Rheinische Post Krefeld Kempen
„Die Bundesregierung macht den Leuten Angst“
Der sächsische Ministerpräsident warnt seine Partei davor, den Grünen hinterherzulaufen. Ein Gespräch über Klimapolitik – und die Landtagswahl.
Umfragen zurückhaltend.Wir müssen die Demokratie überall stärken, indem wir sie erlebbar machen. Menschen, die etwas bewegen wollen, müssen die Möglichkeit haben, dieses Interesse auch angehen zu können.Wir haben eine dramatisch hohe staatliche Regulierung. Jeder Handwerker beklagt das. Erst danach kommt der Fachkräftemangel.
Was muss weg?
KRETSCHMER Das wird mit der SPD im Bund schwer werden. Aber: Vorschriften im Arbeitszeitgesetz, Dokumentationspflichten oder das übertriebene Gesetz gegen Scheinselbstständigkeit müssen endlich auf ein erträgliches Maß reduziert werden. Die Bauordnung muss vereinfacht werden. Die Grünen haben einen großen Anteil daran, dass Bauen zum Beispiel im Außenbereich nicht möglich ist. Wir haben hohe Abgaben und Steuern, und dann kommt noch diese Regulierung dazu. Das schafft Frust.
Am 26. August jährt sich die tödliche Messerattacke von Flüchtlingen auf einen Mann in Chemnitz. Anschließend kam es zu Aufmärschen von Rechtsradikalen, die Stadt stand tagelang im nationalen und internationalen Fokus. Wie ist das Bild heute?
KRETSCHMER Wir sind in dieser schweren Zeit sehr zusammengewachsen. Wir wollen, dass die Tat aufgeklärt wird. Und Chemnitz braucht neue Bilder und positive Ereignisse. Die Olympiade von „Jugend forscht“ist ein Beispiel oder die Bewerbung um das Prädikat Kulturhauptstadt Europas.
Zurück zum Kohleausstieg. Was wollen Sie als Ministerpräsident den Menschen in Sachsen für die nächsten fünf Jahre versichern?
KRETSCHMER Wir halten uns an den Kompromiss: Ende 2038 ist Schluss mit der Braunkohle, obwohl wir sie bis 2050 abbauen dürften. Aber dann muss die Diskussion über das Ausstiegsdatum jetzt auch aufhören. Es wäre gut, wenn die Union zur Beruhigung beitragen würde – auch die CSU.
Inwiefern?
KRETSCHMER Die Union muss aufhören, den Grünen hinterherzulaufen. Sonst steht sie plötzlich an einer Stelle, wo sie nicht hingehört. Die Leute müssen sich doch einmal klarmachen, worüber sie sprechen. Deutschland will als einziges Land auf der Welt zeitgleich aus der Atomenergie und Kohleverstromung austeigen. Ob das gelingt, ist noch nicht sicher. Die Braunkohle ist ein leichtes Opfer, weil sie nur vier Bundesländer betrifft: Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen. Darüber reden alle anderen gern, weil sie keinen eigenen Beitrag leisten müssen. Betroffene Bürger stören sich im Übrigen wegen der Schatten und Geräusche vielmehr an Windrädern in der Nachbarschaft als am Braunkohletagebau. Wir brauchen einen Mindestabstand vonWindrädern von 2000 Metern. Das schafft Frieden.
Was macht die Bundesregierung falsch?
KRETSCHMER Die Bundesregierung ist gerade dabei, den Leuten Angst zu machen. Inlandsflüge sollen mehr Geld kosten, und der Autoverkehr soll durch eine CO2-Steuer teurer werden, damit die Bahn stärker genutzt wird. Jeder weiß, dass die Bahntickets nicht billiger werden, nur weil das Fliegen teurer wird. Der erste Schritt wäre doch, Bahntickets billiger zu machen, indem die Öko
steuer wegfällt und die Mehrwertsteuer verringert wird. Zudem muss das Schienennetz weiter ausgebaut werden. Seit es den schnellen ICE von Berlin nach München gibt, steigen viele Menschen vom Flieger auf die Bahn um. Aber wer von Düsseldorf nach Dresden will, braucht mit der Bahn sechseinhalb Stunden. Das ist doch nicht attraktiv. Wir müssen dafür sorgen, dass Eisenbahnlinien in acht bis neun Jahren gebaut werden und nicht in 20 bis 30 Jahren. Wir brauchen vereinfachteVerfahren und weniger Auflagen für den Umweltschutz. Beispiel Radwege: Hier sind Ausgleichsmaßnahmen wie bei einer Straße vorgeschrieben. Warum? Das ist doch ein ökologischerVerkehrsweg – wie eine Bahnstrecke. Da müssten die Auflagen wegfallen.
Sind Sie gegen eine CO2-Steuer?
KRETSCHMER Ich bin gegen nationale Alleingänge, die nur dazu führen, dass die Deutschen belastet werden und die Unternehmen ihre Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. Die Pendler werden diese Zeche bezahlen. Es ist doch völlig sinnfrei zu behaupten, dass die Bürger alle einen Ausgleich bekommen.
Unterstützen Sie den Vorstoß der CDU-Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer für ein soziales Dienstpflichtjahr für alle?
KRETSCHMER Voraussetzung wäre ein breiter gesellschaftlicher Konsens. Wir wollen in Sachsen den Volkseinwand einführen, damit Bürger Gesetze anhalten können, die sie für falsch halten. Das ist nötig, damit nicht nur eine Wahl alle paar Jahre ein Korrektiv ist. Auch zu einer Dienstpflicht sollte man die Bevölkerung zumindest befragen. Das Ergebnis wäre für den Bundestag zwar nicht bindend, würde aber sicher nicht übergangen werden.Was wir auf jeden Fall brauchen, ist der Ausbau der Freiwilligendienste.