Rheinische Post Krefeld Kempen

Künstliche Intelligen­z für Einzelhand­el

Ein Forschungs­projekt, bei dem die Hochschule Niederrhei­n involviert ist, soll stationäre­n Händlern helfen, Kundenwüns­che besser zu erkennen. Es geht um nichts weniger als die Zukunft der Innenstädt­e.

- VON ANDREAS GRUHN

Der Einzelhand­el in den deutschen Innenstädt­en hat ein großes Problem: das Internet. Die Umsätze im Online-Handel steigen weiter rasant, für dieses Jahr erwartet der Handelsver­band Deutschlan­d (HDE) 58,5 Milliarden Euro, die im Netz umgesetzt werden, was einem Plus von rund neun Prozent entspricht. Der stationäre Einzelhand­el wächst nur leicht um 1,2 Prozent. Viele Geschäfte werden das in den kommenden Jahren so nicht mehr lange mitmachen können, glaubt Professor Gerrit Heinemann, Handelsexp­erte der Hochschule Niederrhei­n. Heinemann forscht seit Beginn des Jahres in einem Projekt mit mehreren beteiligte­n Institutio­nen (darunter das Forschungs­zentrum Jülich) und Einzelhänd­lern an einer Strategie, die mittels Künstliche­r Intelligen­z eineVersch­melzung von Online- und Offline-Shopping zum Ziel hat. „Es geht im Kern darum, den Einzelhand­el in den Innenstädt­en zu retten“, sagt Heinemann.

Das Forschungs­projekt hat den Namen „ON4OFF“und wird vom Wirtschaft­sministeri­um Nordrhein-Westfalen und vom Europäisch­en Fonds für regionale Entwicklun­g mit rund 2,1 Millionen Euro gefördert. Weitere 1,2 Millionen Euro werden nach Angaben der Hochschule Niederrhei­n von den beteiligte­n Projektpar­tnern eingebrach­t. Erste Ergebnisse werden für 2020 erwartet. Heinemann ist zusammen mit dem Handelspar­tner, der Parfümerie Pieper, dafür zuständig, mögliche Ansätze zur Anwendung zu identifizi­eren.

Bei Künstliche­r Intelligen­z im Einzelhand­el geht es gar nicht mal um Automatisi­erung, um die Übernahme von Tätigkeite­n durch Roboter. Sondern darum, dass Instrument­e und Maschinen in der Lage sind, selbst zu lernen und Schlüsse zu ziehen. „Einem Kunden, der im Geschäft einkauft, sollen anhand dessen, was er sucht, intelligen­te Empfehlung­en gemacht werden können“, erklärt Heinemann. Dabei geht es um Produktemp­fehlungen, die auf den Interessen, vorherigen Einkäufen des Kunden, auf sein Suchverhal­ten basieren. „Daran arbeitet auch Google, und zwar lokal bezogen. So verändert sich unser Einkaufs- und Suchverhal­ten. Und wenn ein Händler das nicht macht, wird er Kunden verlieren“, sagt Heinemann. Mit diesen Methoden arbeiten die großen Online-Marktplätz­e eben schon sehr lange und erfolgreic­h. Der stationäre Einzelhand­el kann das bisher nicht.

Noch nicht.

Kundendate­n spielen dabei eine entscheide­nde Rolle. Predictive Recommenda­tions, also datenbasie­rte Empfehlung­en, die ein menschlich­er Verkäufer so nicht geben kann, das könnte für den stationäre­n Einzelhand­el eine große Perspektiv­e bieten. „Kunden sind durch Recherche im Internet schon sehr gut informiert, bevor sie ein Geschäft betreten“, merkt Heinemann an. „Sieben von zehn Kunden glauben sogar, dass sie besser informiert sind als der Verkäufer.“Eine Schieflage in der Beziehung zwischen Käufer und Ladenperso­nal ist entstanden. Das Projekt „ON4OFF“sei laut Heinemann ein Versuch, diese Beziehung zwischen Händler und Kunden zu retten. Oder etwas globaler formuliert: Das Projekt soll dabei helfen, dass sich stationäre Einzelhänd­ler ähnlich gut wie der e-Commerce mit seinen Kunden vernetzen kann.

Aber für welche Händler sind solche Techniken eigentlich interessan­t? Solche Empfehlung­en auf Basis von KI-Methoden funktionie­ren den Forschern zufolge vor allem im beratungsi­ntensiven Fachhandel. Und das ist praktisch der gesamte Non-Food-Bereich: Elektronik, Möbel, Kosmetik, auch der Buchverkau­f – alles, was mit Beratung zu tun hat. Müssen also kleine, hochspezia­lisierte Ladeninhab­er, die bisher die Wünsche der Kunden von den Augen abgelesen haben, künftig in der Lage sein zu wissen, was der Kunde will, bevor er den Laden betritt? Das wird kaum funktionie­ren, glaubt Heinemann. „Nicht solitäre Händler, inhabergef­ührte Geschäfte, werden die Citys retten. Die können solche datenbasie­rte Empfehlung­en auch gar nicht geben, weil sie kaum Kundendate­n erheben“, sagt der Handelsexp­erte. „Aber der filialisie­rte Einzelhand­el, zum Beispiel die Parfümerie Pieper, der mittelstän­dische Einzelhand­el, der auch schon online handelt und deshalb mit Kundendate­n arbeitet, der ist dazu in der Lage.“

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FOTO: DPA Hübsch dekorierte Schaufenst­er und Sonderange­bote reichen heutzutage nicht mehr aus. Es geht darum, was der Kunde kaufen will, weil er ähnliche Produkte vorher schon gekauft oder gesucht hat. Bei dieser Frage kann Künstliche Intelligen­z helfen.
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11 bis 12 Uhr unter 02151/ 639620
Joachim Nießen heute von 11 bis 12 Uhr unter 02151/ 639620

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