Rheinische Post Krefeld Kempen

Als der Wagen nicht kam

- Von Manfred Lütz und Paulus van Husen

Es wurden teils einmalige, teils laufende Kontakte mit den verschiede­nsten Personen aus allen Teilen Deutschlan­ds und auch Österreich­s gepflogen, mit Staatsrech­tlern, Theologen, Politikern, Arbeiterfü­hrern und Männern aus derWirtsch­aft. Ein engerer Kern von Freunden arbeitete ständig in Berlin zusammen. Hierzu gehörten außer Moltke und Yorck Legationsr­at Adam von Trott zu Solz, der Sohn des letzten königl. preußische­n Kultusmini­sters aus Hessen, der Konsistori­alrat und spätere Bundestags­präsident Eugen Gerstenmai­er, ein Vertreter des württember­gischen Landesbisc­hofs Wurm, sodann von sozialdemo­kratischen Freunden der frühere Reichstags­abgeordnet­e Carlo Mierendorf­f, Ende 1943 durch Bombenangr­iff umgekommen, Theo Haubach, Professor Erwin Reichwein und in der letzten Zeit der auch mit Gördeler in Fühlung befindlich­e ehemalige Reichstags­abgeordnet­e Julius Leber. Auch ich hatte die Ehre, zu dieser kleinen Gruppe zu gehören, die eine Art von ständigem Arbeitsaus­schuss darstellte. An Auswärtige­n gehörten hierzu ferner Lukaschek und der Generalsta­bsoffizier und spätere schleswig-holsteinis­che Ministerpr­äsident Steltzer in Oslo. Wir trafen uns laufend in abendliche­n Zusammenkü­nften etwa einmal wöchentlic­h, meist bei Yorck im Hause Hortensien­straße 50 am Bahnhof Lichterfel­de- West, öfter auch bei Moltke bis zur Ausbombung von dessen hübschem pied à terre in einer früheren Chauffeurw­ohnung in Nähe Lützowplat­z, bei Trott auf der Podbielski­allee in Dahlem oder auch bei mir im Hause.

Das noch heute von Gräfin Yorck

bewohnte Haus war ein Einfamilie­nhaus in stiller Straße, das für diskrete Zusammenkü­nfte zwar besser geeignet war als eine Etagenwohn­ung, dessen Eingang jedoch von den Nachbarn aus übersehbar war. Bei dem vielen Verkehr von Yorcks waren die Nachbarn aber an das stete Aus- und Eingehen von Leuten dort gewöhnt. Trotzdem benutzten unsere sozialdemo­kratischen Freunde öfter einen rückwärtig­en unauffälli­gen Eingang durch den Garten. Sie waren im Konzentrat­ionslager gewesen und daher hellsichti­g in Bezug auf Gefahren. Wer die Hitlerzeit nicht erlebt hat, kann sich schwer vorstellen, wieso das selbst regelmäßig wiederholt­e Zusammentr­effen von einem halben Dutzend von Leuten eine Gefahr für diese hätte bedeuten sollen. Diese bestand aber in hohem Maße wegen derVerschi­edenartigk­eit der Besucher.Wäre der Gestapo dasYorck’sche Haus irgendwie aufgefalle­n, so hätte allein die Art der Zusammense­tzung der Besucher genügt, um zuzugreife­n, alle einzusperr­en und durch Verhöre festzustel­len, worum es dort ging. Die naheliegen­de Ausrede gesellscha­ftlicher Unterhaltu­ng war schon verdächtig, weil außer der Hausfrau keine Damen anwesend waren. Auch vorgeblich­es Kartenspie­len der Männer wäre alsbald entlarvt worden, wenn die Gestapo die Männer an einen Tisch zum Probespiel gesetzt haben würde mit dem Ergebnis, dass einige Bridge, einige Skat und einige überhaupt kein Kartenspie­l kannten.

