Rheinische Post Krefeld Kempen
Die Stadt unter dem Fallschirm
Unweit der deutsch-niederländischen Grenze erinnert Arnheim an eine der blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs. Ein interaktives Museum versucht den Schrecken von damals hautnah zu vermitteln.
ARNHEIM Im Museumsshop in Oosterbeek gibt es nicht nur historische Literatur und Videofilme, kleine Schützenpanzer aus Bauklötzen oder Patronen-Miniaturen an vergoldeten Halskettchen, sondern sogar echte Tulpenzwiebeln in Dosen. Den niederländischen Nachbarn wird schon immer ein gesunder Geschäftssinn nachgesagt. Und potenzielle Käufer kommen an diesem Wochenende in Scharen ins Hotel Hartenstein bei Arnheim – soeben sind zwei Reisebusse mit Touristen aus Großbritannien eingetroffen.
Noch deutlich größer dürfte der Anhang im Herbst werden. Dann jährt sich der blutige Kampf um die Rheinbrücke von Arnheim, weniger als 30 Kilometer Luftlinie von Kleve und Emmerich entfernt, zum 75. Mal. Auch viele Besucher aus Deutschland werden dann erwartet.
Die Gefechte im September 1944 haben zehntausende militärische und zivile Opfer gefordert. Doch die Versöhnung über den Gräbern hat längst stattgefunden, selbst wenn man als deutscher Museumsbesucher inmitten der vielen Briten und Niederländer unwillkürlich seine Stimme dämpft.
Das ehemalige Hotel, heute das Airborne Museum, ist ein Mahnmal wider das Vergessen und bemüht sich um eine faire Darstellung der Ereignisse. So kommen in den an Konsolen abrufbaren Videos auch deutsche Zeitzeugen zu Wort; an einer Wand steht groß das Zitat eines britischen Oberfeldwebels von 1944, der seine Feinde als tapfere Kämpfer würdigt.
Das Museumsgebäude, vor elf Jahren um einen gläsernen Anbau und ein zweites Kellergeschoss erweitert, diente im Zweiten Weltkrieg zunächst dem deutschen Feldmarschall Walter Model als Stabsquartier, später der britischen 1. Airborne Division (Luftlandedivision) als provisorischer Gefechtsstand. Deren bordeauxrote Flaggen mit einem Krieger auf dem fliegenden Pferd Pegasus wehen nicht nur vor dem Museum, sondern auch in der Innenstadt Arnheims an der berühmten Straßenbrücke, die über den Niederrhein führt. Um diesen Übergang wurde damals besonders heftig gekämpft.
Eindrucksvoll stellt das der Spielfilm „Die Brücke von Arnheim“(im Original „A Bridge Too Far“) dar. Er ist 1977 an den Originalschauplätzen und mit zahlreichen Weltstars wie Sean Connery, Michael Caine, Gene Hackman, Hardy Krüger und Liv Ullmann sehr aufwendig und authentisch gedreht worden. Die alliierte Militäroperation mit dem Decknamen „Market Garden“hatte das Ziel, den Westwall zu umgehen und über die niederländischen Provinzen Nordbrabant und Gelderland schnell ins Ruhrgebiet vorzustoßen. Dazu sollten mehr als 39.000 Fallschirmjäger die Brücken im Handstreich nehmen und bis zum Vorrücken der gepanzerten Bodentruppen halten.
In Eindhoven und Nimwegen gelang dies. In Arnheim aber wurden die britischen Fallschirmjäger von deutschen Eliteverbänden der 1. Fallschirm-Armee aufgerieben, die die alliierte Aufklärung nicht bemerkt hatte. Oder nicht wahrnehmen wollte, damit die aufwendige und umstrittene Operation nicht in letzter Stunde abgebrochen werden musste.
Die Statistiken widersprechen sich, unter anderem ist von 17.800 alliierten und 8000 deutschen Opfern die Rede, dazu kommen viele niederländische Zivilisten. Weitere rund 18.000 Niederländer starben unter deutscher Besatzung im darauffolgenden Hungerwinter, eine weitere drastische Folge der gescheiterten Operation„Market Garden“.
Die Brücke steht noch, Arnheim wurde dagegen fast völlig zerstört. Der mehrfach preisgekrönte neue Museumsteil„Airborne Experience“versucht das Schreckliche von einst hautnah zu vermitteln: Der Besucher steigt aus einer Flugzeug-Attrappe, gerät mitten in die gelandeten Fallschirmjäger. Sein Weg führt weiter durch eine unheimliche Trümmerlandschaft, ein Disneyland des Grauens, das von Lichtblitzen, Geschrei und Gefechtslärm begleitet wird.
Trotzdem kann der Betrachter Distanz halten zu Gemetzel und Zerstörung von damals: Den Gestank des Krieges – Brandrauch und Verwesung – will man den Besuchern nicht auch noch zumuten; Todesangst und Schmerz könnten ohnehin nicht simuliert werden.
Ob Fallschirmsprünge, Gedenkläufe, historische Fahrzeuge, Konzerte oder Feuerwerk: Vom 7. bis zum 21. September sind in Arnheim und Umgebung Jubiläumsfeiern geplant. Diese werden allerdings eher Volksfestcharakter haben – beruhigend weit entfernt von der historischen Schlacht und bunt-international in einem friedlich vereinten Europa.