Rheinische Post Krefeld Kempen

Historisch­e Datenbank: wichtigste Quelle über jüdische Krefelder

Die Schicksale der jüdischen Bürger, die zwischen 1800 und 1945 in Krefeld gelebt haben, sind über eine historisch­e Datenbank abrufbar. 2800 Personen sind erfasst.

- VON PETRA DIEDERICHS

Das Schicksal der Familie Finkelstei­n ist der Historiker­in Claudia Flümann besonders ans Herz gegangen: Vater Hans Finkelstei­n war als promoviert­er Chemiker Leiter einer Forschungs­abteilung der Chemischen Fabriken in Uerdingen (später IG Farben). Die Familie war evangelisc­h – und ist doch von den Nazis zerstört worden. „Evangelisc­h seit 1895, davor jüdisch“stand in seiner Meldekarte. Obwohl Finkelstei­ns Geburt mit 1895 vermerkt und auch seine Frau evangelisc­h war, hat er seine Stellung verloren. „Er galt als Jude, wurde mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt. Die Söhne hat man vom Moltke geschmisse­n. Das hat er nicht verkraftet. 1938 hat er sich das Leben genommen“, berichtet Flümann. Die Spur der Söhne verliert sich in Arbeitslag­ern.

Die Familie war eine von zahlreiche­n Überraschu­ngen, sagt Flümann, die sie bei ihrer Forschungs­arbeit erlebt hat: Sie hat die „Historisch­e Datenbank Jüdische Krefelder“bearbeitet, ein Verzeichni­s das nicht nur die überarbeit­ete Auflistung der Opfer des Nationalso­zialismus ist, die 1981 unter enormem Zeitdruck im Vorfeld des Besuchs der ehemaligen jüdischen Krefelder in der Seidenstad­t entstanden war. „Diese Datenbank ist mehr als eine Opferliste“, betont Ingrid Schupetta, ehemalige Leiterin der NS-Dokumentat­ionsstelle, die das langwierig­e Projekt auf den Weg gebracht hat, „damit kein Wissen verloren geht.“

2800 Einzelpers­onen, die zwischen dem Beginn des 19. Jahrhunder­ts und dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Krefeld gelebt haben, sind in der Datenbank erfasst. Nicht alle haben einer jüdischen Gemeinde angehört, auch andersoder nichtgläub­ige Menschen jüdischer Abstammung sind von den Nazis verfolgt worden. Die Opfer, die bisher bekannt waren, hatten Geschwiste­r, Eltern, Großeltern, die nicht umgekommen sind, die vielleicht emigriert oder untergetau­cht oder in Krefeld begraben sind. Sie sind Teil der Stadtgesch­ichte. Flümann erlebt, dass die Enkelgener­ation immer häufiger etwas über ihre Vorfahren wissen will.

Die Datenbank ist ein historisch­es Findbuch, in dem aus Datenschut­zgründen nur Name/Geburtsnam­e, Vorname, Geburtsort und -datum aufgeführt sind. Wer mehr wissen will, wendet sich an die NS-Dokumentat­ionsstelle, dort wird sein Anliegen überprüft. Denn hinterlegt sind Lebensgesc­hichten, private Daten und berufliche Werdegänge: ganze Leben. „Ziel der Nazis war es, die Menschen nur noch als Nummer zu sehen. Ihre Geschichte wird ihnen hier wiedergege­ben“, sagt NS-Dok-Leiterin Sandra Franz.

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FOTO: T.LAMMERTZ Die Villa Merländer an der Friedrich-Ebert-Straße, war einst das Wohnhaus des jüdischen Kaufmanns Richard Merländer. Heute ist es Sitz der NS-Dokumentat­ionsstelle. Hier wird an das Leben der jüdischen Krefelder erinnert. Die neue Historisch­e Datenbank zur Familien- und wissenscha­ftlichen Forschung wurde von der Kulturstif­tung der Sparkasse unterstütz­t.
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FOTO: PED Eine typische Meldekarte für Krefelder Bürger. Solche Dokumente sind auch in der Datenbank gespeicher­t.

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