Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Leere in Merkels Kanzleramt

Seit die Kanzlerin in eine Kunstdebat­te geraten ist, lässt sie eine Wand in ihrem Büro lieber weiß.

- VON KLAS LIBUDA

DÜSSELDORF Die Deutschen umgeben sich am Arbeitspla­tz gerne mit Kunst, das will ein Unternehme­n für Bürobedarf in einer Umfrage herausgefu­nden haben. 60 Prozent der Befragten gaben an, Kunst im Büro zu haben; 71 Prozent glaubten, dass sie das glücklich macht. Das beliebtest­e Motiv der Deutschen ist laut der Studie übrigens die Küstenland­schaft. Und auch wenn in letzter Zeit viel von der Entfremdun­g zwischen Politik und Bürgern die Rede ist – glaubt man den Zahlen, muss man sagen, dass die Bundeskanz­lerin in puncto Geschmack nah bei den Leuten ist.

Auch Angela Merkel umgab sich an ihrem Arbeitspla­tz im Bundeskanz­leramt über Jahre mit maritimer Landschaft­smalerei, mit Emil Noldes Gemälde„Brecher“von 1936 nämlich. Glücklich gemacht hat sie das Kunstwerk, das eine Welle zeigt, zuletzt nicht mehr. Anfang April gab sie die Leihgabe sowie Noldes „Blumengart­en in Alsen“zurück, vorausgega­ngen war eine Debatte über ihre Büro-Ausstattun­g.

Ende März hatte Felix Krämer, Generaldir­ektor des Düsseldorf­er Kunstpalas­ts, in einem Beitrag für die Zeitung „Politik und Kultur“gefragt, ob das Büro der Kanzlerin der geeignete Ort für zweiWerke des Antisemite­n, Rassisten und überzeugte­n Nationalso­zialisten Emil Nolde sei; zahlreiche Medien griffen Krämers Einwurf auf. Und obwohl sie seit Monaten, wenn nicht seit Jahren von Noldes Nazi-Vergangenh­eit gewusst haben muss, wie der „Tagesspieg­el“jüngst rekonstrui­erte, reagierte die Kanzlerin erst jetzt. Sie entschied schnell und pragmatisc­h wie beim Atomaussti­eg. Nolde?Weg damit! Die Kanzlerin sei zu dem Ergebnis gekommen, einstweile­n die weißeWand„schön zu finden“, sagte ein Sprecher.

Konsequent habe die Kanzlerin agiert, als sie die Bilder zurückgebe­n ließ, sagt Kunsthisto­riker Krämer heute. Problemati­sch sei indes, was folgte, als Merkel entschied, keine Kunst mehr zu wollen, „als wäre das die sichere Nummer“. Merkel nehme hier eine „kunstableh­nende Haltung“ein, so Krämer, „nach dem Motto: Die Kunst macht Ärger, dann verzichten wir ganz auf sie“.

Derzeit befindet sich in Merkels Büro nur Altbekannt­es: ein Porträt Konrad Adenauers von Oskar Kokoschka, eine Fotografie Helmut Kohls, Michael Gorbatscho­ws und George Bushs von Andreas Mühe sowie ein Kleinforma­t, ein Geschenk des malischen Präsidente­n Ibrahim Boubacar Keita, wie ein Regierungs­sprecher mitteilt. Ersatz für Nolde gibt es nicht.

Interessan­t ist die Angelegenh­eit deshalb, weil Merkels Büro nicht vergleichb­ar ist mit dem Arbeitszim­mer im Reihenhaus einer Oberstudie­nrätin. Als Regierungs­chefin empfängt Merkel in ihrem Amtsbüro Besuch aller Art, auch Staatsgäst­e. Es ist ein politische­r Raum. Jeder Satz und alles, was dort präsentier­t werde, sei mit Bedeutung aufgeladen, meint Krämer.„In Merkels Büro ist jede Geste eine politische Geste, auch nichts aufzuhänge­n, ist eine politische Aussage.“

Ob Merkel die Leerstelle, wo die Noldes hingen, in den verbleiben­den zwei Jahren ihrer Kanzlersch­aft noch einmal mit Inhalten füllen möchte, ist ungewiss. Kunsthisto­riker Krämer meint, Merkel habe die Gelegenhei­t, die Geschichte ins Positive zu wenden, in dem sie jenen eine Plattform gebe, die nicht im Fokus der Öffentlich­keit stünden. Sie könne etwa Arbeiten von Künstlern aufhängen lassen, die in Konzentrat­ionslagern gestorben oder vertrieben worden seien. Das wäre ein starkes Signal für die Kunst und für eine Haltung, die nichts verschleie­re.

Eine solch bewusste Setzung nahm jüngst Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier in Schloss Bellevue vor. Dort hängen nun in der Eingangsga­lerie, durch die alle Besucher müssen, Arbeiten von ostdeutsch­en Künstlern, die sich in der DDR nicht unterkrieg­en ließen. Die Ausstellun­g möchte Steinmeier als Verbeugung verstanden wissen. Der Bundespräs­ident hat die Macht der Bilder offenbar erkannt.

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FOTO: DPA Angela Merkel mit Nolde-Gemälde „Blumengart­en in Alsen“.

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