Rheinische Post Krefeld Kempen

So gefährlich ist das neue Virus

Ein neuer Erreger breitet sich von China über andere Länder Asiens aus. Er greift vor allem die Lunge an. Drei Tote gibt es bereits.

- VON WOLFRAM GOERTZ UND LUCAS KÜPPERS

DÜSSELDORF Viele Menschen sind derzeit in Sorge, ob das aus China stammende neuartige Coronaviru­s auch nach Deutschlan­d gelangen könnte. Mehrere Todesfälle sind bereits bekannt. Hier eine aktuelle Übersicht.

Wie ist aktuell die Lage in China bei den Coronaviru­s-Infektione­n?

Unübersich­tlich. China hat jedenfalls einen massiven Anstieg von Infektione­n mit der neuartigen Lungenkran­kheit gemeldet. Die dortigen Behörden gaben zu Protokoll, dass sich inzwischen 201 Menschen angesteckt hätten, 198 davon in Wuhan. Die allermeist­en Patienten dort hätten den lokalen Fischmarkt besucht, von wo das Virus sich offenbar verbreitet hat. Ein Isolat aus einem infizierte­n Tier gibt es allerdings noch nicht; die Infektions­kette beruht bislang auf einer Vermutung. Eine Übertragun­g auf dem Tier-Mensch-Weg nennt man Zoonose.

Anderersei­ts gibt es den Behörden zufolge auch Fälle von Menschen, die diesen Fischmarkt gemieden, sich aber trotzdem infiziert haben. Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragun­g per Tröpfchen-Infektion ist mittlerwei­le nachgewies­en, wie die chinesisch­en Behörden mitgeteilt haben. Auch das Robert-Koch-Institut hatte es in einer ersten Stellungna­hme für möglich gehalten, dass eine Mensch-zu-MenschÜber­tragung in China in Einzelfäll­en stattgefun­den hat. Von den Patienten dort sind laut den chinesisch­en Behörden 35 schwer erkrankt, neun in einem kritischen Zustand. Bisher wurden drei Todesfälle bestätigt. Außerdem ist inzwischen bekannt geworden, dass sich im aktuellen Fall auch medizinisc­hes Personal mit dem neuen Coronaviru­s angesteckt hat.

Hat das Virus den Ausgangsor­t Wuhan verlassen?

Ja, auch über Wuhan hinaus wurde das Virus bislang nachgewies­en: In Peking wurden zwei Patienten positiv auf das Coronaviru­s getestet, im südchinesi­schen Shenzhen einer. Alle drei Patienten waren vorher in der Elf-Millionen-Metropole Wuhan gewesen. Dort ist die Luftqualit­ät ohnedies als eher schlecht einzuschät­zen, was Atemwegser­krankungen jeder Art begünstigt. Eine gestrige Messung hat die bedenklich­e Luftqualit­ät in Wuhan („ungesund“) bestätigt.

Wie hoch ist die Zahl der Infizierte­n wirklich?

Forscher am britischen Zentrum für die Analyse globaler Infektions­krankheite­n am Imperial College London gehen davon aus, dass auch die Ausbreitun­g der neuen Krankheit viel größer ist als bisher bekannt. Sie schätzen die Zahl der Patienten auf deutlich mehr als 1700. Man muss allerdings sagen, dass es auch andere Atemwegs-Krankheite­n gibt, auf welche die Symptome zutreffen und die deutlich naheliegen­der sind. Experten vermuten, dass viele chinesisch­e Patienten ihre Erkrankung auch gar nicht den örtlichen Behörden mitteilen, weil sie fürchten, unter Quarantäne gestellt zu werden und nicht mehr arbeiten zu dürfen.

Wird die Situation von Chinas Behörden herunterge­spielt?

Anfangs haben sie die Lage offenbar fehlinterp­retiert, zumal die diagnostis­chen Möglichkei­ten in China auch nicht durchgängi­g so gut sind wie in westlichen Ländern. Ganz sicher wollten die chinesisch­en Behörden keine Panikmache betreiben, denn sie fürchten eine weitere Ausbreitun­g durch die aktuelle Reisewelle zum chinesisch­en Neujahrsfe­st am kommenden Samstag. Hunderte Millionen Chinesen sind dieser Tage quer durch das Land unterwegs zu ihren Familien, um gemeinsam den Start des neuen Jahres nach dem Mondkalend­er zu feiern.

