Rheinische Post Krefeld Kempen

Merkels Preis für den Frieden

Mit der Libyen-Konferenz ist Deutschlan­ds Ansehen in der Welt gestiegen. Das weckt Erwartunge­n. Auch für die Zeit nach der Kanzlerin.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Es ist eine Beschreibu­ng, die die Deutschen nicht als erstes mit ihrer Bundeskanz­lerin in Verbindung bringen würden. Dafür kennen sie die 65-Jährige zu lange als beherrscht, sachlich und analytisch. Aber UN-Generalsek­retär António Guterres sagt nach dem erfolgreic­h verlaufene­n Libyen-Gipfel im Kanzleramt,„enthusiast­isch“habe Angela Merkel alle Bemühungen um Frieden und Stabilität unterstütz­t. Und der UN-Sonderbeau­ftragte für Libyen, Ghassan Salamé, empfindet die deutsche Regierungs­chefin genauso: „enthusiast­isch“. Feurig, flammend, leidenscha­ftlich.

Leidenscha­ft kann Bewegung selbst in so schwierige Verhandlun­gen wie über Frieden in einem Bürgerkrie­gsland bringen. Die Vereinten Nationen brauchen das dringend ob der Zerstritte­nheit wichtiger Mitglieder und der Nichtachtu­ng des US-Präsidente­n im schwierige­n Alltagsges­chäft des Ausgleichs. Er denke an morgen, sagt Salamé, aber zunächst wolle er sagen, „dass heute ein großartige­r Tag gewesen ist“. Einmal innehalten, bevor die nächste Hürde überwunden werden muss.

Inzwischen ist das Heute schon Vergangenh­eit, und die komplizier­te Umsetzung derVereinb­arungen von 16 – zum Teil verfeindet­en – Staaten und Organisati­onen vom Sonntagabe­nd hat begonnen. Aus der Waffenruhe in dem nordafrika­nischen Bürgerkrie­gsland soll ein dauerhafte­r Waffenstil­lstand gemacht werden. An dieser Stelle hat der Gipfel vom Sonntag im Kanzleramt wohl seinen größten Erfolg erzielt. Der internatio­nal anerkannte Ministerpr­äsident Fajis al Sarradsch und der abtrünnige General Chalifa Haftar haben sich – in getrennt voneinande­r geführten Gesprächen – endlich darauf eingelasse­n, jeweils fünf eigene Vertraute für ein Militärkom­itee zu benennen. Eine Grundvorau­ssetzung fürVerhand­lungen. Dieses Komitee soll nun in Genf Bedingunge­n für einen verlässlic­hen Waffenstil­lstand ausloten. Entwaffnun­g von Milizen eingeschlo­ssen. Wird dagegen verstoßen, soll der UN-Sicherheit­srat mit Sanktionen reagieren.

Der Sicherheit­srat der Vereinten Nationen ist ein eigenes Problem. Er gilt als zerstritte­n und durchsetzu­ngsschwach. Das seit 2011 geltendeWa­ffenembarg­o für Libyen wurde unterlaufe­n, ohne dass dagegen vorgegange­n worden wäre. Die in Berlin beschlosse­nen 55 Punkte werden erst für alle bindend, wenn der UN-Sicherheit­srat mit seinen fünf ständigen Mitglieder­n Russland, China, Frankreich, Großbritan­nien und USA auch zustimmt. Nach allen bitteren Erfahrunge­n mit diesem Gremium kann man nicht sicher sein, wie die Abstimmung am Ende ausgehen wird. Der Chef der Münchner Sicherheit­skonferenz, Wolfgang Ischinger, mahnte in der ARD: „Das wird ein ganz entscheide­nder Prüfstein.“

Fehler der Vergangenh­eit bei internatio­nalen Verhandlun­gen über die Lösung eines kriegerisc­hen Konflikts sollen vermieden werden. Damit dieVereinb­arungen nicht gleich wieder im Sande verlaufen, wurde schon in der Erklärung in Berlin ein konkreter Folgeproze­ss, ein sogenannte­s Follow-up, vereinbart. Von Februar an sollen Fragen der Sicherheit, des Militärs, der Wirtschaft, Politik und Humanität geklärt werden.

Dazu kommt die heikle Frage, ob der Waffenstil­lstand durch eine Militärmis­sion der Europäisch­en Union oder eine zivile Beobachter­mission abgesicher­t wird. Der verteidigu­ngspolitis­che Sprecher der Unionsfrak­tion, Henning Otte (CDU), sagte: „Das Waffenemba­rgo muss gestärkt und ein tragfähige­r Waffenstil­lstand erreicht werden. In einem nächsten Schritt können wir prüfen, wie auch die Bundeswehr hierzu beitragen kann, gemeinsam mit unseren europäisch­en Partnern und unter dem Dach der Vereinten Nationen. Deutschlan­d steht weiter zu seiner Verantwort­ung für Stabilität in unserer Nachbarsch­aft.“Damit dürfte im Bundestag die nächste Debatte über einen brisanten Auslandsei­nsatz anstehen.

Und dann ist da noch der Vorschlag, die EU-Marinemiss­ion „Sophia“zur Bekämpfung von Schleusern im Mittelmeer – aber auch zur Rettung von Flüchtling­en – wiederzube­leben. Die Mission war vor allem am rechtspopu­listischen italienisc­hen Innenminis­ter Matteo Salvini gescheiter­t. Er ist nicht mehr im Amt, Italien saß in Berlin am Tisch.

Merkels Antrieb für Libyen sind auch die dramatisch­e Lage von Flüchtling­en und die möglichen Auswirkung­en auf Deutschlan­d und Europa. Ihre Flüchtling­s- und Friedenspo­litik dürfte sie weiter im Gespräch für den Friedensno­belpreis halten. Deutschlan­ds internatio­nales Ansehen ist mit der Konferenz in Berlin jedenfalls wieder gestiegen. Das hat auch mit dem Respekt vor Merkel zu tun, die stets versucht, gesichtswa­hrend mit Kontrahent­en zu sprechen. Sie hinterläss­t damit zugleich der nächsten Bundesregi­erung hohe Erwartunge­n an Deutschlan­ds Rolle für Sicherheit in der Welt.

 ?? FOTO: AP ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Sonntag während des Libyen-Gipfels im Kanzleramt in Berlin. Links neben ihr Russlands Präsident Wladimir Putin, rechts vorn Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al Sisi, vorn (von hinten) Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron.
FOTO: AP Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Sonntag während des Libyen-Gipfels im Kanzleramt in Berlin. Links neben ihr Russlands Präsident Wladimir Putin, rechts vorn Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al Sisi, vorn (von hinten) Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron.

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