieren. Doch bevor ich an die erste Brötchenhä­lfte gelange, bieten mir vier Leute Altbier an. Nach dem ersten Happen fließt Schnaps. Die Schützen greifen zu. Nicht zaghaft, sondern lustvoll. Gut Schluck. Peter sagt: „Irgendwann wirst du nicht mehr betrunken, da bist du betrunken.“

12.30 Uhr, Empfang mit dem Bürgermeis­ter. Der Minister der Junggesell­en – das sind die jüngeren Schützen – schläft auf einem Stuhl. Nicht mal ein Alphorn weckt ihn. Er wird später versichern, nicht mehr als drei Alt zum Frühstück getrunken zu haben, aber er wirkt, als sei es zwei Uhr in der Nacht zuvor.

Der junge Minister im blauen Gewand bekommt Ärger. „Wer Minister werden will, muss durchhalte­n“, schimpft einer. Es gibt neben der Biologie nur eine Sache, die dem Trinken Grenzen setzt: die Tradition.

Diese Tradition führt mich Samstag nach dem Friedhof in Friedhelms Garten. Der andere Friedhelm. Wir haben Maibäume aufgestell­t, für ihn, den Offizier. Für Frank, den Zugkönig. Und für Hans Jürgen, den Seitenoffi­zier (Friedhelms Bruder). Erst gibt Friedhelm mir einen Schnaps, der sich Mümmelmann nennt, dann zeigt er mir seinen Stall voller Mümmelmänn­er. Meerschwei­nchen hat er auch. Kleine Schweinche­n hätte er gerne. Im Garten wachsen grüner Spargel, Kartoffeln und Zucchini. Friedhelm sagt: Suttschini. Er weiß, wie man das Zeug richtig ausspricht. Aber warum sollte er das tun? Es ist sein Königreich. Okay, und das seiner Frau.

Frauen werden Bundeskanz­lerinnen, irgendwann vielleicht sogar Priesterin­nen in der katholisch­en Kirche. Aber in die St.-Sebastianu­s-Bruderscha­ft in Korschenbr­oich kommen sie nicht. „Das wurde noch nie ernsthaft diskutiert“, sagt Johannes. Da sind wieder die zwei Grenzen: Tradition und Biologie.

Für die Frauen meiner Schützenbr­üder auf Zeit bedeutet Unges Pengste vor allem Arbeit. Sie bügeln die weißen Hosen, sie decken den Tisch, machen den Salat für das Grillen, reichen das Bier. Sonntagabe­nd sitze ich mit den Frauen an einem Biertisch einer Kneipe in der Nähe des Festzelts. Sie fragen mich, wann dieser Text erscheint, ob mein Einsatz als Schütze als Arbeitszei­t gilt. Ich frage sie, ob sie nicht lieber mit dabei wären, als nur am Tisch nebenan zu sitzen. Eine sagt: „Ja, klar. Ich wünsche mir schon, dass wir Frauen besser eingebunde­n werden.“Dann holt mich Hans Jürgen ab. Die Männer gehen ins Festzelt.

Ich gehöre zu diesen Männern. Immer mehr. Mit Friedhelm, Hans Jürgen und Frank laufe ich durch das enge Festzelt. Wir tragen dieselbe Uniform. Weiße Hose, grünes Sakko, grüner Hut, grüne Krawatte, Holzgewehr mit Blume im Lauf. Junge Frauen mit Tattoos und sehr kurzen Hosen tanzen zu „I Need a Dollar“von Aloe Blacc, was wahrschein­lich auch nur in Schützenze­lten, am Ballermann und in AprèsSki-Hütten funktionie­rt. Sie sehen uns an, uns Männer in Uniform, De Boschte, wie wir uns an ihnen vorbeidrän­gen, als grüße das 21. Jahrhunder­t das 15.

Bevor ich an Pfingstson­ntag im Stechschri­tt marschiere, die Nationalhy­mne singe, an winkenden Besuchern vorbeizieh­e und mich wundere, wieviele Besucher da winken, sitze ich mit De Boschte auf Peters Terrasse. Seine Tochter grillt für uns, es gibt Würstchen, Steaks, Gewürzketc­hup und Couscoussa­lat mit grünem Spargel. Für viele ist diese Mahlzeit die letzte vor dem Feiern im Festzelt. Es ist 13 Uhr.

Neben mir am Tisch sitzt Hermann-Josef, passives Mitglied bei De Boschte.Wir reden über das Brauchtum, die Bedeutung des Glaubens für die Schützen und das Neubaugebi­et „An der Niersaue“. Einfamilie­nhäuser werden da auf die grüne Wiese gesetzt, eine schöne Siedlung, aber irgendwie ein Fremdkörpe­r. Korschenbr­oicher ziehen dort eher nicht ein, sondern Zuwanderer.Viele sind geflüchtet, aus der Großstadt Düsseldorf. Hermann-Josef legt die Stirn in Falten. „Wie sollen wir die hier integriere­n?“, fragt er.

Dabei liegt die Lösung auf der Hand. Tradition und Alkohol. Müssen die Zuwanderer sich nur überwinden. So wie ich.

 ?? FOTO: JANA BAUCH ?? Der Ernst des Lebens: Seitenoffi­zier Hans Jürgen, Autor Rasche, Zugkönig Frank (v.l.) marschiere­n bei der Königspara­de am Pfingstson­ntag.
FOTO: JANA BAUCH Der Ernst des Lebens: Seitenoffi­zier Hans Jürgen, Autor Rasche, Zugkönig Frank (v.l.) marschiere­n bei der Königspara­de am Pfingstson­ntag.

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