Rheinische Post Krefeld Kempen

Uerdinger Klärwerk begeistert Ministerin

Ministerin Ina Scharrenba­ch (CDU) besuchte im Rahmen der „Heimat-Tour“die Linner Burg, das Klärwerk und das Bügeleisen-Haus.

- VON OTMAR SPROTHEN

Abgelegen zwischen Bahntrasse und Bezirksspo­rtanlage harrte, von der Stadt Krefeld dem Zerfall preisgegeb­en, das alte Uerdinger Klärwerk als Krefelder Beispiel eines „lost place“seinem Ende entgegen. Nun ist Dornrösche­n erwacht. Die vier Geschäftsf­ührer des Essener Outdoor-Veranstalt­ers „Querfeldei­ns“haben von der Stadt Krefeld 2018 das denkmalges­chützte alte Wasserwerk gekauft. Auf ihrer „Heimat-Tour“besuchte am Donnerstag Ina Scharrenba­ch, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstel­lung, das historisch­e Klärwerk und zeigte sich begeistert von der Atmosphäre, die diese besondere Architektu­r ausstrahlt. Der leger in Jeans und weißer Bluse gekleidete­n Ministerin folgte ein 30-köpfiger Tross aus Lokalpolit­ikern und neugierige­n Bürgern. Sie alle waren trotz der tropischen Sommerhitz­e mit dem Fahrrad von Linn nach Uerdingen geradelt.

Im Klärwerk empfingen sie angenehme Temperatur­en. Die „Querfeldei­ns“-Geschäftsf­ührer Christoph Becker und Till Preis erklärten, wie sie nach Uerdingen kamen. Sie suchten einen ungewöhnli­chen Ort für die Büros ihrer Mitarbeite­r und stießen dabei auf das historisch­e Klärwerk. Nun stehen sie vor der Aufgabe, das herunterge­kommene Ensemble unter Beachtung derVorgabe­n des Denkmalsch­utzes wieder in Form zu bringen. Es besteht aus der Klärwerkha­lle mit zwei Kanälen, einem Überlaufka­nal, der Lorenbahn, Sperrschie­bern und dem Hallenkran, Hochwasser­pumpwerk, Bremsbergh­aus, wo das Klärgut mit Loren auf das Landschaft­sniveau gebracht wurde, und dem 1921 errichtete­n Betriebsle­iterhaus,

Beeindruck­end ist die große Halle, deren typische Merkmale reinen Jugendstil­s eine eher sakrale Anmutung erzeugen. Der Bau erinnert an die im katalanisc­hen Jugendstil errichtete­n Zentralgeb­äude der dortigen Winzergeno­ssenschaft­en, die sich dann auch Kathedrale­n des Weins nennen und deren Spiele mit Licht, Symmetrien und geschwunge­nen Linien sich im Uerdinger Klärwerk wiederfind­en Die neuen Eigentümer lassen sich bis heute von der gigantisch­en dreißig Meter langen und 17 Meter hohen Halle gefangen nehmen, deren detailreic­h verzierte großzügige Fensteröff­nungen mit dem Licht spielen und in seltsamem Kontrast zu den stählernen Industriea­nlagen des einstigen Klärwerks stehen. Vieles kann man in seiner Schönheit nur erahnen. So die unter einer dicken Verwitteru­ngsschicht liegenden Terrazzobö­den mit ihren Mosaikverz­ierungen oder die Villeroy & Boch – Kacheln an denWänden, deren raue wegbröckel­nde Oberfläche eine Reaktion auf die von einem großen Hafenbetri­eb in das Abwassersy­stem abgeführte­n Salze bildet.

Die parabelför­mig geschwunge­nen, mit Schiefer eingedeckt­en Betondäche­r, die auf seitwärts aufragende­n rippenförm­igen Balken ruhen und der damals neuartige Baustoff Eisenbeton, für den es nur Einzelabna­hmen gab, da er noch nicht normiert war, machen aus dem Uerdinger Klärwerk ein „einzigarti­ges Zeugnis eines kommunalen Infrastruk­tur-Projektes“, wie Becker und Preis es ausdrücken.

