Rheinische Post Krefeld Kempen
Ein Regisseur übt für Bayreuth
Valentin Schwarz, 1989 in Österreich geboren, wird im kommenden Jahr am Grünen Hügel Richard Wagners riesigen „Ring des Nibelungen“inszenieren. Jetzt hat er sich an Giacomo Puccinis Oper „Turandot“in Darmstadt versucht.
DARMSTADT Neben den akustischen Besonderheiten des Bayreuther Festspielhauses herrscht dort ein eklatanter Mangel: Es gibt keinen Flurfunk. Querelen werden schweigend ausgesessen. Personalien bleiben unter der Decke – bis sie aus dem Zylinder gezaubert werden.
Lange Zeit herrschte auch Nacht über Bayreuth bei der Frage, wer denn im Jahr 2020 den neuen „Ring des Nibelungen“inszenieren werde. Dann schälte sich in der Summe diverserVerdachtsmomente der Name von Tatjana Gürbaca heraus, der scharfsinnigen Regisseurin, die auch schon mehrfach an der Rheinoper gearbeitet hat. Indizien häuften sich, aber keiner wusste Genaues.
Schließlich nannte Kantharina Wagner den Namen von Valentin Schwarz, einem vergleichsweise jungen Österreicher. Der hatte das Start-Stipendium des Österreichischen Kulturministeriums bekommen, das Richard-Wagner-Stipendium und den„Opera Management Course“der Opera Europe. Den „Ring Award“, einen internationalen Musiktheaterwettbewerb für Regie und Bühnengestaltung, gewann er 2017 mit seinem Bühnenund Kostümbildner Andrea Cozzi für die Konzeption von Donizettis „Don Pasquale“in Graz. Zuvor hatte er Musiktheater-Regie bei Paul Esterházy in Wien studiert.
Demnächst also der „Ring“– und das ist ein guter Grund, Schwarz bei einem anderen Chefstück zu erleben, Puccinis „Turandot“in Darmstadt. Bei der Besichtigung dort kam man zu der Erkenntnis, dass abermals ein Opernheld, bevor der Vorhang hochgeht, besser mal zum Psychiater geschickt würde. Den Aspekt der erwartbaren Eigenoder Fremdgefährdung kennt man ja auch von anderen Meistersingern: etwa von Macbeth, der Königin der Nacht, von Salome, Otello, Siegfried, Hagen, Isolde, Lucia oder Ortrud.
In Darmstadt ist Calaf, bei Puccini ein ekstatischer Prinz auf standesgemäß royalen Freiersfüßen, ein Maler mit bescheidenem Atelier und ebensolcher Begabung, der nach eher gegenständlichen Studien einen visionären Rausch auf die Leinwand gepinselt und darüber eine heftige Wahnstörung entwickelt hat: Dringend müsse er – koste es ihn auch das Leben – die chinesische Prinzessin heiraten.
Die ist, glaubt Valentin Schwarz, nichts anderes als eine abgespaltene dunkle Seite von Calafs verwirrtem Ich. In Schwarz‘ Lesart hat sich Maler Calaf die Inspiration zu seinen Halluzinationen in Musikvideos geholt, wonach Turandot aussieht wie Lady Gaga: tonnenweise Schwärze um die Augen, Overknees aus Lackleder mit turmhohen Absätzen, vulgär lockende Zunge. Dieser Vamp mit platinblondem Haar und Brautkleid becirct den Maler per Hypnose, trotzdem löst Calaf alle Rätsel. Ringsum tut sich das China-Bild auf, das bei ihm und seinen Klischeepinseln herrscht: Terrakotta-Krieger, Reisbauern mit Kegelhüten, wimmerndeWeiber, Männer im Samurai-Look (Ausstattung: Andrea Cozzi und Pascal Seibicke).
Nach 15 Minuten beginnt man sich zu langweilen über die Einfalt, mit der Schwarz die Figuren bewegt,
als lasse er sie improvisieren. Wenn Turandot ihre Ausweglosigkeit begreift, trommelt sie mit wütenden Fäustchen auf ein Pferd aus Pappmaché ein. Zuvor hatte die Sklavin Liù in einem pubertären Wutanfall auf den Maler eingetrommelt, weil er ihre Gefühle nicht erwidert.
Auch die Trommeln im Orchester ruhen nie: Dirigent Giuseppe Finzi interessiert an Puccinis Partitur vor allem das Phänomen der Brutalität, das Orchester exekutiert sie verlässlich. Differenzierter geht es zu bei den Sängern, am stärksten bei Jana Baumeisters famoser Liù, Aldo di Toros robustem Calaf, Soojin Moon eisiger Turandot und dem expansiven Chor. Köstlich die drei Mandarine, die leider wie Marionetten über jedes Reisstäbchen springen müssen, das ihnen der Regisseur hinhält.
Um den Abend mit weiterer Düsternis aufzuladen, hat Schwarz die originale Fragment-Fassung gewählt; die Liebesheirat (in Franco Alfanos hinzukomponiertem Schluss) fällt aus. Am Ende steht Liùs Selbstmord, aus dem aber das Rettende wächst: Im Angesicht ihrer Leiche erwacht Calaf unter malerischem Bühnenregen aus seinem Künstlerwahn. Lady Turandot muss derweil, weiter oben und fast im Himmel, immer noch aufpassen, dass sie auf den Stufen nicht ins Stolpern gerät.
Standfestigkeit wünschen wir auch dem Regisseur. Bis zum„Ring“bleiben Schwarz nur noch knapp zehn Monate. Im Opernbetrieb ist das übermorgen. Keiner schlafe!