Rheinische Post Krefeld Kempen
Müller muss mit
MEINUNG
Vielleicht macht Familie Müller im Sommer eine Asienreise. Frau Müller, Vorname Lisa, steht mit ihrem Pferd„Stand by me“im Perspektivkader für die Olympischen Sommerspiele in Tokio. Und Herr Müller, Vorname Thomas, gehört zu den rund 50 Nominierten einer ziemlich langen Short List, die DFB-Coach Stefan Kuntz Anfang des Jahres der Nationalen Anti-Doping-Agentur melden musste. Bayern Münchens Profi Thomas Müller könnte als einer von drei älteren Spielern das U-21-Team des DFB verstärken, das in Tokio ab dem 24. Juli um Medaillen spielt.
Kuntz beteuert zwar, dass er sich über die drei älteren Herren, die es in sein Aufgebot von 16 Feldspielern und zwei Torhütern schaffen, „zuletzt Gedanken machen“werde. Und Müller verweist auf seine Aufgaben beim FC Bayern. Er nennt die Spekulationen um Tokio eine„coole Spinnerei“. DFB-Sportdirektor Oliver Bierhoff aber glaubt, Müller im Tokio-Team werde „sofort für Aufmerksamkeit sorgen“. Bundestrainer Joachim Löw, der Müller ebenso wie Mats Hummels (auch dessen Name steht auf der Olympia-Liste) und Jerome Boateng aus der A-Elf abservierte, hält Müller ausdrücklich für„eine Möglichkeit“bei Olympia. Was spricht für Müller?
Die Form Seit Hansi Flick bei Bayern München das Traineramt übernommen hat, gilt der alte Satz von Louis van Gaal: „Müller spielt immer.“Ebenso wie beim kantigen Holländer, der als Müllers Entdecker gelten darf, spielt der schlaksige Weltmeister mit dem unergründlichen Raumgefühl bei Flick eine Hauptrolle. Flicks Vorgänger Niko Kovac besetzte ihn nicht so. Er schickte den Bayern ausdauernd auf die Bank, was so weit führte, dass der sich und seinen Klub mit öffentlichen Abschiedsgedanken plagte.
Nun zahlt er Flicks Vertrauen zurück. Beim 4:0 in Berlin traf Müller einmal, und er bereitete einen Treffer vor. Das ist durchaus typisch. In der Scorer-Liste steht er mit 15 Punkten (drei Tore, zwölf Vorlagen) inzwischen schon wieder auf Rang sechs. Und in elf Spielen beim Trainer Flick spielte Müller elfmal.
Die Persönlichkeit Wer Müller nimmt, der weiß, was er bekommt. Auf dem Rasen steht der 30-Jährige für unorthodoxes, aber produktives Spiel. Er kann mit dem Publikum spielen, und er wirkt von innen auf seine Mannschaft – mit Gesten und mit vorgelebter Einstellung. Als Öffentlichkeitsarbeiter ist er für jeden Arbeitgeber und jede Auswahlmannschaft ein Gewinn. Müller verfügt über eine natürliche Ausstrahlung und reichlich Mutterwitz. Er gilt als einer der beliebtesten Bundesliga-Spieler – wenn er spielen darf. Wenn man ihn nicht ran lässt, kann er öffentlich sehr geschickt granteln. Aber das steht bei Olympia ja nicht auf dem Programm.
Die Erfahrung Müller ist seit zwölf Jahren Profi in einem Spitzenklub. Ihm kann niemand etwas über den
Stress auf der großen Bühne erzählen oder über die Anforderungen der ganz großen Spiele. Er stand in drei Champions-League-Endspielen (das 2013 in London gewann er), er war der jüngste WM-Torschützenkönig (2010), wurde WM-Dritter 2010 und schließlich Weltmeister 2014. Dabei war er nie Mitläufer, sondern immer eine prägende Figur.
Der Ehrgeiz Die Phase seiner Versetzung auf die Bayern-Bank unterstrich noch mal, wie heiß Müller auf Einsätze ist. Diese Hitze brennt sogar seinen Mannschaftsgeist davon. Am Ende ist Müller nur glücklich, wenn er einer von elf Spielern ist, auch wenn er gelegentlich etwas anderes behauptet. Über das zurückliegende halbe Jahr bei den Bayern sagt er: „Summa summarum war es ein schönes Halbjahr, weil das eine Prüfung war, und ich habe vom Gefühl her die Prüfung bestanden.“
Die Führungsqualitäten Müller kann nicht nur jungen Spielern Halt geben. Das klappt auch mit den älteren Kollegen. In einem Olympia-Team, das zum größten Teil aus eher jugendlichen Fußballern des Jahrgangs 1998 (Stichtag 1. Januar) bestehen wird, wäre er zweifellos eine anerkannte Autorität. Das ruft geradezu zwangsläufig nach der Kapitänsrolle. Müller wäre ein idealer Kandidat.
So spricht vieles für Müller und manches für Familie Müller bei Olympia. Allerdings nicht alles. Denn natürlich sieht Thomas Müller den Schwerpunkt seines Berufslebens bei den Bayern. Und er weiß, dass Olympia terminlich zumindest mit der Vorbereitung auf die neue Bundesliga-Saison kollidiert. Deshalb erklärt er: „Ich weiß nicht, welche Umstände da reinspielen müssen, dass ich Olympia spiele, wenn sich im August die Klubmannschaften auf die Saison vorbereiten. Das wäre ungewohnt. Ich sag mal so: Sag niemals nie.“Es besteht Hoffnung.