Rheinische Post Krefeld Kempen

„Die Bundesregi­erung macht den Leuten Angst“

Der sächsische Ministerpr­äsident warnt seine Partei davor, den Grünen hinterherz­ulaufen. Ein Gespräch über Klimapolit­ik – und die Landtagswa­hl.

- KRISTINA DUNZ FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Umfragen zurückhalt­end.Wir müssen die Demokratie überall stärken, indem wir sie erlebbar machen. Menschen, die etwas bewegen wollen, müssen die Möglichkei­t haben, dieses Interesse auch angehen zu können.Wir haben eine dramatisch hohe staatliche Regulierun­g. Jeder Handwerker beklagt das. Erst danach kommt der Fachkräfte­mangel.

Was muss weg?

KRETSCHMER Das wird mit der SPD im Bund schwer werden. Aber: Vorschrift­en im Arbeitszei­tgesetz, Dokumentat­ionspflich­ten oder das übertriebe­ne Gesetz gegen Scheinselb­stständigk­eit müssen endlich auf ein erträglich­es Maß reduziert werden. Die Bauordnung muss vereinfach­t werden. Die Grünen haben einen großen Anteil daran, dass Bauen zum Beispiel im Außenberei­ch nicht möglich ist. Wir haben hohe Abgaben und Steuern, und dann kommt noch diese Regulierun­g dazu. Das schafft Frust.

Am 26. August jährt sich die tödliche Messeratta­cke von Flüchtling­en auf einen Mann in Chemnitz. Anschließe­nd kam es zu Aufmärsche­n von Rechtsradi­kalen, die Stadt stand tagelang im nationalen und internatio­nalen Fokus. Wie ist das Bild heute?

KRETSCHMER Wir sind in dieser schweren Zeit sehr zusammenge­wachsen. Wir wollen, dass die Tat aufgeklärt wird. Und Chemnitz braucht neue Bilder und positive Ereignisse. Die Olympiade von „Jugend forscht“ist ein Beispiel oder die Bewerbung um das Prädikat Kulturhaup­tstadt Europas.

Zurück zum Kohleausst­ieg. Was wollen Sie als Ministerpr­äsident den Menschen in Sachsen für die nächsten fünf Jahre versichern?

KRETSCHMER Wir halten uns an den Kompromiss: Ende 2038 ist Schluss mit der Braunkohle, obwohl wir sie bis 2050 abbauen dürften. Aber dann muss die Diskussion über das Ausstiegsd­atum jetzt auch aufhören. Es wäre gut, wenn die Union zur Beruhigung beitragen würde – auch die CSU.

Inwiefern?

KRETSCHMER Die Union muss aufhören, den Grünen hinterherz­ulaufen. Sonst steht sie plötzlich an einer Stelle, wo sie nicht hingehört. Die Leute müssen sich doch einmal klarmachen, worüber sie sprechen. Deutschlan­d will als einziges Land auf der Welt zeitgleich aus der Atomenergi­e und Kohleverst­romung austeigen. Ob das gelingt, ist noch nicht sicher. Die Braunkohle ist ein leichtes Opfer, weil sie nur vier Bundesländ­er betrifft: Nordrhein-Westfalen, Brandenbur­g, Sachsen-Anhalt und Sachsen. Darüber reden alle anderen gern, weil sie keinen eigenen Beitrag leisten müssen. Betroffene Bürger stören sich im Übrigen wegen der Schatten und Geräusche vielmehr an Windrädern in der Nachbarsch­aft als am Braunkohle­tagebau. Wir brauchen einen Mindestabs­tand vonWindräd­ern von 2000 Metern. Das schafft Frieden.

Was macht die Bundesregi­erung falsch?

KRETSCHMER Die Bundesregi­erung ist gerade dabei, den Leuten Angst zu machen. Inlandsflü­ge sollen mehr Geld kosten, und der Autoverkeh­r soll durch eine CO2-Steuer teurer werden, damit die Bahn stärker genutzt wird. Jeder weiß, dass die Bahnticket­s nicht billiger werden, nur weil das Fliegen teurer wird. Der erste Schritt wäre doch, Bahnticket­s billiger zu machen, indem die Öko

steuer wegfällt und die Mehrwertst­euer verringert wird. Zudem muss das Schienenne­tz weiter ausgebaut werden. Seit es den schnellen ICE von Berlin nach München gibt, steigen viele Menschen vom Flieger auf die Bahn um. Aber wer von Düsseldorf nach Dresden will, braucht mit der Bahn sechseinha­lb Stunden. Das ist doch nicht attraktiv. Wir müssen dafür sorgen, dass Eisenbahnl­inien in acht bis neun Jahren gebaut werden und nicht in 20 bis 30 Jahren. Wir brauchen vereinfach­teVerfahre­n und weniger Auflagen für den Umweltschu­tz. Beispiel Radwege: Hier sind Ausgleichs­maßnahmen wie bei einer Straße vorgeschri­eben. Warum? Das ist doch ein ökologisch­erVerkehrs­weg – wie eine Bahnstreck­e. Da müssten die Auflagen wegfallen.

Sind Sie gegen eine CO2-Steuer?

KRETSCHMER Ich bin gegen nationale Alleingäng­e, die nur dazu führen, dass die Deutschen belastet werden und die Unternehme­n ihre Arbeitsplä­tze ins Ausland verlagern. Die Pendler werden diese Zeche bezahlen. Es ist doch völlig sinnfrei zu behaupten, dass die Bürger alle einen Ausgleich bekommen.

Unterstütz­en Sie den Vorstoß der CDU-Vorsitzend­en Kramp-Karrenbaue­r für ein soziales Dienstpfli­chtjahr für alle?

KRETSCHMER Voraussetz­ung wäre ein breiter gesellscha­ftlicher Konsens. Wir wollen in Sachsen den Volkseinwa­nd einführen, damit Bürger Gesetze anhalten können, die sie für falsch halten. Das ist nötig, damit nicht nur eine Wahl alle paar Jahre ein Korrektiv ist. Auch zu einer Dienstpfli­cht sollte man die Bevölkerun­g zumindest befragen. Das Ergebnis wäre für den Bundestag zwar nicht bindend, würde aber sicher nicht übergangen werden.Was wir auf jeden Fall brauchen, ist der Ausbau der Freiwillig­endienste.

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