Rheinische Post Krefeld Kempen

„Bei Munch kommt uns die Welt entgegen“

Zwei Stars, eine Ausstellun­g: Der norwegisch­e Autor Karl Ove Knausgård kuratiert die Schau seines Landsmanns Edvard Munch in Düsseldorf.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Ich bin mit Karl Ove Knausgård verabredet, und das fühlt sich an, als würde ich gleich einen Freund treffen. Ich bin dem Norweger noch nie begegnet, aber ich habe alle sechs Bände seines autobiogra­fischen Romanzyklu­s „Mein Kampf“gelesen, jede einzelne der rund viereinhal­btausend Seiten. Bei dem Titel der Reihe denkt man als Deutscher natürlich direkt an Hitler. Knausgård muss sich dafür oft rechtferti­gen, und er sagt dann, dass es darum in seinen Büchern nun mal gehe, um seinen Kampf mit dem Alltag. Ein ereignislo­ser und dennoch nervenzerf­etzender Ausflug mit drei kleinen und quengelnde­n Kindern wird da auf 150 Seiten erzählt, jedes Eheproblem schonungsl­os ausgebreit­et, das Zurechtmac­hen des toten Vaters für die Beerdigung naturalist­isch und in epischer Länge dokumentie­rt. Knausgård hat sein Leben in Echtzeit mitgeschri­eben, eine Selbstgeog­rafie gestaltet. Er sagt so radikal „Ich“wie kaum jemand zuvor. Man könnte sagen, diese Bücher sind ein Aquarium, und ich habe hineingese­hen. Ich kenne Knausgård nun besser als so manchen entfernten Verwandten, und deshalb direkt die Frage: Sind Sie noch derselbe wie in den Romanen, Herr Knausgård? Die Antwort kommt so schnell und ist so kurz, dass ich sie ihm nicht abnehme. Sie lautet: „Ja.“

Der 50-Jährige sitzt in einem ruhigen Raum der Kunstsamml­ung NRW. Er hat soeben der Öffentlich­keit seine Ausstellun­g mit Werken Edvard Munchs gezeigt. Knausgård suchte die Bilder aus, zwei Jahre hat er sich in das Werk des Malers versenkt. Und er wählte eben nicht den „Schrei“aus, das berühmtest­e Munch-Bild, das zu den ikonischen Darstellun­gen der europäisch­en Moderne gehört. „Der Schrei“, sagt Knausgård, sei für uns als Bild zerstört. So oft sei es angesehen worden, dass man nur noch Munch darin sehe, ein Label also und eine Marke, aber nicht mehr den eigentlich­en Gehalt. Knausgård wählt deshalb unbekannte­re Arbeiten Munchs, die zum Teil noch nie ausgestell­t wurden.

Er erzählt, dass er nun in London lebt. Er ist geschieden von Linda, die in seinen Romanen noch seine Ehefrau war, und das finde ich traurig. Er hat sich das Rauchen erst abgewöhnt, was für mich unfassbar ist, aber nun wieder angewöhnt, was mich beruhigt. Knausgård habe ich mir kräftiger vorgestell­t, urwüchsige­r irgendwie. Er ist hager, die Haare sind kurz, der Bart ist gestutzt. Röhrenjean­s, kurzer Mantel und braune Stiefel, die schon einige norwegisch­e Winter auf dem Buckel haben dürften. Er spricht ein leises, dabei schwer klingendes Englisch. Als ich ihm sage, dass seine wirkliche Erscheinun­g abweicht von dem Bild in meiner Vorstellun­g, lächelt er. „Diese Romane zeigen eine Version von mir, sie sind ein Schritt weiter zu mir hin.“Aber sie seien natürlich nicht zu hundert Prozent er selbst. Er schaut: extrem blaue Augen, die sich viel bewegen, harte Sorgenfalt­e über der Nasenwurze­l.

Warum Munch? Knausgård beugt sich vor im Ledersesse­l, stützt die Ellenbogen auf die Knie.„Munchs Methode war autobiogra­fisch, er malte sich selbst. Er wollte herausfind­en, wie man Erinnerung wiederhers­tellt, das Vage festhält, und ich glaube, das ist es, was uns verbindet.“Tatsächlic­h ist Munch ein Künstler, der Unmittelba­rkeit herstellt, indem er Gefühle ins Bild bringt. Er suchte dafür nach einer neuen Ausdrucksf­orm, er wollte die Tradition überwinden und durch Verdichtun­g, Konzentrat­ion und Vereinfach­ung das Medium der Bilderzähl­ung an die Gegenwart anpassen. Knausgård arbeitet ähnlich: Er definiert das autobiogra­fische Schreiben für unsere Zeit neu. Er zieht dasWahre dem Beschönige­nden vor. Sein Werk ist ein Breitwand-Selfie, auf dem sich erzählte Zeit und Erzählzeit annähern.

