Rheinische Post Krefeld Kempen
Ein Maestro für alle Kanäle
Der Rumäne Cristian Macelaru ist als Chefdirigent des WDR-Sinfonieorchesters großartig gestartet. Der 39-Jährige ist weltweit gefragt.
KÖLN Daheim waren sie zehn Kinder, es ging hoch her im Hause Macelaru, sie tobten durch alle Zimmer, der Lärm war vermutlich noch bis ins ferne Bukarest zu hören, doch wenn Cristian, das Nesthäkchen, seine Geige in die Hand nahm, hörte er nichts anderes mehr. Mit ihr atmete er, redete er, sang er. Beide verschmolzen zu einer Einheit, nichts konnte sie erschüttern, und weil alle ringsum spürten, dass dieses Kind mit seiner Seelenruhe von dieser Geige nicht mehr zu trennen war, brachten die Macelarus viel Geld auf und schickten Cristian aus dem rumänischen Temeswar zum Studieren in die USA. Irgendwann war
Der Dirigent steht oft beim Philadelphia Orchestra am Pult
Cristian Konzertmeister des Miami Symphony Orchestra, als jüngster in der Geschichte des Orchesters.
Aber das war nicht das Ende vom Lied, denn der Geiger mit dem unbändigen Willen hatte sein Herz für ein noch zarteres, zerbrechlicheres Holz entdeckt, mit dem sich freilich vielfarbiger, plastischer, umfassender musizieren ließ: den Dirigentenstab. 2010 debütierte er in Houston mit Puccinis „Madama Butterfly“. Zwei Jahre überschlug sich die Karriere: Er gewann den Georg-Solti-Dirigentenwettbewerb und sprang für Pierre Boulez beim Chicago Symphony Orchestra ein. Das war die halbe Miete. Dann holte ihn das Philadelphia Orchestra in seinen Dirigentenpool. Systematisch befehligt er seitdem die großen Orchestertanker: Cleveland, New York, Dresden, Amsterdam, München, Los Angeles, Leipzig. Und jetzt ist Cristian Macelaru (39) der neue Chefdirigent desWDR-Sinfonieorchesters in Köln. Sein erster richtiger Job.
Und er strahlt, als sei das hier der Nabel der Welt. „Ist es auch“, sagt er im Gespräch vor dem jüngsten Konzert in der Kölner Philharmonie, „das ist ein Weltklasse-Orchester, was aber noch nicht ins allgemeine Bewusstsein gedrungen ist. Das will ich ändern.“In Köln und über Köln hinaus ist Macelaru ungeheuer präsent, er strömt schier durch alle öffentlich-rechtlichen Kanäle. Auf der WDR-Website erklärt er in einemVideo der Serie „Kurz und Klassik“die kompositorische Textur von Strawinskys „Feuervogel“, das macht er so freihändig, knackig und professionell, dass man an den großen Konzertmoderator Leonard Bernstein zurückdenkt. In der Konzertpause erklärt er hingegen in einem Radiointerview, worum es im „Feuervogel“geht und warum er die Ballett- der Konzertfassung vorzieht.
Im Konzert, das live auf WDR 3 übertragen wurde und demnächst auch im Fernsehen zu sehen sein wird, sind Macelarus Präsenz und Wendigkeit das eine. Das andere ist seine fast stoische Unerschütterlichkeit. Von Gemütlichkeit darf man nicht sprechen, denn die Ruhe, die er verströmt, hat etwas Spirituelles, fast Buddhistisches. Natürlich bläst er am Ende des Kopfsatzes von Maurice Ravels G-Dur-Klavierkonzert zur Attacke, dass sich sogar die Pianistin des Abends, die elfenhafte Alice Sara Ott, ein wenig ducken muss. Aber wenn dann der gefährliche erste Orchesterakkord im langsamen Satz wie aus dem Nichts hereinschwebt, verbreitet Macelaru eine Gelassenheit, die größtes Kunstvertrauen in sein Orchester ausstrahlt. Motto: Nervös werden die anderen, wir nicht. Macelaru schlägt fabelhaft präzise, aber doch auch höchst effektiv und gänzlich unaufgeregt. Keinerlei Gedöns.
