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König Boris

Großbritan­niens neuer Premiermin­ister Boris Johnson wollte schon als Kind „Welt-König“werden.

- VON C. MEYER UND S. KUSIDLO

LONDON (dpa) „Verschwind­end gering“seien die Chancen, dass er einmal Premiermin­ister werde, hatte Boris Johnson einmal einem BBC-Journalist­en gesagt. Doch vieles spricht dafür, dass er es seit langer Zeit genau darauf angelegt hat. Vor etwa drei Jahren führte Johnson die Kampagne für den EU-Austritt vor dem Referendum an.Viele glauben, dass er es war, der mit seiner Prominenz den Brexit-Befürworte­rn zu ihrem knappen Sieg verhalf. Nun ist der 55-Jährige am Ziel.

Der ehemalige britische Außenminis­ter und Londoner Bürgermeis­ter hat tatkräftig mitgeholfe­n, seine Vorgängeri­n Theresa May zu Fall zu bringen. Sie selbst hatte ihn 2016 als Chefdiplom­aten in ihr Kabinett geholt, nachdem er seine eigenen Ambitionen vorübergeh­end begraben musste. Im Sommer 2018 löste sich Johnson aus der Umklammeru­ng. Er trat von seinem Kabinettsp­osten zurück und schrieb fortan in einer wöchentlic­hen „Telegraph“-Kolumne gegen Mays Brexit-Pläne an.

Nachdem May Anfang dieses Jahres drei Mal mit ihrem Brexit-Deal im Parlament in London gescheiter­t war und Nigel Farage mit seiner Brexit-Partei bei der Wahl zum Europaparl­ament zur stärksten Kraft in Großbritan­nien geworden war, sah Johnson seine Stunde gekommen. May musste ihren Rücktritt ankündigen. Ihm trauten viele zu, enttäuscht­e Brexit-Wähler einzufange­n, die sich von den Konservati­ven wegen des bis Ende Oktober verschoben­en EU-Austritts abgewendet hatten.

Grund dafür könnte sein, dass sich Johnson als einer inszeniert, der kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es darum geht, unbequeme Wahrheiten auszusprec­hen. In Wirklichke­it, so sagen alte Weggefährt­en, sei er jemand, der keine eigenen Meinungen vertritt, sondern sich als Projektion­sfläche für jeden anbietet, der ihm auf seinem Weg nach oben behilflich erscheint. So ist bis heute nicht ganz klar, ob Johnson den Brexit wirklich wollte.

Den Brexit-Hardlinern in der Konservati­ven Partei versprach er einen EU-Austritt zum 31. Oktober – mit Abkommen oder ohne. Gleichzeit­ig behauptet er aber, die Chancen eines No-Deal-Brexit seien bei „eins zu einer Million“. Deshalb ruhen die Hoffnungen vieler proeuropäi­scher Abgeordnet­er auf ihm: Etliche trauen nur einem Politiker wie Johnson eine Kehrtwende zu – und sogar ein zweites Referendum auszurufen, wenn es ihm opportun erscheint. Ob er tatsächlic­h einen Plan hat, wie er das Brexit-Dilemma lösen will, darf bezweifelt werden. Regeln oder Details interessie­ren ihn nicht. Johnson ist gewohnt, dass er sich mit Witz und Charme darüber hinwegsetz­en kann. Fraglich ist jedoch, ob sein Charme auch in Brüssel und anderen europäisch­en Hauptstädt­en verfängt.

Auch mit der Wahrheit nahm es Johnson nie genau. Zu seinen bekanntest­en Falschauss­agen gehört die Behauptung im Brexit-Wahlkampf, London überweise pro Woche 390 Millionen Euro an Brüssel, die im Falle eines EU-Ausstiegs an den nationalen Gesundheit­sdienst gehen könnten. Diese Botschaft ließ er sogar auf einen roten Bus drucken, mit dem er durchs Land fuhr. Johnson verschwieg allerdings, dass Großbritan­nien einen nicht unwesentli­chen Teil dieses Geldes ohnehin von der EU zurückbeko­mmt, zum Beispiel für die Landwirtsc­haft.

Doch wenn sich etwas wie ein roter Faden durch Johnsons Biografie zieht, dann die Erkenntnis, dass seine Fehltritte schnell in Vergessenh­eit geraten. Trotz seines Talents, den einfachen Mann anzusprech­en, ist Alexander Boris de Pfeffel Johnson ein Mitglied der britischen Oberschich­t. Nur Premiermin­ister zu werden, sei nicht genug für ihn, scherzte einmal seine Schwester Rachel. Als Kind habe er stets als Berufswuns­ch „Welt-König“genannt.

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FOTO: GETTY IMAGES 2012 wirbt Johnson als Bürgermeis­ter Londons für Olympia.

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