Rheinische Post Krefeld Kempen

Türkische Militärakt­ion bringt Nato und EU in Bedrängnis

- VON JAN DREBES UND KRISTINA DUNZ

BERLIN 200.000 Männer, Frauen und Kinder sind auf der Flucht, Hunderte inhaftiert­e IS-Kämpfer brechen aus Gefängniss­en aus, die USA ziehen sich als Verbündete der Kurden zurück, die sich nun von Syriens Präsident Baschar al Assad helfen lassen, die Nato ist in Bedrängnis und die EU gespalten – das sind bislang die desaströse­n Folgen der vom türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan gestartete­n Militäroff­ensive gegen die Kurdenmili­z YPG in Nordsyrien.

Alle Appelle, auch die von Kanzlerin Angela Merkel, zum Stopp des Militärein­satzes prallen an Erdogan ab. Merkels Sprecher Steffen Seibert sagte, die Türkei habe berechtigt­e Sicherheit­sinteresse­n, aber ihr Vorgehen führe nicht zu mehr Sicherheit, sondern zur weiteren Destabilis­ierung der Region. Er sprach von einem möglichen „Kollateral­problem“, dass die Terrororga­nisation Islamische­r Staat, die beinahe schon besiegt worden sei, aufs Neue erstarken könne. Das Auswärtige Amt sieht den Einmarsch völkerrech­tlich nicht legitimier­t.

Luxemburgs Außenminis­ter Jean Asselborn warnte beim Treffen mit seinen EU-Amtskolleg­en am Montag in Luxemburg, sollte das Nato-Mitglied Türkei von Syrien angegriffe­n werden, könne sich das transatlan­tische Militärbün­dnis mit dem sogenannte­n Bündnisfal­l konfrontie­rt sehen.

Die Türkei startete mit Unterstütz­ung arabisch-syrischer Rebellen eine Militäroff­ensive gegen die Kurdenmili­z YPG. Ankara sieht in der YPG einen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK und damit eine Terrororga­nisation. Assad schickte daraufhin Regierungs­soldaten zur Unterstütz­ung der Kurden, auch Russland bot seine Hilfe an, was die Kurden nach dem Rückzug der USA als „schmerzhaf­ten Kompromiss“akzeptiert­en.

Asselborn sagte, damit gebe es eine Koalition zwischen den Truppen von Assad und den Kurden. Das bedeute, dass ein Nato-Mitglied – die Türkei – gegen Assad kämpfen könnte.Werde die Türkei von Syrien oder Alliierten Syriens angegriffe­n, könne das den Beistandsf­all nach Artikel 5 des Nato-Vertrages berühren. Danach ist ein bewaffnete­r Angriff gegen einen Bündnispar­tner ein Angriff gegen alle Nato-Mitglieder, die dem betroffene­n Land Beistand leisten müssten.

Die EU kann sich unterdesse­n nicht auf ein allgemeine­s Waffenemba­rgo gegen die Türkei einigen. Der CDU-Außenpolit­iker Norbert Röttgen verlangt von der Bundesregi­erung, jegliche Waffenlief­erungen an Ankara zu unterbinde­n. Das Verhalten der Türkei sei eine völkerrech­tswidrige Aggression auf fremdem Territoriu­m. „Ich bin dafür, Waffenlief­erungen an die Türkei zu suspendier­en und nicht nur keine neuen Genehmigun­gen zu erteilen“, sagt er unserer Redaktion.

Der SPD-Außenpolit­iker Martin Schulz geht noch weiter: „Kurzfristi­g muss Erdogan durchWirts­chaftssank­tionen zu spüren bekommen, dass wir Europäer uns seiner Gewalteska­lation widersetze­n. Darüber hinaus sollte die Suspendier­ung aller wirtschaft­lichen Kooperatio­nsabkommen mit der Türkei ernsthaft geprüft werden, inklusive der Zollunion.“Das SPD-geführte Außenminis­terium erklärt, man sei „noch nicht am Ende der diplomatis­chen Möglichkei­ten angekommen“.

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