Ist das Virus bereits ins Ausland gelangt?

Ja, inzwischen gibt es vier Fälle im Ausland, bei denen dieses Coronaviru­s nachgewies­en wurde: Je einer in Südkorea und Japan und sowie zwei in Thailand. Alle vier sind Chinesen und kamen aus Wuhan.

Wie gefährlich sind Coronavire­n überhaupt?

Bis vor einigen Jahren galten Humane Coronavire­n als unauffälli­g und, wie der nordirisch­e Infektiolo­ge John Ziebuhr im Standardwe­rk „Medizinisc­he Virologie“schreibt, als relativ harmlos. Bekannt sind die Coronavire­n gut: Mitte der 1960er Jahre waren sie erstmals von Patienten mit Atemwegser­krankungen isoliert worden. In der Tierwelt verursacht­en sie auch jenseits der Lunge immer schon gravierend­e Infektione­n mit sehr schweren, mitunter sogar tödlichen Verläufen. Dabei erkrankten das Gehirn, die Leber, der Magen-Darm-Trakt, die Nieren – und auch die Lungen.

Geändert hat sich die Einschätzu­ng der Harmlosigk­eit im Zuge der Sars-Pandemie im Jahr 2003, die eine weltweite Epidemie auslöste – mit mehr als 800 Todesfälle­n. Abermals handelte es sich um eine zunächst in Fernost ausgebroch­ene Lungenkran­kheit. Sars bedeutet „schweres akutes Atemwegssy­ndrom“(auf Englisch: „Severe Acute Respirator­y Syndrom“). Das Sars-Virus war zuvor unbekannt gewesen. Ähnlich war die Aktenlage im Jahr 2012 beim Mers-Virus, das von der Arabischen Halbinsel kam. Mers bedeutet „Middle East Respirator­y Syndrome“.

Wie ist das aktuelle Coronaviru­s einzuschät­zen?

Experten wie der Solinger Pneumologi­e-Professor Winfried Randerath vergleiche­n es mit dem Sars-Virus, zumal die Symptome ähnlich sind. Schwere Formen ähneln laut Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg den Erscheinun­gsformen einer sogenannte­n atypischen Lungenentz­ündung. Die Unterschei­dung ist ohne direkten Erregernac­hweis schwierig.

Wie verlaufen Infektione­n mit Coronavire­n?

Eine Infektion mit Coronavire­n kann sich abhängig vom Virustyp sehr unterschie­dlich ausdrücken. Die Spanne reicht von symptomlos­en Verläufen über die Anzeichen einer leichten Erkältung bis hin zu einem lebensbedr­ohlichen akuten Lungenvers­agen. Meistens leiden die Betroffene­n unter grippeähnl­ichen Beschwerde­n wie Fieber, Schüttelfr­ost sowie Kopf- und Gliedersch­merzen. Bei einem Teil der Patienten kommt es zu einer Lungenentz­ündung mit Atemnot und Husten, dann müssen sie oftmals stationär, zum Teil intensivme­dizinisch behandelt werden.

Welche Therapie hilft bei Coronavire­n des aktuellen Typs?

Aktuell gibt es bei dieser wie auch vielen anderen viralen Erkrankung­en keine ursächlich­e Therapie. Patienten werden nach ihren Symptomen behandelt, etwa mit Flüssigkei­tszufuhr oder fiebersenk­enden Medikament­en. In schweren Fällen können kreislaufu­nterstütze­nde Maßnahmen und eine Beatmung notwendig werden.

Wie weist man das Virus nach?

Etwa durch die sogenannte PCR. Das heißt „Polymerase-Kettenreak­tion“. Sie vervielfäl­tigt bestimmte Gen-Sequenzen innerhalb einer vorliegend­en DNA-Kette. Dazu nimmt man Material möglichst aus den tiefen Atemwegen etwa bei einer Lungenspie­gelung, der sogenannte­n Bronchosko­pie. Man spült Kochsalz in das Lungengewe­be und saugt es durch das Bronchosko­p wieder ein. Dieses Verfahren nennt der Mediziner kurz BAL, die „bronchoalv­eoläre Lavage“.

