Rheinische Post Krefeld Kempen
Warum NRW bei der Hilfe für die Städte so zögerlich ist
ANALYSE
BERLIN Hagens Stadtkämmerer Christoph Gerbersmann wundert sich über seinen Parteifreund Armin Laschet (CDU). Der müsse beim Altschuldenabbau der Kommunen durch Bund und Länder eigentlich als „Treiber“auftreten, tatsächlich aber ist vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten dazu bisher wenig zu hören. Treiber ist ein anderer: Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) setzt sich schon seit September vehement dafür ein, die 2500 am meisten verschuldeten Kommunen zu entschulden, damit sie zu den übrigen 7500 Gemeinden aufschließen können.
Von diesen 2500 Städten liegen die allermeisten in Nordrhein-Westfalen, die übrigen im Saarland und
Rheinland-Pfalz. Ihre Altschulden summieren sich auf mindestens 35 Milliarden Euro, rund zwei Drittel davon betreffen Städte in NRW. Zu den Spitzenreitern bei der Verschuldung zählen die Ruhrgebietsstädte Gelsenkirchen, Oberhausen und Essen. Auch Hagen schiebt Kassenkredite von mehr als einer Milliarde Euro vor sich her, das sind 6000 Euro pro Einwohner. Die Zinslast von 15 Millionen Euro pro Jahr verhindert Investitionen in Straßen, Kitas oder Kulturangebote. Kämmerer Gerbersmann hofft daher nun auf die Hilfe des Bundes – und Laschets.
Doch der Ministerpräsident hält sich auffallend zurück – obwohl im September in Nordrhein-Westfalen Kommunalwahlen anstehen. Über seine Motive lässt sich nur mutmaßen, aber Laschet ist erfahren genug, um vorauszusehen, dass das Scholz-Projekt an Widerständen scheitern dürfte. Laschet möchte nicht auf der Verliererseite stehen. Die überlässt er lieber Olaf Scholz.
Für Laschet dürfte maßgeblich sein, dass sich die drei mächtigsten Männer in der Unionsfraktion gegen das Scholz-Projekt positioniert haben. Fraktionschef Ralph Brinkhaus, seinVize Andreas Jung und der Chef-Haushälter Eckhardt Rehberg wollen die Altschuldenübernahme aus prinzipiellen Gründen verhindern. Für die Entschuldung der Kommunen seien laut Verfassung die Länder zuständig. Zudem habe der Bund Länder und Kommunen in den vergangenen Jahren massiv entschuldet. Künftig würden die Länder Etatüberschüsse erzielen, auf den Bund dagegen kämen viele kostenträchtige Projekte wie die Grundrente zu. Die Union verweist darauf, dass die Altschuldenübernahme auch gar nicht von der Regierungskommission für gleichwertige Lebensverhältnisse empfohlen worden war, wie oft behauptet werde. Vielmehr habe Scholz selbst in eine Stellungnahme der Bundesregierung zum Abschlussbericht der Kommission die Passage zur Altschuldenübernahme eingefügt.
Nach Meinung seiner Ministerialen wird Scholz das Projekt zudem ohne eine Grundgesetzänderung nicht verwirklichen können, denn der Bund darf laut Verfassung keine direkte Finanzbeziehung zu den Kommunen haben. Die für eineVerfassungsänderung notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat sind aber unwahrscheinlich. In der Union halten daher viele das Altschuldenprojekt für ein „reines PR-Spektakel“, das nach den Kommunalwahlen im Sande verlaufen dürfte.
Auch die kommunalen Spitzenverbände ahnen, dass die einmalige Chance zur Entschuldung ungenutzt bleiben könnte. Umso größer wird ihr Druck.„In diesem Jahr muss eine Lösung des Altschuldenproblems erreicht werden“, sagt Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Städtetags. Vor allem Nordrhein-Westfalen müsse beziffern, wie viel Mittel es zur Co-Finanzierung der Entschuldung selbst bereitstellen wolle. Das Land habe eine Schlüsselstellung inne. „Die Zeit drängt“, sagt der Städtetags-Geschäftsführer. Er spricht Hagens Kämmerer aus dem Herzen.