Rheinische Post Krefeld Kempen
Ringelpiez mit Anfassen
Bundestrainer Löw ist darum bemüht, das Betriebsklima zu verbessern. Heute trifft die DFB-Auswahl auf Holland.
HAMBURG Gutes Klima am Arbeitsplatz ist durchaus förderlich für den inneren Betriebsfrieden. Nun war es bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in den vergangenen Monaten alles etwas angespannt. Das Aus bei der Weltmeisterschaft in Russland 2018 hatte Spuren hinterlassen. Die Leichtigkeit, der Zusammenhalt, die Freude, mit der noch vier Jahre zuvor der WM-Titel errungen werden konnte – das alles war dahin.
Joachim Löw hat sich immer dagegen gewehrt, einen radikalen Umbruch umzusetzen. Und doch hat die DFB-Auswahl in kürzester Zeit viele neue Gesichter dazubekommen. Andere Typen, die nun die Mannschaft prägen. Er hat sich selbst auch wieder etwas mehr Lockerheit genehmigt und weniger staatsmännisches Getue auf dem Rasen. Dazu gehört auch, dass er seinen Akteuren eine muntere Runde Ringelpiez mit Anfassen zum Aufwärmen am Mittelkreis verordnet.
Serge Gnabry ist ein Vertreter der neuen Generation beim DFB. Die Offensivkraft des FC Bayern München ist offenbar so wichtig für den Bundestrainer, dass er von ihm erst einmal eine Startelf-Garantie bekommen hat. „Serge spielt immer“, verkündete Löw, um ihn herum zuckten einige zusammen, weil sie einem Versprecher bei Löw vermuteten. In 13 Jahren im Amt hat er sich selten so deutlich bei einer Personalie festgelegt. Auch Leroy Sané gehört nun zum besonders wertvollen Kreis von Löw, fehlt aber derzeit verletzungsbedingt.
Toni Kroos sieht fasst schon wie ein (sportliches) Auslaufmodell aus gegen die ganzen hippen Vertreter wie Julian Brandt, Kai Havertz oder Joshua Kimmich. Zum Auftakt in die EM-Saison hat sich der Mittelfeldstar von Real Madrid bis zum Turnierhöhepunkt im Sommer 2020 einfach selbst für unverzichtbar erklärt. Der vom Bundestrainer nach demWM-Desaster 2018 eingeräumte Sonderstatus mit selbst gewählten schöpferischen Pausen ist mit dem wichtigen EM-Qualifikationsspiel der Fußball-Nationalmannschaft gegen die Niederlande am Freitag (20.45 Uhr/RTL) in Hamburg für den 29-Jährigen beendet.
„Es ist jetzt schon so, dass wir mit dem Beginn des EM-Jahres einige Spiele haben, die gute Gradmesser sind und ich da auch konstant und gut dabei sein will und muss, wenn wir Richtung EM gucken“, sagt Kroos. Noch im Juni hatte er in der EM-Qualifikation gegen Weißrussland (2:0) und Estland (8:0) freiwillig pausiert. Bei diesen Gegnern sei man sich einig gewesen, dass es seines Mitwirkens für zwei Siege nicht bedürfe. Kroos ist ein Stratege auf und abseits des Platzes. Neben Kapitän Manuel Neuer ist er die einzige verbliebene Weltmeister-Stammkraft. Keiner in Löws aktuellem Kader hat mehr Länderspiele (92) absolviert, keiner hat mehr Tore geschossen (14).
Immer wieder sieht sich Kroos, der in Löws neuer Fußball-BoyGroup gelegentlich schon ein wenig verloren wirkt, mit der Frage nach einem möglichen Karriereende im DFB-Trikot nach der Europameisterschaft 2020 konfrontiert. Noch beantwortet er diese ausweichend. Das Los seiner Titelkollegen Mats Hummels, Thomas Müller und Jérôme Boateng, die von Löw im März unerwartet aussortiert wurden, will Kroos mit seinem fein ausgeprägten Gespür für Stimmungen und Schwankungen definitiv vermeiden.
Komfortzonen gibt es in Löws Mittelfeld aber auch längst nicht mehr, das hat Kroos verstanden. Nach seiner Kadernominierung sagte Löw: „Natürlich plane ich mit dem Toni bis nächstes Jahr zur Europameisterschaft.“Ein Satz der je nach Betonung auf den Satzanfang oder das Satzende die Bedeutung ändert.
(mit dpa)