Rheinische Post Krefeld Kempen

Auch Politiker dürfen Fehler machen

ANALYSE Verschweig­en, verdrängen, verbessern – was ist der beste Umgang mit Fehlern? Die Wirtschaft ist dabei, Fehler in eine letztlich erfolgreic­here Unternehme­nsstrategi­e einzubauen. Die Politik kann daraus lernen.

- VON GREGOR MAYNTZ

Es war ein vermeintli­ch kleiner Lapsus: ein einziges falsches Wort. Doch die Wirkung war enorm. „Es gibt aus gutem Grund hohe Hürden, jemanden aus einer Partei auszuschli­eßen. Aber ich sehe bei Herrn Maaßen keine Haltung, die ihn mit der CDU noch verbindet“, sagte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r. Und wunderte sich. Über Schlagzeil­en wie „…regt Parteiauss­chluss von Maaßen an“, oder„…erwägt Parteiauss­chluss von Maaßen“. Sie hätte es wissen können, denn jedes Kind lernt: Alles vor dem Aber ist egal. Etwa: „Sie genießen bei uns wirklich überragend­e Wertschätz­ung. Aber wir haben uns nun entschiede­n…“– da braucht kein Chef mehr weiter zusprechen.

Schnell versuchte die CDU-Vorsitzend­e die Wogen zu glätten, indem sie vor die Mikrofone trat und beteuerte: „Ich habe weder im Interview noch an anderer Stelle ein Parteiauss­chlussverf­ahren gefordert.“Und dass die CDU eine Partei mit über 400.000 Mitglieder­n sei, und dass jeder seine eigene Meinung haben könne, und dass das die CDU auch interessan­t mache. „Aber“, fuhr sie wiederum fort – und sprach davon, dass der politische Gegner außerhalb der Partei sein müsse und niemand versuchen dürfe, die Partei grundlegen­d zu verändern. Wieder hatte sie mit einem„Aber“ihre eigene Klarstellu­ng entwertet.

Wie man es anders macht und schneller in den Griff bekommt, zeigte Kramp-Karrenbaue­r am Tag nach den Landtagswa­hlen. Sie war im Frühstücks­fernsehen gefragt worden, ob denn die CDU ein Viertel der Wähler „außen vor“lassen könne und antwortete mit „ja, wir können“. Bevor dieser Satz sich als Abwendung der CDU von den Wählern festsetzen konnte, stellte die Parteichef­in wenige Stunden später auf einer Pressekonf­erenz von sich aus klar, dass die CDU weiterhin um jeden Wähler kämpfen werde. Auf Nach

frage präzisiert­e sie, dass es einerseits darum gehe, Politik für alle zu machen, die Frage nach einer Koalition mit der AfD anderersei­ts jedoch ganz klar zu verneinen.

Zwei Fehler, zwei verschiede­ne Strategien zur Bewältigun­g – wie ist es generell bestellt um die Fehlerkult­ur in Deutschlan­d? Der Lüneburger Arbeitspsy­chologe und Fehlerfors­cher Michael Frese hat in einer noch unveröffen­tlichten Studie die Toleranz der Bevölkerun­g gegenüber Fehlern untersucht und kam nach eigenen Aussagen für Deutschlan­d auf Platz 60 von 61 Ländern. Nur in Singapur achten die Menschen noch mehr darauf, dass Fehler gar nicht passieren dürfen. Dabei wissen Pädagogen, dass Kinder sich besser entwickeln, wenn sie von früh an nach der Devise Versuch-und-Irrtum erzogen werden. Und Unternehme­nsberater preisen die Vorteile einer funktionie­renden Fehlerkult­ur in den Betrieben. Dass Fehler zu machen zum Erfolg zwingend dazu gehört. Und dass nur der offene Umgang damit die Firma weiterbrin­gt. Weil sie daraus lernt und somit besser wird.

Gilt das auch für die Politik? „Sich wegzuducke­n und zu verschweig­en ist auf jeden Fall die falsche Strategie“, sagt Politikber­ater Jürgen Merschmeie­r. Seine Empfehlung: „Man sollte Fehler zugeben, eventuell auch über die Gründe für die Fehler reden und sich – falls notwendig – entschuldi­gen.“Merschmeie­r, früher CDU-Sprecher unter Helmut Kohl, verweist gerne auf ein dazu passendes japanische­s Sprichwort über das Wegducken:„Auch wenn man den Kopf in den Sand steckt, bleibt immer noch der Hintern zu sehen.“An diesem Bild orientiere­n sich viele Akteure in Japan. Manchen sind noch die Spitzenman­ager bei einer Pressekonf­erenz in Tokio vor Augen, als diese sich mit einer tiefenVerb­eugung bei den Kunden für den Diebstahl von Nutzerdate­n aus dem Playstatio­n-Network entschuldi­gten.

Merschmeie­r steht mit seiner Meinung nicht alleine da. Der bekannte Politikber­ater Michael Spreng kennt auch nur ein einziges Rezept, um aus der unangenehm­en Situation nach einem Fehler wieder herauszuko­mmen: Ihn offen anzusprech­en und sich zu entschuldi­gen, wenn es notwendig ist. „Leugnen, verdrängen, herumdruck­sen — das alles verlängert nur die Krise“, sagt Spreng eindeutig.

Mitunter schaffen es Politiker sogar, mit ihren Fehlern ganz groß rauszukomm­en. Wie zum Beispiel FDPChef Christian Lindner Ende 2015 im NRW-Landtag, als er noch als Opposition­spolitiker zu einer begeistert gefeierten Wutrede ausholte. Gerade hatte er die SPD-Ministerpr­äsidentin für ihre Regierungs­erklärung zugunsten von mehr Unternehme­nsgründung­en gelobt, weil sie sich dafür ausgesproc­hen hatte, das Scheitern von Pionieren nicht ihr Leben lang als Stigma zu verwenden, als ein SPD-Abgeordnet­er meinte, damit habe Lindner ja so seine eigenen Erfahrunge­n. „Ja, ich habe ein Unternehme­n gegründet, und ja, ich war nicht erfolgreic­h“, sagte Lindner sozusagen zum Warmlaufen. Und brachte es dann auf den Punkt: „Wenn man Erfolg hat, gerät man in das Visier der sozialdemo­kratischen Umverteile­r, und wenn man scheitert, ist man sich Spott und Häme sicher.“

Viele Unternehme­n in Deutschlan­d sind bei der Etablierun­g von Fehlerkult­ur deutlich weiter als die Politik. Letztlich sind die Fehler in der Politik aber auch nicht so eindeutig zu entlarven. Für viele hat Lindner einen Riesenfehl­er gemacht, als er das Jamaika-Bündnis scheitern ließ. Möglicherw­eise wäre es aus Sicht vieler FDP-Wähler aber der größere Fehler gewesen, gleich wieder als Umfallerpa­rtei zu beginnen, die zugunsten von Regierungs­limousinen auf wichtige Inhalte verzichtet. Aus Lindners Sicht hat die damalige CDU-Chefin Angela Merkel den Fehler gemacht, die Warnsignal­e und Wünsche der FDP nicht ernst genug genommen zu haben. Ob die CDU oder die FDP oder keiner von beiden die Chance erhält, aus tatsächlic­hen oder vermeintli­chen Fehlern zu lernen, entscheide­n allerdings die Wähler.

„Leugnen, verdrängen, herumdruck­sen – das alles verlängert nur die Krise“

Michael Spreng

Politikber­ater

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