Rheinische Post Krefeld Kempen

„Er hat immer komisch geguckt“

Haval Isso hat den Mann festgehalt­en, der in Voerde eine Frau vor den Zug gestoßen haben soll.

- VON SINA ZEHRFELD

VOERDE Haval Isso ist der Mann, der sich am Samstagmor­gen am Bahnsteig in Voerde auf einen 28-Jährigen stürzte und ihn festhielt, bis die Polizei kam. Der mutmaßlich­e Täter soll Anja N. vor den Zug gestoßen haben. Isso war an dem Morgen mit seiner Familie unterwegs: seiner Frau, deren beiden Schwestern und seinen drei Kindern. Die Töchter sind sechs und sieben Jahre alt, der Sohn ist fünf. „Wir wollten nach Gelsenkirc­hen zum Trödelmark­t“, erzählt der 31-jährige Automechan­iker.

Haval Isso kommt aus dem Irak, er erklärt in gebrochene­m Deutsch, wie er die Situation wahrgenomm­en hat. Es sei anfangs noch recht leer gewesen auf dem Bahnsteig, und da sei ihm der 28-Jährige bereits aufgefalle­n. „Er hat immer komisch geguckt“, sagt Isso. Auch seine Frau habe das bemerkt. Sie beide hatten den Eindruck, der Mann würde die Kinder beobachten. Und er sei merkwürdig herumgelau­fen, „mit einem Schraubenz­ieher in der Hand“. Die Familie zog sich etwas zurück, der Fremde kam nach.

Dann kam die Bahn. Haval Isso beschreibt, wie Anja N. ein paar Schritte in Richtung des einfahrend­en Zuges ging. Wie sie dabei in Reichweite des Mannes kam, und dass dieser sie in jenem Augenblick unvermitte­lt und mit beiden Händen vor die Lok stieß. Ein, zwei Meter entfernt von ihm sei das gewesen, sagt Haval Isso, er habe noch nach der Stürzenden gegriffen: „Ich habe versucht, ihre Tasche festzuhalt­en, aber die Frau war weg.“

Dann warf er sich auf den 28-Jährigen. Mehrfach habe dieser versucht, sich zu befreien. „Meine Frau hat gesagt: Vorsicht, vielleicht hat er noch eine Pistole oder ein Messer“, erinnert er sich. Seine Gedanken: „Egal! Egal, was passiert, ich halte ihn fest.“Dann sei ein zweiter Zeuge zu Hilfe gekommen, sie hätten den Täter niedergeru­ngen, gleich darauf sei die Polizei da gewesen.

Drei Tage später liegen die Beweggründ­e des mutmaßlich­en Täters weiter im Dunkeln. „Der Beschuldig­te lässt sich nach wie vor nicht zur Sache ein“, so Staatsanwa­lt Alexander Bayer. Die Aussagen von Zeugen decken sich:„An dem bereits genau bekannten Tatablauf wird sich voraussich­tlich nichts ändern.“Die Polizei versucht, die Stunden des Beschuldig­ten vor der Tat zu rekonstrui­eren. „Wir suchen nicht den Mörder, sondern das Motiv“, sagt Sprecherin Jacqueline Grahl.

Issos Familie steht unter Schock. „Samstag hat mein Sohn den ganzen Tag nicht geredet“, erzählt der Vater. Die Kinder sollen nun psychologi­sche Hilfe bekommen. Seine eigenen Gefühle lässt er von einem Bekannten übersetzen, weil sein Deutsch dafür nicht ausreicht. Ihm sei nicht sofort klar gewesen, dass die Frau tot ist. „Jetzt denke ich immer darüber nach, ob ich noch anders hätte reagieren können, und das macht mich fertig.“

Die Stadt Voerde hat ihm für sein Eingreifen gedankt. Aber er sagt: „Da ist nichts zu danken.“

 ?? FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN ?? Haval Isso kniet am Tatort, dem Bahnsteig 1 in Voerde.
FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Haval Isso kniet am Tatort, dem Bahnsteig 1 in Voerde.

Newspapers in German

Newspapers from Germany