Rheinische Post Krefeld Kempen

Der Boss wird sentimenta­l

Bruce Springstee­n besingt auf seiner neuen Platte „Western Stars“das gute Amerika.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

NEW JERSEY Wenn er richtig zornig ist, kann er ein ganz schön harter Hund sein; man erinnere sich nur an „Wrecking Ball“aus dem Jahr 2012. Da ging es gut zur Sache, Bruce Springstee­n verstand die Platte als Abrissbirn­e für jene Existenzen, die seinen Landsleute­n die Banken- und Finanzkris­e eingebrock­t hatten. Seither musste er sich oft ärgern, Stichwort Donald Trump, den kann Springstee­n nicht ausstehen. Statt nun aber die Gitarren unter Strom zu setzen und gegen den Präsidente­n zu Felde ziehen zu lassen, gibt sich der 69-Jährige der Wehmut hin. Bloß weit weg vonWashing­ton, Kraft tanken an der West Coast: Auf seinem neuen Album „Western Stars“präsentier­t sich Springstee­n „in a sentimenta­l mood“, wie man im Showbiz so sagt.

Vielleicht ist das die erste Instagram-Platte, die Springstee­n aufgenomme­n hat, denn die Lieder klingen, als habe der Künstler einen Farbfilter über die Melodien gelegt. Er zeichnet Canyons und Deserts in Pastelltön­en, er beginnt zumeist mit gezupfter Gitarre, und allmählich schwingen sich die Streicher auf und tragen die Songs fort. Ja, vielleicht ist „Western Stars“sogar die erste Platte vom Boss, die nach Sonnencrem­e duftet: „Willst Du nicht bleiben, Sonnensche­in?“, singt er gegen Ende, und das ist zwar etwas kitschig, aber auch total schön.

Ein Solo-Album nennt Springstee­n seine neue Veröffentl­ichung, wobei er damit wohl vor allem klarstelle­n möchte, dass seine E-StreetBand nicht dabei ist. Dennoch standen mehr als 20 Musiker mit ihm im Studio, aber sie rocken halt nicht, sondern schmeichel­n. Die Arrangemen­ts muten cineastisc­h an, ein Hauch von altem Hollywood durchweht die Aufnahmen. Man denkt an Harry Nilsson, bei „Sundown“grüßen von Ferne die Beach Boys, und einmal meint man gar, eineVerbeu­gung vor dem jüngst gestorbene­n Scott Walker zu hören.

Springstee­n singt nicht über die große Politik, er geht lieber zu den Leuten; er fährt durch kleine Städte, und womöglich liegt auf seinem Beifahrers­itz eine Ausgabe der „Grashalme“vonWaltWhi­tman.„Ich singe das Selbst, den Einzelmens­chen / doch spreche das Wort ‚demokratis­ch‘ aus“, so beginnt das Gedicht-Epos, das als das „essential american book“gilt. Whitman sang den modernen Menschen, und das tut Springstee­n auch, in jedem Song erzählt er von einem anderen Zeitgenoss­en. Von dem früheren Cowboy-Darsteller etwa, dessen Karrierehö­hepunkt es war, in einem Film von JohnWayne erschossen zu werden. Nun sitzt er an der Theke und erzählt von früher: „Mit dieser Szene finanziert­e ich 1000 Drinks.“Oder der arme Kerl, der am Bahnhof hockt und auf den 17.15-UhrZug wartet, in der Hoffnung, dass endlich die Frau aussteigt, die er so lange schon anhimmelt.

Die„Western Stars“des Titels, das sind die Einwohner der USA. Jeder ein Grashalm, jeder einWunder, und zusammenge­nommen ergeben sie das andere, das gute Amerika. So ist der Boss gerade drauf, so sentimenta­l, und man folgt ihm gerne in diese Stimmung. „Keep me in your heart“, singt er.

Aber sicher, Mann!

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FOTO: DPA Seine erste Instagram-Platte: das Cover von „Western Stars“.

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