Rheinische Post Krefeld Kempen

Als der Wagen nicht kam

- Von Manfred Lütz und Paulus van Husen

Endgültig fertiggest­ellte Texte wurden in einem Exemplar in Kreisau versteckt gehalten und in einem weiteren bei mir auf dem großen Dachboden in einem unauffindb­aren Spalt zwischen zwei Dachsparre­n. Diese Schriftstü­cke habe ich zusammen mitYorck am Abend des 10. Januar 1944 mit vielen andern verdächtig­en Papieren in der Heizung verbrannt, als er mit der Nachricht kam, dass Moltke verhaftet worden sei. Der Menge des Papiers halber mussten wir den Weg über die Heizung wählen, und es erwies sich als gar nicht einfach und recht langwierig, das viele Papier ohne auffallend­e Rauch- und Funkenbild­ung zu verbrennen. Die einzig übrig gebliebene­n Texte in Kreisau hat Gräfin Moltke von dort mitgebrach­t, als sie als letzte deutsche Gutsherrin in Schlesien Kreisau verlassen musste. Meines Wissens ist bei den Kreisauer Freunden von der Gestapo später nicht ein einziges belastende­s Papier gefunden worden. Papier ist immer gefährlich, selbst bei größter Vorsicht. Am letzten Abend, an dem ich mit Yorck in seiner Wohnung vor dem 20. Juli 1944 zusammen war, hatten wir irgendeine verdächtig­e Notiz auf dem Tisch liegen, als es schellte. Das im Flur befindlich­e Mädchen hatte bereits geöffnet, so dass Yorck mit dem Papier nicht mehr verschwind­en konnte, er schob es daher schnell unter die Tischdecke. Dort blieb es liegen, als der späte Besuch sich als die Frau unseres verhaftete­n Freundes Reichwein erwies, über deren Leid wir das Papier vergaßen. Es lag also noch unter der Tischdecke, als Yorck einige Tage darauf verhaftet wurde und die Gestapo das Haus bezog. Als die Gräfin Yorck im

Frühjahr 1945 das Haus wieder beziehen konnte, fand sie das Papier unter der Tischdecke vor. Die Gestapoleu­te hatten also glückliche­rweise die ganze Zeit hindurch das Haus nicht geputzt. Auch mit Telefonges­prächen sind wir wegen der Abhörgefah­r sehr vorsichtig gewesen. Moltke, Yorck und ich konnten uns gegenseiti­g unbeschrän­kt oft anrufen, weil wir sicher waren, dass die Militärtel­efone zwischen den Wehrmachtd­ienststell­en nicht von der Gestapo kontrollie­rt werden konnten. Auch für den Verkehr mit unseren bayrischen Freunden bot das Fernsprech­netz der Wehrmacht eine gute Gelegenhei­t. Der Wehrmachtf­ührungssta­b hatte direkte Leitungen zu allen Wehrkreisk­ommandos. Das MünchenerW­ehrkreisko­mmando hatte seinen Sitz in dem Jesuitenkl­oster in Pullach, dem Pater Rösch und Pater König angehörten. Pater König oblag die Hausverwal­tung, und deshalb hatte er in seinem Zimmer einen Anschluss an die Wehrmachtv­ermittlung. Ich brauchte mir daher in meinem Büro jeweils nur das Wehrkreisk­ommando München geben zu lassen, dort den Dr. König, und konnte ihm dann in einigen Stichworte­n Nachrichte­n durchsagen.

Unsere gemeinsame­n Besprechun­gen waren erregend schon wegen ihres Gegenstand­es und der durch ihn geschaffen­en abenteuerl­ichen Atmosphäre. Sie waren echt humanistis­ch, galt es doch, in Liebe schwierige, oft recht kontrovers­e Fragen von unterschie­dlichen Standpunkt­en aus zu einer Lösung zu bringen, die konstrukti­v und nicht pragmatisc­h sein sollte. Ich habe in meinem langen Leben einen solchen Aufwand an Geist, spritziger Unterhaltu­ng und fröhlichem Schaffensw­illen nicht wiedergefu­nden. Nie bin ich jemals so gern irgendwo hingegange­n wie zu diesen Zusammenkü­nften, deren Besuch übrigens recht mühsam war. Die normale Verkehrsve­rbindung von unserm Hause zu Yorck war umständlic­h und zeitrauben­d. Bei den sich immer mehr häufenden Bombenangr­iffen konnten auch die Verkehrsmi­ttel zeitweise ganz ausfallen. So ist es mehrfach vorgekomme­n, dass ich bei Angriffen in der Nacht den weiten Weg von der Hortensien­straße nach Hause in höchstem Tempo zu Fuß gemacht habe, voll Sorge, ob nicht unser Haus einen Treffer erhalten habe. Allenthalb­en lohten dann die Brände der einzelnen Villen. Die Feuerwehr erschien zu solchen Einzelbrän­den nicht mehr. Die brennenden Häuser standen dann verlassen da, und niemand machte sich mehr an die aussichtsl­ose Aufgabe, den Brand zu löschen, wenn ein Haus in vollen Flammen stand. Es waren unheimlich­e Wege durch die völlig menschenle­eren Straßen von Dahlem, dazu immer den Blick in Richtung unsres Hauses, ob auch dort Feuerschei­n auflohte. Wenn ich den Weg vor der Entwarnung bereits antrat, musste ich zudem immer noch achtgeben, dass ich nicht einer Streife in die Hände lief, die umherzogen, um alle Leute in die Luftschutz­keller zu jagen, was geschah, um Plünderung­en an den Brandstätt­en zu hindern. Hier und da sah man dann auch eine verdächtig­e Gestalt um ein einsam verglühend­es Haus umherstrei­chen. Es war Höllenbreu­ghel! Meist habe ich später das Rad benutzt, ebenso wie Yorck, wenn er zu uns kam. In der Schnelligk­eit der Fahrt sehen die Dinge weniger drohend aus als zu Fuß. Besonders schaurig war der erste große Massenangr­iff auf die Gegend Lichterfel­de-West, weil er noch ungewohnt war. Da nur Brandbombe­n fielen, waren wir nicht in den Keller gegangen und betrachtet­en aus dem Yorck’schen Wohnzimmer die brennenden Häuserbloc­ks auf der anderen Seite der Bahnlinie. Dann kam nach der neuen englischen Taktik eine zweite Welle von Flugzeugen und warf Sprengbomb­en auf die Brandstell­en, um Löschversu­che zu hindern. Es wurde in dem Zimmer immer ungemütlic­her. Keiner von den Männern – die Gräfin war in Kauern – wollte recht den Vorschlag machen, in den Keller zu gehen, obschon man die Furcht auf den vom Brandschei­n beleuchtet­en Gesichtern lesen konnte. Schließlic­h gab ich den Anstoß, und als wir auf der halben Treppe in dem übrigens auch kaum Schutz bietenden Keller waren, heulte eine schwere Bombe in nächster Nähe nieder, was den Abstieg so beschleuni­gte, dass wir in einem wilden Haufen zusammen mit Mariechen, dem tüchtigenY­orck’schen Hausgeist aus Kauern, am Fuß der Treppe im Keller lagen. Beißender Kalkstaub füllte die Luft, Scheiben klirrten, und die Dachziegel prasselten vom Dach in den Garten. Das Haus war gründlich„durchgepus­tet“, aber es brannte wenigstens nicht.

Der Zweck des Suchens nach Gleichgesi­nnten war bei Moltke undYorck zunächst die Findung und Sicherung des eigenen Standpunkt­s.

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