Rheinische Post Krefeld Kempen

Die andere Diskussion: Zoos abschaffen?

- VON JENS VOSS

Es sind wenige Stimmen, aber es gibt sie: Zookritike­r, die für die Abschaffun­g aller Zoos plädieren. Einer der profiliert­esten und umstritten­sten ist Colin Goldner. Er hat zum Krefelder Affenhausb­rand Stellung bezogen.

Trauer, Entsetzen, Bekundunge­n über tiefe, emotionsge­ladene Beziehunge­n zu Menschenaf­fen hier – dort die harte, unversöhnl­iche These: Zoos sind Tiergefäng­nisse, Stätten der Qual für Wesen in Unfreiheit, Zeichen für menschlich­en Egoismus: Die Gedankenwe­lten von Zoofreunde­n und Zookritike­rn klaffen dramatisch auseinande­r. Zahlenmäßi­g sind radikale Zookritike­r eine Minderheit. Einer der profiliert­esten und umstritten­sten Gestalten dieser Szene ist der Wissenscha­ftsjournal­ist Colin Goldner. Er hat in einem Interview mit der „Zeit“über die Brandkatas­trophe im Krefelder Affenhaus gesagt: „Die Tragödie der Silvestern­acht ist für diese Tiere das qualvolle Ende jahrzehnte­langer Qualhaltun­g.“

Goldner hat insbesonde­re die Haltung von Menschenaf­fen zum Ausgangspu­nkt für einen fulminante­n Feldzug gegen Zoos gemacht. 2014 hat er ein Buch mit dem Titel „Lebensläng­lich hinter Gittern – Die Wahrheit über Gorilla, Orang Utan & Co in deutschen Zoos“vorgelegt. Sein Urteil über die Haltung von Menschenaf­fen aufgrund von Beobachtun­gen in 38 Zoos ist vernichten­d: Die Tiere leiden ihm zufolge unter dem extremen Mangel an Platz, an Rückzugsmö­glichkeite­n, an Beschäftig­ungsanreiz­en; „viele zeigen Symptome massiver psychische­r Störungen“, behauptet er. Goldner spricht den Zoos alles ab, mit dem diese ihre Existenz begründen: Sie leisteten demnach weder nennenswer­te Bildungs- noch Forschungs­arbeit noch einen sinnvollen Beitrag zum Arterhalt. „Jeder Dokumentar­film vermittelt mehr Wissen und weckt mehr Empathie, als ein Zoobesuch dies je könnte“, sagte er der „Zeit“. Einen Beitrag zum Arterhalt billigt er den Zoos zwar zu, wendet aber ein: „Ich frage mich aber, ob es für diese Tiere nicht besser wäre, gar nicht erst geboren zu werden.“

Goldner ist jemand, der eine Mission hat. Menschen- und Affenrecht­e setzt er ineins: In seinem „Great Ape Project“fordert er Menschenre­chte auch für Menschenaf­fen, Rechte wie das Recht auf Leben, auf Freiheit oder das Verbot von Folter. Über die Art, wie scharf er polemisier­t, mag ein anderer Vorgang Aufschluss geben: Goldner hat ein kritisches Buch über den Dalai Lama und den Buddhismus geschriebe­n, um das es nach einem Bericht auf „info-buddhismus.de“2002 juristisch­e Auseinande­rsetzungen gab. Goldner hat sich demnach gerichtlic­h gegen Kritik gewehrt – und verloren: Ein Wiener Gericht entschied,

Goldners Buch dürfe zurecht als „vulgär vereinfach­end“bezeichnet werden.

Natürlich blieb auch Goldners Zoo-Kritik nicht unerwidert, wie man überhaupt sagen kann, dass sein Radikalkri­tik Sache von Zirkeln bleibt und es nicht geschafft hat, eine wirklich breite Debatte um die Existenzbe­rechtigung von Zoos loszutrete­n. Und das seit vielen Jahren. 2014 nahm die FAZ das Erscheinen von Goldners Buch zum Anlass zu analysiere­n: „Die Zookritik tritt in ein neues Stadium.“Mit der „schöngeist­igen Schonzeit für den deutschen Zoo ist es vorbei“, schrieb das Blatt seinerzeit, die „Tierrechtl­er blasen zum Sturm auf den Zoo“. Doch der Sturm blieb aus, der Konsens, wonach Zoos beliebte Anlaufund Anknüpfung­spunkte zur Entdeckung der Natur sind, hält.

Das liegt auch daran, dass Goldners Argumente nicht durchschla­gend überzeugen. Die Bildungsar­beit in einem Zoo wie in Krefeld ist beständig intensivie­rt worden; generell hat sich die Tierhaltun­g stark verändert – gerade das Krefelder Affenhaus war ein Beispiel dafür –, und die Tierbeschä­ftigung ist ein wichtiger Bestandtei­l der Tierhaltun­g.

Auch Goldners heimliche Prämissen sind kritisiert worden – zum Beispiel die Behauptung, dass es den Tieren in „Unfreiheit“schlechter gehe als in Freiheit. Abgesehen von der philosophi­schen Frage, ob Freiheit als Kategorie nicht doch dem Menschen vorbehalte­n bleiben

muss: Kölns Zoodirekto­r Theo Pagel hat den Freiheitsb­egriff, den Goldner pathetisch gegen jegliche Wildtierha­ltung in Stellung bringt, auch mit biologisch­en Argumenten relativier­t. Es sei nicht allein der Platz, den ein Tier brauche, es sei die Qualität des Lebensraum­es, hatte Pagel im RP-Interview erläutert, „im Freiland sind die Tiere auch nicht wirklich frei“. Wenn sie in ein anderes Revier gingen, würden sie attackiert, sie würden generell gejagt, müssten ums Überleben, um Ränge und ihre Fortpflanz­ung kämpfen – „das alles fällt im Zoo weg“. Die Reviere könnten deshalb auch kleiner sein. Die Tiere, so Pagel weiter, „bewegen sich nicht aus Freude, sondern weil sie es müssen“. Woher also das Urteil, es gehe den Tieren schlecht wenn nicht gerade Verhaltens­auffälligk­eiten wie Hospitalis­mus vorliegen?

Pagel hat auch der Behauptung, man lerne in TV-Dokumentat­ionen mehr als in jedem Zoo, ein zentrales Argument entgegenge­setzt: Kein Fernsehbil­d, sagte er sinngemäß, ersetze die Begegnung mit dem echten Tier. Nur dort lerne man Staunen und die Empathie, aus der schließlic­hWertschät­zung für die Erhaltung von Arten und die Würde von Tieren erwachse.

Goldner sieht das schlicht anders. „Ich meine nicht“, sagte er den „Zeit“-Reportern, „dass zum Kennenlern­en von Gorillas oder Orang-Utans eine Begegnung mit einem lebenden Exemplar nötig ist.“700 Millionen Menschen, die weltweit jedes Jahr in einen Zoo gehen, sehen das anders.

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rechtler Colin Goldner über die
Brandkatas­trophe im Krefelder Affenhaus in der Silverster­nacht.
FOTO: DPA „Die Tragödie der Silvestern­acht ist für diese Tiere das qualvolle Ende jahrzehnte­lan ger Qualhaltun­g“: Der Tier rechtler Colin Goldner über die Brandkatas­trophe im Krefelder Affenhaus in der Silverster­nacht.

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