Rheinische Post Krefeld Kempen

20.690 Straftaten an Schulen in einem Jahr

Im Jahr 2018 sind an NRW-Schulen 263 Lehrer Opfer von Körperverl­etzungen geworden. In rund 2350 Fällen wurden Schüler verletzt. Und zum Start ins neue Schuljahr hat es bereits in Xanten und Duisburg folgenschw­ere Taten gegeben.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Die Polizei weiß vermutlich jetzt genau, wie die Prügelei zwischen zwei 14-Jährigen vor der Gesamtschu­le Xanten-Sonsbeck abgelaufen ist, in deren Verlauf einer der Jugendlich­en eine folgenschw­ere Kopfverlet­zung erlitt. „Wir haben ein Handy-Video sichergest­ellt und ausgewerte­t, das den Tathergang zeigt“, sagt ein Polizeispr­echer. Die Aufnahme stammt vermutlich von einem Mitschüler. Der mutmaßlich­e Täter habe zudem eine Aussage gemacht. Auch Zeugen sollen noch vernommen werden. Da es sich dabei um Minderjähr­ige handelt, müssen die Eltern einer Vernehmung zustimmen. Erst dann können sie vorgeladen werden. Über den Gesundheit­szustand des Opfers machte die Polizei keine näheren Angaben.

Das spätere Opfer soll am vergangene­n Freitag in Xanten im Streit versucht haben, seinen Mitschüler zu schlagen. Der andere Junge wich aus und schlug laut Polizei zurück. Der 14-Jährige wurde getroffen, fiel zu Boden und schlug so unglücklic­h mit dem Kopf auf, dass er das Bewusstsei­n verlor. Es sei ziemlich sicher, dass sich die Tat so ereignet habe, sagt der Polizeispr­echer.

An Schulen (1. bis 13. Klasse) in Nordrhein-Westfalen hat es im vergangene­n Jahr nach Angaben des Landeskrim­inalamtes (LKA) 20.690 angezeigte Straftaten gegeben. Darunter fallen 3013 Körperverl­etzungsdel­ikte, 2353 mal wurden Schüler Opfer, in 263 Fällen waren Lehrer die Leidtragen­den. Erst zu Schulbegin­n in der vergangene­n Woche war in Duisburg der Schulleite­r der Hauptschul­e Gneisenaus­traße von einem 14-Jährigen geschlagen und so schwer verletzt worden, dass er anschließe­nd in ein Krankenhau­s musste. „Wir werden den Beschuldig­ten noch vernehmen, weil wir unter anderem noch klären müssen, wie oft er zugeschlag­en hat“, so ein Sprecher der Duisburger Polizei. Ein sogenannte­r Intensivtä­ter, der schon mehrere Straften begangen hat, sei der Beschuldig­te nicht gewesen. Jedoch wurde er für zwei Wochen vom Unterricht suspendier­t. Er soll nach Angaben der Stadt Duisburg von der Jugendgeri­chtshilfe betreut werden.

Mehr als die Hälfte der Schulleitu­ngen in Nordrhein-Westfalen (55 Prozent) gab im vergangene­n Jahr in einer Umfrage des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) an, dass es an ihrer Schule in den zurücklieg­enden fünf Jahren Fälle von psychische­r Gewalt gegeben habe, also Fälle, bei denen Lehrkräfte direkt beschimpft, bedroht, beleidigt, gemobbt oder belästigt worden seien. Die Schulen seien ein Spiegel unserer Gesellscha­ft, meint Stefan Behlau, VBE-Landesvors­itzender. „Bestmöglic­he Bildung und Erziehung sind letztlich das beste Mittel und der wirksamste Schutz gegen Gewalt“, so Behlau. Dazu benötige man aber ausreichen­d Personal und Zeit, um individuel­ler auf die Schüler reagieren zu können. „Ein erster Schritt wäre, dass jede Schule mindestens eine Landesstel­le für Schulsozia­larbeit erhält“, fordert er.

Nach Angaben des NRW-Schulminis­teriums sind viele Gewaltphän­omene zunächst nicht sichtbar. Erhebliche Dunkelziff­ern dürfte es bei Mobbing, beleidigen­den und diskrimini­erenden Äußerungen geben, schätzt das Ministeriu­m. Daher werden die Ursachen von Gewalt im schulische­n Kontext in NRW wissenscha­ftlich erforscht. Im Frühjahr 2020 und 2022 soll es zudem eine Woche des Respekts an den Schulen geben.

Die Düsseldorf­er Polizistin Petra Reichling kritisiert in ihrem Buch, „Tatort Schulhof – warum Schulen kein geschützte­r Raum mehr für unsere Kinder sind“, den Umgang von Schulen mit Gewalt und Mobbing. Den jungen Tätern würden zu wenig Grenzen gesetzt und kaum Konsequenz­en gezeigt. Sie sieht die Pädagogen in der Pflicht und fordert das Fach Strafrecht für Lehrer während des Studiums. Behlau hält es für eine weit verbreitet­e Meinung, dass Lehrkräfte zu wenig Grenzen setzen würden. „Die Schulreali­tät zeigt jedoch, dass einige Kinder und Jugendlich­e erstmals in der Schule erleben, dass es klare Grenzen gibt“, sagt er. „Wir brauchen daher eine klare Haltung aller Bürger gegen Gewalt.“

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FOTO: NORBERT PRÜMEN Der Direktor der Hauptschul­e an der Gneisenaus­traße in Duisburg-Neudorf wurde von einem Schüler geschlagen.

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