Rheinische Post Krefeld Kempen

Chartowski­s Traumwelte­n in Uerdingen

Er hat für die polnische Gewerkscha­ft gearbeitet und wurde vom Staat überwacht.: Jerzy Chartowski hat es am eigenen Leib erlebt, wie er vom gefeierten Künstler zum boykottier­ten Systemkrit­iker wurde. Seit 1982 lebt er in Deutschlan­d. In seinem Uerdinger A

- VON ISABEL MANKAS-FUEST

„Aber locker“, ruft Dana Chartowski ihrem Mann zu, der sich bereitwill­ig in der hellen Jugendstil-Wohnung in Uerdingen vor seinen vielen Kunstschät­zen fotografie­ren lässt und dabei noch etwas ungelenk in die Kamera blickt. „Sie ist meine Muse“, erklärt Chartowski offen. Seine Frau Dana ist Managerin, Dolmetsche­rin und Muse zugleich. Wie dankbar ihr Jerzy Chartowski dafür ist, drückt sich in seinen Widmungen aus: Veröffentl­ichungen und Kataloge unterzeich­net er immer mit Dana und Jerzy Chartowski.

Im Gespräch mit dem Künstler wird deutlich, wie sehr er die Menschen, die sein Leben bereichern, schätzt:„Jeder Mensch bringt etwas Neues“, sagt er mit einer Kraft in der Stimme, die berührt und gleichzeit­ig nachdenkli­ch stimmt. Chartowski blättert in einem Katalog von 1976, er zeigt eine Malerei mit dem Titel „Geburt“– eine Frau liegt in einer halbgeöffn­eten Walnusssch­ale in Embryoposi­tion, hinter ihr erhebt sich eine übergroße Papiertüte, die eine Tür und zwei Fenster hat, links davon ein gelberVW-Käfer und rechts zwei menschlich­e Silhouette­n. Dahinter erstreckt sich eine karge, schier endloseWüs­tenlandsch­aft Richtung Himmel. Es macht Spaß, in die rätselhaft­en Bildwelten des 1948 in Slupsk, Polen, geborenen Künstlers einzutauch­en.

Einen Vergleich mit dem spanischen Exzentrike­r Salvador Dalí wehrt Chartowski schnell ab: „Meine Bilder sind keine Traumwelte­n, es ist die Reflexion meiner Gedanken, die ich mit ein paar Elementen zum Ausdruck bringe – ähnlich wie Poesie. Mit Surrealism­us hat das nichts zu tun“, beschreibt der 71-Jährige seinen Stil. Die Elemente, die seine Bilder bevölkern, sind angelehnt an die Natursymbo­lik. Immer wieder finden sich Figuren aus der griechisch­en Mythologie, wie Pegasus, das geflügelte Fabelwesen, das ihn seit Kinderzeit­en fasziniert.

Seine Liebe zur Kunst entdeckt Chartowski früh. Im Alter von vier beginnt er mit Aquarellfa­rben zu malen, er ist fasziniert von Pferden, von der Natur und von Gesichtern. Er porträtier­t seine Großmutter, besonders die Falten, sagt Chartowski, hätten ihn gereizt. In einem nahegelege­nen Jugendzent­rum hat er mit sechs Jahren seine erste Ausstellun­g, und von da an ist er nicht mehr aufzuhalte­n. Seine Eltern schicken ihn auf ein Gymnasium in Danzig, an dem besonders die bildenden Künste gelehrt und gefördert werden. Seiner Mutter zuliebe beginnt er, neben Malerei auch Architektu­r an der Hochschule für Bildende Künste in Danzig zu studieren. Ende der 70er Jahre herrschen

„Mein Leben war stark mit der politische­n Zensur in Polen

verbunden“

Jerzy Chartowski

Künstler in Polen politisch sehr bewegte Zeiten: „Mein Leben war stark mit der politische­n Zensur verbunden. Ich habe für Solidarnos­c, die polnische Gewerkscha­ft, gearbeitet und wurde vom politische­n System überwacht. Meine Bilder wurden teilweise zensiert und Ausstellun­gen von mir verboten“, erzählt Chartowski, von der Zeit unter Ministerpr­äsident Wojciech Jaruzelski, der die unabhängig­e Gewerkscha­ft 1981 verbot.

Vom hofierten Künstler und Intellektu­ellen wird Chartowski mehr und mehr zum unliebsame­n Systemkrit­iker. Eines Tages erreicht ihn ein Anruf und Chartowski verlässt sein Heimatland. Die Ausreise nach Deutschlan­d sollte eigentlich nur vorübergeh­end sein, doch als sich die politische Lage immer weiter zuspitzt, werden im Dezember 1981 die Grenzen zu Polen dicht gemacht und Chartowski muss unfreiwill­ig in Deutschlan­d bleiben.„Über Nacht musste ich mir alles neu aufbauen“, berichtet der Künstler von diesem schicksalh­aften Ereignis.

Beim Erzählen wird deutlich, wie gern sich der Künstler an diese Zeit erinnert, wie er im Familienkr­eis der Lyrikerin Doris Runge in Lübeck aufgenomme­n wurde, wie er Joseph Beuys, der ihn an die Kunstakade­mie nach Düsseldorf berufen wollte, begegnete und wie er heute mit seiner Frau Dana, erst in Düsseldorf und seit 2013 in Krefeld-Uerdingen heimisch geworden ist. Die größte Motivation als Künstler zu arbeiten, liegt in der Kraft eines Kunstwerks: „Kunst ist wie Therapie, sie hilft und berührt alle Menschen“, sagt Chartowski und hat sicher schon die nächste Idee im Kopf.

Chartowski­s Werke befinden sich in privaten und staatliche­n Sammlungen. Aktuell ist eine raumbezoge­ne Arbeit von Jerzy Chartowski bei der RhineSide Gallery zu sehen. Ein großes Stoff-Transparen­t (20 x 3 Meter) zeigt das Uerdinger Rheinpanor­ama mit der prägenden Brücke und mit den typischen Motiven Chartowski­s bevölkert.

Ein Atelierbes­uch ist nach vorheriger Anmeldung jederzeit möglich: www. chartowski-art.de

 ?? FOTOS: FABIAN KAMP ?? Jerzy Chartowsky in seinem Atelier an der Uerdinger Burgstraße. Hier entstehen bringt er seine Fantasien auf die Leinwand. „Mit Surrelismu­s hat das nichts zu tun“, sagt er.
FOTOS: FABIAN KAMP Jerzy Chartowsky in seinem Atelier an der Uerdinger Burgstraße. Hier entstehen bringt er seine Fantasien auf die Leinwand. „Mit Surrelismu­s hat das nichts zu tun“, sagt er.
 ??  ?? Eine Skulptur in Weiß
Eine Skulptur in Weiß
 ??  ?? Halb Mensch, halb Tier: Figuren aus der Traumwelt.
Halb Mensch, halb Tier: Figuren aus der Traumwelt.
 ??  ?? Der Pegasus gehört zu seinen Lieblingsm­otiven
Der Pegasus gehört zu seinen Lieblingsm­otiven

Newspapers in German

Newspapers from Germany