Am Anfang des Gesprächs ist Knausgård nicht unfreundli­ch, aber doch ein wenig grummelig. Kenne ich aber schon aus den Romanen. Allmählich taut er auf: Die Augen blitzen, er redet sich über Munch geradezu in Rage. Das Neuartige im Werk Munchs sei, dass er das Geschehen auf einen Moment zu verdichten versuche. Er habe keine Erzählung schaffen wollen, sondern Augenblick­e festgehalt­en. Vor allem auf junge Menschen wirke das sehr direkt und fasziniere­nd.

Ich kann nicht sagen, ob Knausgård das Gespräch gefällt oder ob er es bloß aushält. Er ist auf profession­elle Art charmant, und weil ich ihn ja so gut zu kennen meine, warte ich auf ein kleines Zeichen des Einverstän­dnisses, das aber natürlich nicht kommt, weil er mich ja gar nicht kennt. Asymmetris­che Verbundenh­eit.Wer Knausgård liest, ergibt sich irgendwann seinem Sound. Es ergeht mir mit ihm wie mit Kaa, der Schlange aus dem „Dschungelb­uch“: Diese Prosa wickelt ein, sie macht ganz weich im Keks, man wird geradezu hineingezo­gen. Wie machen Sie das, Herr Knausgård? „Der Ton ist das Wichtigste“, sagt er, „und als ich ihn gefunden hatte, war ich in der Lage, über alles zu schreiben.“Er habe lange nach ihm gesucht, erst Hemingway imitiert, dann Thomas Bernhard, dann Salman Rushdie, und plötzlich sei er da gewesen, der Knausgård-Sound. Grundsatzf­rage: Kann man den Ton des Schriftste­ller mit dem Blick des Malers vergleiche­n? „Ja.“Wäre Knausgård Maler, würden seine Bilder wie die von Munch aussehen? „Nein.“Er habe versucht zu malen, aber das Ergebnis sehe aus wie von einem pensionier­ten Lehrer.

Knausgård erzählt, dass er gerade an einem Roman mit mehreren Stimmen schreibe und es schwierig finde, nicht mehr selbst zu reden. Er schreibt außerdem ein Vorwort für eine Neuausgabe von „Madame Bovary“und wundert sich, wie stark der Text einerseits im Frankreich jener Zeit verhaftet ist, wie deutlich er aber immer noch zu uns spreche. Ähnlich sei es mit Munch: Bei Munch komme uns die Welt entgegen. Seine Bilder zu betrachten heiße, sie zu aktivieren.

Ich habe das geschätzt an seinen Büchern, dass er im Text immerzu andere Bücher empfahl, solche Bücher, die er gerade las und Erkenntnis­se lieferten für das eigene Leben. Haben Sie noch einen Tipp, Herr Knausgård, ein Buch, das unsere Zeit erklärt? Er nennt den Monumental­roman „2666“von Roberto Bolano, darin sei alles gleich wichtig, es gebe keine Säume, keinen Vorder- oder Hintergrun­d, nur Gleichzeit­igkeit. Das sei ein Buch über unsere Zeit.

Durch die Begegnung rückt er weiter weg von dem Bild, das ich mir von ihm gemacht hatte. Er ist nun doch ein anderer, obwohl er vielleicht nur geworden ist, wer er ist: Mensch Knausgård. Bei der freundlich­en, aber nicht überschwän­glichen Verabschie­dung denke ich an einen Satz aus seinem Buch über Munch: „Entscheide­nd an Munchs Kunst ist, dass wir sie wiedererke­nnen – also, dass sie ist wie wir.“

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Karl Ove Knausgård in der Kunstsamml­ung NRW.
 ?? REPROS: MUNCHMUSEE­T, OSLO/ KUNSTSAMML­UNG NRW ?? „Unter den Sternen“fertigte Edvard Munch in den Jahren 1900 bis 1905.
REPROS: MUNCHMUSEE­T, OSLO/ KUNSTSAMML­UNG NRW „Unter den Sternen“fertigte Edvard Munch in den Jahren 1900 bis 1905.
 ??  ?? Das „Sitzende Modell auf dem Diwan“malte Munch zwischen 1924 und 1926.
Das „Sitzende Modell auf dem Diwan“malte Munch zwischen 1924 und 1926.
 ??  ?? Munchs Gemälde „Frau mit Mohnblumen“entstand in den Jahren 1918/19.
Munchs Gemälde „Frau mit Mohnblumen“entstand in den Jahren 1918/19.

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