Für Köln ist Macelarus Trittsicherheit auf dem internationalen Parkett ein Segen; soeben sprang er für Mariss Jansons – weiteres Upgrading in die First Class – beim Concertgebouw Orchestra in Amsterdam ein. Das WDR-Orchester wirkte in den vergangenen Jahren unter dem etwas lichtscheuen Finnen Jukka-Pekka Saraste, der nicht zu den Zauberern seiner Branche zählt, nur begrenzt präsent. Macelaru dagegen glänzt durch seine Offenheit, auch programmatisch. In seinem Eröffnungskonzert bot er Mahlers Vierte und Dvoráks „Te Deum“, und während andere Pultstars bei Mahler gern auf Extreme setzen, auf Abenteuerlust, die von Hysterie umlichtert ist, wirkt Macelarus Vierte so organisch, so tiefenentspannt, dass die Abgründe später umso aufregender wirken.
Überhaupt legt sich Macelaru die Dinge sorgfältig zurecht. Und er schaut über den Tellerrand. So hat er neulich das Violinkonzert des Jazztrompeters Wynton Marsalis mit der Geigerin Nicola Benedetti und dem Philadelphia Orchestra für die Decca aufgenommen, eine rassige, zwischen Kitsch und Thriller herrlich taumelnde Musik. Oder die beiden Prokofieff-Konzerte mit Franziska Pietsch, der er mit dem DSO Berlin auch auf hoher konzertanter See das ruhigste Geleit gibt, das sich denken lässt.
Ist er, der Geiger, möglicherweise ein Spezialist für Geiger? „Bloß nicht“, lacht Macelaru, „das ist Zufall, dass momentan vor allem Violinkonzerte unter meiner Leitung auf CD erscheinen. Aber vielleicht fühlen sich Geiger an meiner Seite besonders wohl.“Anne-Sophie Mutter musiziere überaus gern mit ihm, erzählt er nicht ohne Stolz.
Die Aufgabe eines Dirigenten ist es, Musiker für eine Idee zu gewinnen. Dazu muss er gleichsam pfingstlich ihre instrumentalen Sprachen sprechen. Das Vokabular der Streicher kennt er aus dem Eff-Eff, es ist sein eigenes. Aber
wenn man im Kölner Konzert nach der Pause den „Feuervogel“hört, dann bemerkt man eine meisterliche Einfühlung in die Bläser. Seine Frau Cheryl spielt übrigens Fagott, Igor Strawinskys bevorzugtes Instrument.
Und dann ersteht im Konzert der „Feuervogel“, dieses wundervolle Orchestermärchen, mit einer Plastizität, an der Macelaru, wenn es allein nach dem Augenschein geht, den geringsten Anteil hat. Er begleitet und ordnet bloß; kein Gefuchtel für die Galerie. Wer in der Philharmonie hinter dem Orchester im Chorgestühl sitzt, der registriert allerdings zwei Dirigente-Augen, die ganze Romane und ganze Partituren erzählen. Das spektakuläre Ergebnis lässt jedenfalls auf ausgefuchste Probenarbeit schließen.
Macelaru hat in den USA ein Festival für Neue Musik geleitet, er betreibt also keinen Mainstreaming-Dienst. Neben den Krachern der Literatur hat er auch ein Auge für die Raritäten. So wird er in einem seiner nächsten KonzerteWerke von Liszt und Bartók zwischen zwei frühe Haydn-Sinfonien betten. Und wo wird das sein? In Viersens Festhalle, am 8. Februar um 20 Uhr. Dort gastiert das WDR-Orchester regelmäßig, nicht nur weil der Saal großartig klingt. Macelaru kennt auch das andere Argument: „Sendegebiet“. Das Wort hat er schon gelernt.