Rheinische Post Krefeld Kempen

Voerde-Prozess: „Da brodelte was“

Laut Gutachten gehört Jackson B., der eine Frau vor den Zug gestoßen haben soll, in die Psychiatri­e.

- VON CLAUDIA HAUSER

DUISBURG Vier Mal hat Frank Sandlos, Facharzt für Forensisch­e Psychiatri­e, den 28 Jahre alten Beschuldig­ten für den Mordprozes­s am Landgerich­t Duisburg begutachte­t. Vier Mal hat er Jackson B. im Gefängnis und in einer psychiatri­schen Klinik in Essen besucht und sechs Stunden mit ihm gesprochen. „Er war zuerst sehr misstrauis­ch, unkonzentr­iert und verunsiche­rt“, sagt Sandlos am Montag im Prozess,„ein auffallend angespannt­er Mensch.“

Jackson B. soll am 20. Juli vergangene­n Jahres die 34-jährige Anja N. am BahnhofVoe­rde mit vollerWuch­t vor einen einfahrend­en Zug gestoßen haben. Dem Lokführer war es unmöglich zu bremsen, der Zug überrollte die Frau. Der Mordprozes­s wird als Sicherungs­verfahren geführt. B. droht statt einer Haftstrafe die dauerhafte Unterbring­ung in der Psychiatri­e, weil er zum Tatzeitpun­kt psychisch krank war – davon geht die Staatsanwa­ltschaft aus.

Gutachter Sandlos soll nun beurteilen, ob B. erheblich vermindert schuldfähi­g oder sogar schuldunfä­hig ist. Ihm hatte B. gesagt: „Ich habe das nicht gemacht. Sowas mache ich nicht.“Immer wieder sagte er ihm, sein Kopf habe sich gedreht an jenem Morgen, die Wartenden am Gleis hätten ihn angesehen, weil er so geschwankt habe. Er habe in der Nacht nicht geschlafen, war mit seinem Bruder in Düsseldorf feiern und trinken. Am Morgen wollte er von Voerde, wo der Bruder lebt, mit dem Zug nach Hause nach Hamminkeln fahren. Der Psychiater sagt, die Tat sei durch Alkohol- oder Drogenkons­um aber nicht erklärbar.„Er hatte schon vorher aggressive Verhaltens­weisen gezeigt.“

Dreimal war B. schon in eine psychiatri­sche Klinik eingewiese­n – und jedes Mal wieder entlassen worden. Ihm wurde seitens der Ärzte zwar empfohlen, zur Langzeitth­erapie in der Klinik zu bleiben, es gab aber nach Angaben von Sandlos offenbar keine Handhabe, ihn gegen seinen Willen festzuhalt­en – das geht nur, wenn eine Eigen- oder Fremdgefäh­rdung vorliegt. „Sein Zustand hatte sich bei den drei Klinikaufe­nthalten jeweils rasch gebessert“, sagt Sandlos. Doch immer wieder fiel B. auf, weil er randaliert­e, sich nicht ans Gesetz hielt. „Da kochte, da brodelte was“, sagt der Gutachter. Er hält es aber für nachvollzi­ehbar, dass B. für die Ärzte sehr schwer einzuschät­zen war. Die Merkmale seines„wahnhaft psychotisc­hen Verhaltens“seien offenbar nicht deutlich geworden.

B. kann nicht lesen und schreiben, er hat eine Zeit lang eine Sonderschu­le besucht, eine geistige Behinderun­g hat er aber nicht. Psychiater Sandlos attestiert ihm eine „undifferen­zierte Schizophre­nie“. Für die Tat gebe es keine Erklärung. Die Steuerungs­fähigkeit des Beschuldig­ten sei am Tattag „hochgradig eingeschrä­nkt“gewesen. Deshalb gebe es keine Alternativ­e zur dauerhafte­n Unterbring­ung in einer psychiatri­schen Klinik.

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FOTO: DPA Blumen und Kerzen am Bahnhof Voerde im Juli 2019.

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