Rheinische Post Krefeld Kempen
Als der Wagen nicht kam
Es wurden teils einmalige, teils laufende Kontakte mit den verschiedensten Personen aus allen Teilen Deutschlands und auch Österreichs gepflogen, mit Staatsrechtlern, Theologen, Politikern, Arbeiterführern und Männern aus derWirtschaft. Ein engerer Kern von Freunden arbeitete ständig in Berlin zusammen. Hierzu gehörten außer Moltke und Yorck Legationsrat Adam von Trott zu Solz, der Sohn des letzten königl. preußischen Kultusministers aus Hessen, der Konsistorialrat und spätere Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier, ein Vertreter des württembergischen Landesbischofs Wurm, sodann von sozialdemokratischen Freunden der frühere Reichstagsabgeordnete Carlo Mierendorff, Ende 1943 durch Bombenangriff umgekommen, Theo Haubach, Professor Erwin Reichwein und in der letzten Zeit der auch mit Gördeler in Fühlung befindliche ehemalige Reichstagsabgeordnete Julius Leber. Auch ich hatte die Ehre, zu dieser kleinen Gruppe zu gehören, die eine Art von ständigem Arbeitsausschuss darstellte. An Auswärtigen gehörten hierzu ferner Lukaschek und der Generalstabsoffizier und spätere schleswig-holsteinische Ministerpräsident Steltzer in Oslo. Wir trafen uns laufend in abendlichen Zusammenkünften etwa einmal wöchentlich, meist bei Yorck im Hause Hortensienstraße 50 am Bahnhof Lichterfelde- West, öfter auch bei Moltke bis zur Ausbombung von dessen hübschem pied à terre in einer früheren Chauffeurwohnung in Nähe Lützowplatz, bei Trott auf der Podbielskiallee in Dahlem oder auch bei mir im Hause.
Das noch heute von Gräfin Yorck
bewohnte Haus war ein Einfamilienhaus in stiller Straße, das für diskrete Zusammenkünfte zwar besser geeignet war als eine Etagenwohnung, dessen Eingang jedoch von den Nachbarn aus übersehbar war. Bei dem vielen Verkehr von Yorcks waren die Nachbarn aber an das stete Aus- und Eingehen von Leuten dort gewöhnt. Trotzdem benutzten unsere sozialdemokratischen Freunde öfter einen rückwärtigen unauffälligen Eingang durch den Garten. Sie waren im Konzentrationslager gewesen und daher hellsichtig in Bezug auf Gefahren. Wer die Hitlerzeit nicht erlebt hat, kann sich schwer vorstellen, wieso das selbst regelmäßig wiederholte Zusammentreffen von einem halben Dutzend von Leuten eine Gefahr für diese hätte bedeuten sollen. Diese bestand aber in hohem Maße wegen derVerschiedenartigkeit der Besucher.Wäre der Gestapo dasYorck’sche Haus irgendwie aufgefallen, so hätte allein die Art der Zusammensetzung der Besucher genügt, um zuzugreifen, alle einzusperren und durch Verhöre festzustellen, worum es dort ging. Die naheliegende Ausrede gesellschaftlicher Unterhaltung war schon verdächtig, weil außer der Hausfrau keine Damen anwesend waren. Auch vorgebliches Kartenspielen der Männer wäre alsbald entlarvt worden, wenn die Gestapo die Männer an einen Tisch zum Probespiel gesetzt haben würde mit dem Ergebnis, dass einige Bridge, einige Skat und einige überhaupt kein Kartenspiel kannten.
Ein in dem evangelischen Hause Yorck aufgegriffener Jesuitenpater, zudem aus München, wäre nach den damaligen Verhältnissen ein unwiderlegbarer Verdachtsgrund für böse Absichten gegenüber den Machthabern gewesen. Rettungslos aber wäre es geworden, der Gestapo glaubhaft zu machen, was die sozialdemokratischen Herren in das gräfliche Haus geführt habe. Da sie frühere Politiker waren, konnte es nur Politik sein und niemand hätte uns andern zugetraut, dass wir sie etwa zum Nationalsozialismus hätten bekehren wollen. Nach den damaligen überkommenen Anschauungen war ein rein gesellschaftlicher oder freundschaftlicher Verkehr zwischen den Sozialdemokraten und den übrigen Beteiligten nicht glaubhaft und verdächtig, was wir wussten. Bei den Überlegungen, was als Gesprächsgegenstand der Gestapo gegebenenfalls genannt werden sollte, fragte ich Moltke, was er sagen würde, wenn die Gestapo ihn auf einem Besuch bei dem Berliner Bischof Graf Preysing stellen würde. Die lachende Antwort: „Wir haben von Graf zu Graf Konversation gemacht und uns über Rokokoporzellan unterhalten“. Diese Antwort wäre wohl hingenommen worden, da die Gestapo in gräflicher Unterhaltung und in Porzellan nicht sehr bewandert, Graf Preysing auf diesem Gebiet aber ein Kenner war. Haubach schlug auf Grund seiner philosophischen Bildung vor, scholastische Philosophie als Gesprächsgegenstand anzugeben. Aber das würde bei den meisten Beteiligten ein wenig überzeugendes Ergebnis gezeigt haben. Mehr Anklang fand die These, staatspolitische Erörterungen für gewisse Neuordnungen nach dem Kriege als Gesprächsgegenstand zu bezeichnen. Auch dieser Weg schien mir gefährlich, denn bei näherem Befragen hätten keine ungefährlichen Einzelheiten angegeben werden können. Für noch riskanter hielt ich die von Moltke und Steltzer gewünschte Behauptung, die Gestapo habe solche Gespräche selber gekannt und gebilligt. Angeblich hatten nämlich Kontakte zwischen Canaris und dem Reichssicherheitshauptamt über die Zweckmäßigkeit von Erörterungen hinsichtlich künftig etwa erforderlicher staatsrechtlicher Änderungen stattgefunden. Es scheint, dass diese Schutzbehauptung später in den Untersuchungen und Prozessen nach dem 20. Juli 1944 tatsächlich auch vorgebracht worden ist. Wir sind nie zu einem auch nur annähernd brauchbaren Ergebnis über diese Frage gekommen, weil sie unlösbar war. Es blieb eben nichts übrig, als das Risiko zu übernehmen und es durch größtmögliche Vorsicht einzuschränken.
Es ist kein Ruhmesblatt für die Gestapo, dass sie nicht längst vor dem 20. Juli auf diese verdächtigen Zusammenkünfte aufmerksam geworden ist. Es herrschte bei diesen immer eine gewisse unausgesprochene Spannung hinsichtlich etwaiger lästiger Ereignisse. Schellte ein unerwarteter Besucher an der Haustür, so raffte Yorck sofort alle etwa vorhandenen Papiere und Notizzettel zusammen und verschwand damit nach oben. Schriftliche Festlegungen, soweit sie unvermeidlich waren, wurden sehr vorsichtig behandelt. Beim Auseinandergehen wurden alle überflüssigen Papiere und Notizen eingesammelt und in kleine Stücke zerrissen demWasserklosett übergeben, was bei kleineren Papiermengen ein sicherer Weg ist als die Zentralheizung, wo die Asche längere Zeit sichtbar bleibt und die Gefahr besteht, dass vergilbte Stücke leserlich bleiben.
(Fortsetzung folgt)