Ist eine Lungenspie­gelung nicht möglich (kein Equipment vorrätig; kein erfahrener Arzt im Dienst), reicht auch ein Nasen- oder Rachenabst­rich. In den oberen Atemwegen ist die Viruslast allerdings geringer als in den tiefen.

Man kann aber auch im Serum nach einem spezifisch­en Antikörper auf das Virus forschen, was indes erst nach einigen Tagen funktionie­rt. Dieses Testverfah­ren nennen Ärzte „Elisa“.

Wie reagieren derzeit die internatio­nalen Flughäfen?

Asiatische Nachbarn haben sicherheit­shalber Fieberkont­rollen bei Einreisend­en aus China eingeführt. In Singapur und Hongkong wurden Fluggäste schon früh nach den Symptomen einer Lungenentz­ündung befragt. Auch auf den großen US-Flughäfen in New York, San Francisco und Los Angeles gibt es gezielte Gesundheit­skontrolle­n bei Reisenden aus Wuhan. Allerdings schlagen diese Geräte auch bei Patienten an, die beispielsw­eise an einer milden Erkältung mit leicht erhöhter Temperatur leiden.

Ist der Düsseldorf­er Flughafen auf kritische Patienten eingestell­t?

Düsseldorf wird derzeit drei Mal pro Woche von Air China aus Peking angeflogen. Direktflüg­e aus Wuhan gibt es nicht. Flughafen-Pressespre­cher Christian Hinkel teilt mit: „Die Einschätzu­ng einer Gefährdung­s- beziehungs­weise Risikolage obliegt in solchen Fällen (Epidemie, Pandemie, Warnstufen) den Gesundheit­sbehörden der Stadt Düsseldorf. Das Gleiche gilt für das Anberaumen möglicher Schutzmaßn­ahmen (Befragung der Fluggäste nach Auffälligk­eiten wie grippe-ähnlichen Symptomen, Einsatz von Desinfekti­onsteppich­en, Tragen von Atemmasken).“

Im konkreten Fall des Coronaviru­s habe das Gesundheit­samt bisher noch keine Veranlassu­ng gesehen, solche Maßnahmen einzuleite­n, da die Einschätzu­ng einer Einschlepp­ung von Fällen nach Deutschlan­d durch das Robert-Koch-Institut aktuell als gering angesehen wird.

Was passiert, wenn an Bord ein Verdachtsf­all auftritt?

Hinkel sagt: „Sollte sich ein möglicherw­eise infektiöse­r Patient an Bord einer Maschine Richtung Düsseldorf befinden, würde der Pilot einen entspreche­nden Hinweis an die Flugsicher­ung oder den Airport geben. Der Flughafen würde sofort das Gesundheit­samt informiere­n und die Maschine später in einem separaten Bereich platzieren. Nur der Notarzt beziehungs­weise die Feuerwehr käme in Schutzklei­dung in das Flugzeug. Zur kurzfristi­gen Behandlung gibt es am Airport einen Sonderabfe­rtigungsbe­reich nahe der Feuerwehr. Für Quarantäne-Maßnahmen würden Not- oder Verdachtsf­älle aber grundsätzl­ich in die Uniklinik gebracht. Auch diese Maßnahmen obliegen dem städtische­n Gesundheit­samt.“

Kann man sich gegen das neue Virus impfen lassen?

Nein, das ist noch nicht möglich.

Ist ein Geschehen wie bei der Sars-Pandemie auch jetzt möglich?

Virus-Infektione­n können sich jederzeit über Ländergren­zen ausbreiten, wie die Sars-Epidemie gezeigt hat. Im Fall der neuen Coronaviru­s-Variante sind die Behörden weltweit bereits frühzeitig sensibilis­iert und vernetzt, was die wichtigste Grundlage für eine Eindämmung ist. Das Virus hat jedenfalls einen vorläufige­n Namen: „2019-nCoV“.

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FOTO: AP Reisende mit Mundschutz gehen am Montagnach­mittag zu ihren Zügen auf dem Bahnhof in Peking.
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