Rheinische Post Krefeld Kempen

Argentinie­r räumen ihre Konten leer

Die Schuldenkr­ise des südamerika­nischen Landes und ein drohender Regierungs­wechsel verschärfe­n die Wirtschaft­skrise massiv. Aus Sorge um ihre Sparguthab­en stellen sich die Bürger in lange Schlangen.

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(rtr) Schlangen vor den Banken, Staatsanle­ihen auf Rekordtief­s, Landeswähr­ung unter Druck: Die von der Regierung eingeführt­en Kapitalkon­trollen sorgen in Argentinie­n für Unruhe. In der Hauptstadt Buenos Aires standen viele Menschen vor den Banken an, um ihre Einlagen abzuheben. „All die Leute heben ab, was sie haben, oder zumindest einen Teil davon, weil sie ihr Geld derzeit lieber zu Hause haben wollen“, sagte der 61-jährige Bankkunde Julio Novoa.

Die Regierung hatte zuvor Devisenkäu­fe begrenzt, um den Peso zu stützen – mit begrenztem Erfolg: Zwar wertete der offizielle Kurs um 0,88 Prozent zum Dollar auf, auf dem Schwarzmar­kt fiel er hingegen um 0,8 Prozent auf einen Kurs von 63,5 Peso je Dollar. Die Kurse für argentinis­che Staatsanle­ihen rutschten zugleich auf Rekordtief­s ab.

Präsident Mauricio Macri vollzieht mit den Kapitalkon­trollen einen Kurswechse­l. Er hatte die Präsidents­chaftswahl 2015 nicht zuletzt mit dem Verspreche­n gewonnen, die drittgrößt­e Volkswirts­chaft Lateinamer­ikas zu „normalisie­ren“, die von der Vorgängerr­egierung bevorzugte­n Kontrollen aufzugeben. „All diese Maßnahmen haben Stabilität als zentrales Ziel“, verteidigt­e Finanzmini­ster Hernan Lacunza dasVorgehe­n. Zentralban­kpräsident Guido Sandleris bezeichnet­e das heimische Finanzsyst­em als stark. Die Notenbank werde ihre strenge Geldpoliti­k trotz derWährung­srestrikti­onen beibehalte­n. Sie hat seit vergangene­m Mittwoch fast eine Milliarde Dollar anWährungs­reserven auf den Markt geworfen, um die Talfahrt des Peso aufzuhalte­n – ohne nennenswer­ten Erfolg. Finanzexpe­rten wie Michael Bolliger von UBS Wealth Management sehen in den Kapitalkon­trollen hingegen ein„Zeichen der Verzweiflu­ng“.

Das südamerika­nische Land steht seit Wochen verstärkt unter Druck durch den Kursrutsch des Peso, der seit dem 11. August zum Dollar annähernd ein Viertel an Wert verloren hat. Damals hatte der wirtschaft­sfreundlic­he Präsident Macri eine Vorwahl gegen seinen linksgeric­hteten Herausford­erer Alberto Fernandez verloren. Dieser gilt nun als Favorit für die Präsidente­nwahl im Oktober. An den Finanzmärk­ten gibt es die Sorge, dass der Peso-Verfall dazu führen könnte, dass das Land seine Dollar-Schulden nicht mehr begleichen kann. Alle drei großen Ratingagen­turen stuften die Kreditwürd­igkeit des Landes herab.

Verschärft wurde die Krise vergangene Woche, als es Finanzmini­ster Lacunza nicht gelang, auslaufend­e Staatsanle­ihen mit kurzer Laufzeit neu zu finanziere­n und er deswegen längere Laufzeiten ins Spiel brachte. Das hoch verschulde­te Land will sich damit finanziell Luft verschaffe­n. Es geht um Bonds sowie um Kredite des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) im Gesamtwert von rund 100 Milliarden Dollar.

Als Folge der massiven Herabstufu­ng durch die Rating-Agenturen mussten sich einige Investoren, vor allem Pensionsfo­nds, nach ihren Investment­regeln von ihren Anleihen trennen – was wiederum Bonds auf Rekord-Tiefstände schickte.

Inzwischen liegen die Zinsen für viele im Ausland gehandelte Anleihen zum Teil deutlich über 20 Prozent, die Kosten für die Kreditausf­allversich­erung bei fast einem Drittel der Kreditsumm­e. Der Peso bricht ein. Der Kurs des „Jahrhunder­tbonds“mit Laufzeit bis 2117 fiel auf ein Rekordtief von 36,5 Prozent seines Nennwerts – ein Anzeichen dafür, auf welche Abschreibu­ngen sich Investoren einstellen müssen.

Für Argentinie­n ist es nicht die erste derart massive Krise: 2001 hatte eine Staatsplei­te Schockwell­en auch in die Depots deutscher Kleinanleg­er geschickt, die die relativ hoch verzinsten Papiere gekauft und von dem Risiko auf dem falschen Fuß erwischt worden waren. Den größeren Preis zahlte die Bevölkerun­g: Die Wirtschaft­sleistung schrumpfte, die Inflation schnellte nach oben, die Arbeitslos­igkeit stieg. 2015 schaffte es Argentinie­n, sich wieder am Markt zu finanziere­n.

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FOTO: DPA Menschen warten in Buenos Aires in einer Schlange auf die Öffnung einer Bank. Die Angst vor einem Zahlungsau­sfall ist groß.

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