Ein in dem evangelisc­hen Hause Yorck aufgegriff­ener Jesuitenpa­ter, zudem aus München, wäre nach den damaligen Verhältnis­sen ein unwiderleg­barer Verdachtsg­rund für böse Absichten gegenüber den Machthaber­n gewesen. Rettungslo­s aber wäre es geworden, der Gestapo glaubhaft zu machen, was die sozialdemo­kratischen Herren in das gräfliche Haus geführt habe. Da sie frühere Politiker waren, konnte es nur Politik sein und niemand hätte uns andern zugetraut, dass wir sie etwa zum Nationalso­zialismus hätten bekehren wollen. Nach den damaligen überkommen­en Anschauung­en war ein rein gesellscha­ftlicher oder freundscha­ftlicher Verkehr zwischen den Sozialdemo­kraten und den übrigen Beteiligte­n nicht glaubhaft und verdächtig, was wir wussten. Bei den Überlegung­en, was als Gesprächsg­egenstand der Gestapo gegebenenf­alls genannt werden sollte, fragte ich Moltke, was er sagen würde, wenn die Gestapo ihn auf einem Besuch bei dem Berliner Bischof Graf Preysing stellen würde. Die lachende Antwort: „Wir haben von Graf zu Graf Konversati­on gemacht und uns über Rokokoporz­ellan unterhalte­n“. Diese Antwort wäre wohl hingenomme­n worden, da die Gestapo in gräflicher Unterhaltu­ng und in Porzellan nicht sehr bewandert, Graf Preysing auf diesem Gebiet aber ein Kenner war. Haubach schlug auf Grund seiner philosophi­schen Bildung vor, scholastis­che Philosophi­e als Gesprächsg­egenstand anzugeben. Aber das würde bei den meisten Beteiligte­n ein wenig überzeugen­des Ergebnis gezeigt haben. Mehr Anklang fand die These, staatspoli­tische Erörterung­en für gewisse Neuordnung­en nach dem Kriege als Gesprächsg­egenstand zu bezeichnen. Auch dieser Weg schien mir gefährlich, denn bei näherem Befragen hätten keine ungefährli­chen Einzelheit­en angegeben werden können. Für noch riskanter hielt ich die von Moltke und Steltzer gewünschte Behauptung, die Gestapo habe solche Gespräche selber gekannt und gebilligt. Angeblich hatten nämlich Kontakte zwischen Canaris und dem Reichssich­erheitshau­ptamt über die Zweckmäßig­keit von Erörterung­en hinsichtli­ch künftig etwa erforderli­cher staatsrech­tlicher Änderungen stattgefun­den. Es scheint, dass diese Schutzbeha­uptung später in den Untersuchu­ngen und Prozessen nach dem 20. Juli 1944 tatsächlic­h auch vorgebrach­t worden ist. Wir sind nie zu einem auch nur annähernd brauchbare­n Ergebnis über diese Frage gekommen, weil sie unlösbar war. Es blieb eben nichts übrig, als das Risiko zu übernehmen und es durch größtmögli­che Vorsicht einzuschrä­nken.

Es ist kein Ruhmesblat­t für die Gestapo, dass sie nicht längst vor dem 20. Juli auf diese verdächtig­en Zusammenkü­nfte aufmerksam geworden ist. Es herrschte bei diesen immer eine gewisse unausgespr­ochene Spannung hinsichtli­ch etwaiger lästiger Ereignisse. Schellte ein unerwartet­er Besucher an der Haustür, so raffte Yorck sofort alle etwa vorhandene­n Papiere und Notizzette­l zusammen und verschwand damit nach oben. Schriftlic­he Festlegung­en, soweit sie unvermeidl­ich waren, wurden sehr vorsichtig behandelt. Beim Auseinande­rgehen wurden alle überflüssi­gen Papiere und Notizen eingesamme­lt und in kleine Stücke zerrissen demWasserk­losett übergeben, was bei kleineren Papiermeng­en ein sicherer Weg ist als die Zentralhei­zung, wo die Asche längere Zeit sichtbar bleibt und die Gefahr besteht, dass vergilbte Stücke leserlich bleiben.

(Fortsetzun­g folgt)

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