Rheinische Post Krefeld Kempen

Von Parteifreu­nden umzingelt

Ein halbes Jahr nach ihrer Wahl zur CDU-Chefin muss Annegret Kramp-Karrenbaue­r um ihren Rückhalt in der Partei fürchten.

- VON MICHAEL BRÖCKER UND EVA QUADBECK

BERLIN Signale in der Politik sind nicht immer einfach zu deuten. Was hat Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus (CDU) bezweckt, als er erklärte, dass Annegret Kramp-Karrenbaue­r die nächste Kanzlerkan­didatin wird? Wollte er ihr wirklich nur den Rücken stärken? Wollte er die Werte-Union in die Schranken weisen, die zuvor eine Urwahl des nächsten CDU-Kanzlerkan­didaten gefordert hatte? Oder wollte er ein Signal an den Chef der NRW-CDU, Armin Laschet, senden, dass dieser Kramp-Karrenbaue­r mit seinen öffentlich­en Äußerungen nicht in die Enge treiben und eigene Ambitionen zurückstel­len solle?

Fakt jedenfalls ist, dass Brinkhaus’ Kollegen im Fraktionsv­orstand der Union überrascht waren über den Vorstoß des Chefs. Abgesproch­en war er nicht. Mit der öffentlich­en Einlassung habe Brinkhaus das Thema Kanzlerkan­didatur erst groß gemacht und Kramp-Karrenbaue­r geschadet, heißt es. „Wenn sich Brinkhaus schon vor Kramp-Karrenbaue­r werfen muss, ist die Not wohl groß.“Kramp-Karrenbaue­r werde seit der Europawahl in der Fraktion „beäugt“, sagt ein anderer. Aber eigentlich spiele die Frage, ob sie Kanzlerkan­didatin werden solle, gerade keine große Rolle.

Wie man die heikle K-Frage profession­ell beantworte­t, machte am Dienstag der hessische Ministerpr­äsident Volker Bouffier vor: „Selbstvers­tändlich hat die Parteivors­itzende das Erstzugrif­fsrecht auf die Kanzlerkan­didatur. Das war immer so, und das bleibt auch so“, sagte der Parteivize unserer Redaktion. Er fügte auch noch den Hinweis an, dass „wir alles Weitere zur gegebenen Zeit entscheide­n“. Und damit ist auch gesagt, dass ein Zugriffsre­cht auf die Kanzlerkan­didatur eben nicht ohne breiten Rückhalt in Parteiführ­ung und Landesverb­änden in Anspruch genommen werden kann.

Genau dieser notwendige Rückhalt bröckelt zurzeit für Kramp-Karrenbaue­r. Dies wiederum erklärt, warum die Debatte um die Kanzlerkan­didatur mit jeder noch so kleinen Äußerung sofort an Fahrt aufnimmt. Auch wenn diese„völlig irre“(Friedrich Merz) ist.

Im liberalen Flügel der Partei ist die Enttäuschu­ng über Kramp-Karrenbaue­rs als „Rechtsruck“wahrgenomm­enen Kurs groß. Von den konservati­veren Kräften bekam sie zunächst Zuspruch, insbesonde­re nach dem Werkstattg­espräch zur Migrations­politik im Januar. Nun aber herrscht insgesamt Unzufriede­nheit bis hin zu Bestürzung über den Europawahl­kampf, den Umgang mit dem Rezo-Video oder auch die Äußerungen zur Meinungsma­che im Netz. Aber nur einzelne Stimmen behaupten: Die kann es nicht. Der Mehrheitst­enor in der Partei lautet: Die muss jetzt liefern.

Bei derVorstan­dsklausur nach der Europawahl hatte die Parteiführ­ung ihr den Rücken gestärkt. Nach Angaben von Teilnehmer­n waren es auch die dramatisch­en Ereignisse um den Rücktritt von Andrea Nahles als Partei- und Fraktionsc­hefin der SPD, die in der Union zum Schließen der Reihen führten.

Mit Erstaunen nahmen die Abgeordnet­en in der vergangene­n Fraktionss­itzung zur Kenntnis, dass sich Kramp-Karrenbaue­r zum Klima-Thema nicht positionie­rte. Es war Merkel, die dazu referierte und Maßnahmen ankündigte, die nicht mehr „Pillepalle“sein dürften.

Unter scharfer Beobachtun­g steht die Parteizent­rale. Kramp-Karrenbaue­rs Vertrauter Nico Lange, der eigentlich Bundesgesc­häftsführe­r werden sollte, wird für eine Reihe von Pannen verantwort­lich gemacht. Sechs Kreisverbä­nde der Jungen Union in Hessen forderten von Kramp-Karrenbaue­r, auf die Nominierun­g Langes als neuer Bundesgesc­häftsführe­r zu verzichten. Zugleich kritisiert­en sie den Berater der Parteichef­in massiv. Dieser sei „einer der Hauptveran­twortliche­n für das dilettanti­sche und nicht entschuldb­are Verhalten der Berliner Parteizent­rale rund um die Europawahl“, heißt es in einem Dringlichk­eitsantrag für den Landespart­eitag der Jungen Union am vergangene­n Wochenende, der von der Sitzungsle­itung aus Geschäftso­rdnungsgrü­nden nicht zur Abstimmung gestellt wurde. Unterschri­eben haben den Antrag die JU-Kreisverbä­nde Rheingau-Taunus, Offenbach-Land, Lahn-Dill, Darmstadt, Odenwald und Limburg. „Wenn Nico Lange neuer Bundesgesc­häftsführe­r der CDU werden würde, würde man den Bock zum Gärtner machen und das Wohl der Partei fahrlässig riskieren“, heißt es weiter. Lange sei verantwort­lich für die Wahlanalys­e, die in der Nacht der Europawahl an den Bundesvors­tand der CDU verschickt wurde und in der unter anderem das schlechte Abschneide­n der CDU bei der Europawahl der Jungen Union zugeschrie­ben wurde.

„Hiermit hat Lange nicht nur unter Beweis gestellt, dass die Qualität politische­r Analysen aus dem Konrad-Adenauer-Haus massiv zu hinterfrag­en ist, sondern auch, dass er die Partei, die er demnächst als Bundesgesc­häftsführe­r mitführen soll, nicht kennt.“

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FOTOS: DPA (5), REUTERS | GRAFIK: ALICIA PODTSCHASK­E
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