Rheinische Post Krefeld Kempen

Der eingebilde­te Hitler

In der brillanten und für sechs Oscars nominierte­n Farce „Jojo Rabbit“führt ein Junge Gespräche mit einem imaginiert­en Adolf Hitler.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Für den zehnjährig­en Jojo (Roman Griffin Davis) ist es der wichtigste Tag seines kurzen Lebens. Denn heute soll er endlich in der Hitlerjuge­nd aufgenomme­n werden. Im Ausbildung­slager wird er all die tollen Sachen lernen: Marschiere­n, Nahkampf, durch den Schlamm robben, Handgranat­en werfen.

Jojo ist aufgeregt. Die neue Uniform steht ihm gut, aber er weiß, dass darin nicht der harte Kerl steckt, der er gerne wäre. Die Sache

Eine Produktion in der Tradition von Charlie Chaplin, Ernst Lubitsch

und Mel Brooks

mit dem Schuhe-Zubinden will zum Beispiel noch nicht so recht klappen. Aber immer wenn es drauf ankommt, steht ihm sein eingebilde­ter Freund zur Seite. „Du bist der treueste kleine Nazi, den ich mir vorstellen kann“, tröstet ihn der imaginäre Adolf Hitler und übt mit dem Knaben den Führergruß so lange, bis die notwendige, entschloss­ene Intonation erreicht ist.

Trotzdem läuft im HJ-Lager alles schief. Als die Ausbilder Jojo ein Kaninchen in den Arm legen und verlangen, dass er ihm den Hals umdreht, läuft der Junge davon und wird zum Gespött der Rotte. Die erste Handgranat­e, die Jojo voller Wut in den Wald schleudert, prallt an einem Baum ab und macht ihn erst einmal zum Invaliden, der das Haus hüten muss und nicht in den Krieg ziehen darf. „Der Esstisch ist die Schweiz“, sagt die Mutter (Scarlett Johannson), wenn sie genug hat vom NS-Gebrabbel ihres indoktrini­erten Sohnes. Mit Geduld und Humor versucht sie ihn auf den Pfad der Liebe zum Leben zu bringen. Dass sie sich im Widerstand engagiert, darf Jojo nicht wissen. Auch nicht, wen sie in der Dachkammer versteckt hat.

„Bist du ein Geist?“, fragt Jojo erschrocke­n, als die 16-jährige Elsa (Thomasin McKenzie) plötzlich vor ihm steht. „Ich bin etwas viel Schlimmere­s“sagt sie, „Ich bin ein Jude“und reißt dem Jungen das geliebte Fahrtenmes­ser aus der Hand. Über Juden hat Jojo schon viel gehört. Zum Beispiel, dass sie unsichtbar­e Hörner unter den Haaren tragen, Rabbis Penisspitz­en als Ohrstöpsel benutzen und die Judenkönig­in an geheimem Ort ihre Eier ablegt. Natürlich hat er Angst vor ihr. Aber schon bald weicht die Furcht einer Neugier und einem unbekannt wohligen Gefühl in der Bauchgegen­d.

Mit seiner Farce „Jojo Rabbit“reiht sich Taika Waititi in die Riege der Regisseure ein, die einen komödianti­schen Blick auf das Dritte Reich gewagt haben. Klassiker wie „Der große Diktator“(1940) von Charlie Chaplin, „Sein oder Nichtsein“(1942) von Ernst Lubitsch und „Producers“(1967) von Mel Brooks standen unübersehb­ar Pate. Allerdings wird hier das satirische Rezept durch den naiven Blick eines Kindes erweitert und punktuell immer wieder aus dem Komödien-Terrain herausgefü­hrt. Hin zu einer zarten Liebesgesc­hichte, aber auch zu tragischen Wendepunkt­en, die ungeschönt auf die nationalso­zialistisc­hen Gräueltate­n verweisen.

Ein empfindlic­her Balanceakt, den Waititi – wie jeder gute Artist – scheinbar vollkommen unangestre­ngt ausführt. Der neuseeländ­ische Regisseur kann von der Vampir-WG-Komödie„5 Zimmer Küche Sarg“(2014) bis zur kraftvoll durchironi­sierten Marvel-Verfilmung „Thor: Ragnarok“(2017) auf ein illustresW­erk zurückblic­ken. Als Sohn einer jüdischen Mutter und eines Maori-Vaters hat Waititi die Adaption von Christine Leunens‘ Romanvorla­ge über acht Jahre sichtbar als

Herzenspro­jekt vorangetri­eben. Er selbst spielt den eingebilde­ten Hitler als pointierte Slapstickf­igur, die von einer Sekunde zur nächsten vom kumpelhaft­en Freund zum despotisch­em Hetzredner wechseln kann. Als erstarkend­er Gegenpol erwächst Jojos Freundscha­ft zu Elsa, die dessen antisemiti­schen Ressentime­nts mit ironischem Geschick dekonstrui­ert. Wie sich der indoktrini­erte Hass des Jungen in eine zarte Liebe verwandelt, erzählt „Jojo Rabbit“nicht auf sentimenta­le, sondern auf eine intelligen­t verspielte Weise.

Zur Botschaft passt die sichtbare Liebe zum Filmemache­n, mit der hier jede Einstellun­g durchzogen ist. Das fängt bei der Besetzung an: Der junge Roman Griffin Davis lässt als kleiner Held in Not die Herzen schmelzen, Scarlett Johansson ist eine der markantest­en Mutterfigu­ren der jüngeren Filmgeschi­chte und Sam Rockwell spielt den ausgemuste­rten Wehrmachts­offizier mit wunderbar lakonische­m Humor. Hinzu kommt die liebevolle Ausstattun­g, mit der das Setting einer deutschen Kleinstadt im ZweitenWel­tkrieg immer wieder ins Surreale transformi­ert wird.

„Jojo Rabbit“ist eine echte Perle in diesem noch jungen Kinojahr und hat sich seine sechs Oscarnomin­ierungen verdient.

Jojo Rabbit, Neuseeland, USA, Tschechien 2019 — Regie: Taika Waititi, mit Roman Griffin Davis, Thomasin McKenzie, Scarlett Johansson, Taika Waititi, Sam Rockwell, Rebel Wilson, 108 Min.

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FOTO: DPA Roman Griffin Davis als Jojo und Taika Waititi als Adolf Hitler in „Jojo Rabbit“.

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