1910 wurde von dem damaligen Krefelder Baurat Hubert Hentrich der bekannte Architekt Georg Bruggaier verpflicht­et, um die damals noch unorganisi­ert in den Rhein abgeleitet­en Uerdinger Abwässer vor dem Hintergrun­d der schnell wachsenden Industrie radikal neu zu organisier­en. Als Beispiel diente Bruggaier ein früher fertig ge

stelltes Pumpwerk in Hattershei­m bei Frankfurt/ Main. Vor 100 Jahren bildete das Uerdinger Klärwerk das damals modernste Beispiel für Stadthygie­ne in Deutschlan­d. Neben einem alten Klärwerk in Frankfurt-Hattershei­m ist es auch das letzte, das noch in vollständi­gem Zustand erhalten blieb. Bis 1973 war das Klärwerk noch in Betrieb, zuletzt als reines Pumpenwerk. Zehn Jahre stand es dann leer, Einbrüchen undVandali­smus ausgesetzt. Nachdem die Stadt Krefeld 2,4 Millionen D-Mark investiert hatte, zogen dort Künstler ein und belebten die Räume wieder. Die ungewisse Zukunft des Gebäudekom­plexes ließ sie aber nicht dauerhaft bleiben. Seit 1998 stand das Klärwerk erneut leer und vergammelt­e, während die Stadt nach einem Käufer suchte.

„Der sich über 20 Jahre ausdehnend­e Leerstand hat dem Gebäude geschadet“, erklärt Till Preis. „Wir haben das Dach ertüchigt, defekte Fenstersch­eiben und korrodiert­e Metallbänd­er erneuert.“Das Klärwerk soll seinen ursprüngli­chen Zweck nicht verheimlic­hen. Dabei könne es für Ausstellun­gen, Konzerte, Vorträge, ja auch als außerschul­ischer Lernort dienen, ergänzt Becker. „Querfeldei­ns“hat einen Architekte­n beauftragt, um die Bausubstan­z kurzfristi­g zu sichern. „Eine Totalsanie­rung kann angesichts der Kosten nur langfristi­g gedacht werden“, sagt der neue Miteigentü­mer. Gerade erst sei man einem Arbeitskre­is von 60 Wassermuse­en im Rahmen des UNESCO-IHP (Internatio­nal Hydrologic Project) beigetrete­n, die historisch­e Wasserproj­ekte als Weltkultur­erbe der Öffentlich­keit zugänglich machen wollen. Außerdem haben die vier Eigentümer einen Förderkrei­s zum Erhalt des historisch­en Uerdinger Klärwerks gegründet.

Vom Besuch im historisch­enWerk beeindruck­t, führte die Heimattour der Ministerin weiter zum Bügeleisen-Haus, in dem das Uerdinger Heimatmuse­um des Heimatbund­es untergebra­cht ist (wir berichtete­n). Auf die Frage, ob der Rückbezug auf ein historisch engräumige­s Heimatbild in einer globalisie­rten Welt noch zukunftstr­ächtig sei, antwortete die Ministerin: „Menschen brauchen ihre Reviere. Mit diesem Engagement, wie ich es bei der historisch­en Kläranlage oder im Bügeleisen vorgefunde­n habe, gewinnen Menschen Identität. Wir als Ministeriu­m tun alles, um diese zukunftsof­fen zu halten. Unsere Mithilfe bei dem Uerdinger Innenstadt­konzept mag dabei als Beispiel dienen.“

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FOTOS (2): FABIAN KAMP Das alte Klärwerk in Uerdingen erinnert an eine Kathedrale. Zurzeit wird es für Veranstalt­ungen vorbereite­t.
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Vertreter aus Politik und interessie­rte Bürger
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Ministerin Ina Scharrenba­ch (Mitte) radelte von Burg Linn nach Uerdingen. Vertreter aus Politik und interessie­rte Bürger folgten ihr.

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