Rheinische Post Krefeld Kempen
Normalität in kleinen Dosen
Das öffentliche Leben läuft wieder an. Die Rückkehr in den Alltag ist aber schwieriger als der Einstieg in den Ausnahmezustand.
BERLIN Nach wochenlangem Stillstand werden die Corona-Maßnahmen nun in kleinen Schritten gelockert. Trotz des einheitlichen Beschlusses der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten vom vorigen Mittwoch gibt es allerdings zahlreiche Sonderwege der Bundesländer. Im föderalen Staat haben sie Spielraum für eigene Schwerpunkte – das führt zu einem Flickenteppich, der bereits Wettbewerbsverzerrungen im Einzelhandel befürchten lässt. Zur Stärkung des Einzelhandels fordert der Paderborner Bundestagsabgeordnete und Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann verkaufsoffene Sonntage.„Wir müssen sofort das Sonntagsöffnungsverbot für Geschäfte lockern, damit der Einzelhandel die Verluste ein Stück weit auffangen kann“, sagte der Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsunion unserer Redaktion. Er mahnt, die Staatshilfen für die Wirtschaft seien begrenzt: „Wir können nicht jede Firma retten.“Und er warnt Betriebe und Bürger vor Missbrauch der Zahlungen. Der Staat müsse jetzt zwar unbürokratisch Zuschüsse vergeben, aber die Finanzämter prüften später bei den Einkommensteuererklärungen, ob alle Auszahlungen gerechtfertigt gewesen seien. Es dürfe nur unterstützt werden, wer wirklich Hilfe brauche. Das Gleiche gelte für Staatsbeteiligungen an Unternehmen. An der Finanzierung der Krise würden sich alle beteiligen müssen – „ob CEOs, Bischöfe, Beamte oder Politiker“.
Ein Überblick über die Lockerungen:
Geschäfte Nach dem Beschluss von Bund und Ländern dürfen Kfz- und Fahrradhändler und Buchhandlungen sowie alle Geschäfte mit einer Ladenfläche bis zu 800 Quadratmetern wieder öffnen. Es gibt aber bundesweit viele Unterschiede bei Zeit und Raum. In NRW werden Geschäfte, darunter auch Möbelhäuser, schon von diesem Montag an geöffnet, in Berlin und Brandenburg ab Mittwoch, in Thüringen erst ab dem 27. April. Mehrere Länder, darunter Rheinland-Pfalz, Hessen und das Saarland, erlauben auch die Öffnung größerer Läden, wenn sie ihre Verkaufsfläche auf 800 Quadratmeter begrenzen. Das möchte auch die Stadt Solingen und fordert das Land NRW auf, Unklarheiten zu beseitigen. Hier zeigt sich der Wettbewerbsdruck besonders stark. Der Begrenzung auf eine Quadratmeterzahl lag in dem Beschluss von Bund und Ländern vom vorigen Mittwoch die Sorge zugrunde, dass große Läden als Publikumsmagnet wirken könnten.
Gottesdienste Das persönliche Gebet in der Kirche war und ist trotz Corona-Krise niemandem verboten, aber Zusammenkünften in Kirchen, Moscheen und Synagogen wurde am 16. März ein Riegel vorgeschoben, etwa weil gemeinsames Sprechen und Singen als Ansteckungsquelle gilt. Das könnte bald gelockert werden, denn Gottesdienste sind in der Regel nicht so voll und Gemeindemitglieder nicht so unbelehrbar, dass das Abstandsgebot in der Kirche missachtet würde. Als erstes Bundesland erlaubt Sachsen bereits ab Montag wieder Gottesdienste, wenn auch nur im kleinen Rahmen mit bis zu 15 Teilnehmern. Über eine bundesweite Lösung sprechen die Ministerpräsidenten und der Bundesinnenminister aber erst noch mit den Vertretern der Religionsgemeinschaften. Sie entwickeln derzeit, wie Gottesdienste unter Einhaltung der Hygieneregeln stattfinden und Lockerungen „zeitnah“nach dem nächsten Treffen von Bund und Ländern am 30. April ermöglicht werden können.
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte im Deutschlandfunk:„Wenn man Läden öffnet, darf man auch in Kirchen beten.“Er verweist darauf, dass in NRW die Gottesdienste nie untersagt worden seien, er die Religionsgemeinschaften aber zu entsprechenden eigenen Entscheidungen aufgefordert habe.
Schutzmasken Auch die Regelungen zu Mund-Nase-Masken sind uneinheitlich. Die Bundesregierung lehnt eine bundesweite Tragepflicht bisher ab, was auch daran liegt, dass es diese Masken gar nicht ausreichend gibt. Sie empfiehlt aber wie viele Bundesländer dringend, eine Schutzmaske zu tragen beim Einkaufen und im öffentlichen Nahverkehr. In Sachsen gilt in diesen Bereichen unterdessen nun bis auf Weiteres eine Maskenpflicht. Ebenso ab 27. April in Mecklenburg-Vorpommern in öffentlichen Verkehrsmitteln und in Taxis. Daneben gibt es einzelne Städte und Kommunen, die diesen Weg gehen.
Gastronomie und Hotels Sie bleiben geschlossen – bis auf den Lieferservice von Gaststätten. Je länger dieser Zustand andauert, desto größer wird für viele Restaurants und Hotels die Gefahr der Pleite. Der Bund erwägt bereits zusätzliche Hilfen. „Wir haben vor allem jene Branchen im Blick, für die es noch nicht so schnell wieder losgeht. Das Hotel- und Gaststättengewerbe gehört sicherlich dazu“, sagt Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Die CSU hat eine reduzierte Mehrwertsteuer ins Gespräch gebracht.
Alten- und Pflegeheime und Kliniken Hier gelten weitgehend Besuchsverbote fort. Aber Bund und Länder wollen eine soziale Isolation der Menschen verhindern. Wie, ist noch nicht klar. Die Grünen fordern in einem Sieben-Punkte-Plan Lockerungen durch Zeitkorridore und Schutzausrüstungen für Besucher. Der familiäre Beistand von Sterbenden solle weitgehend ermöglicht werden und pflegende Angehörige stärker unterstützt werden. Angehörige, die pflegebedürftige Menschen durch den Wegfall von Betreuungsmöglichkeiten länger dauerhaft selbst versorgen, sollten eine Lohnfortzahlung über das Infektionsschutzgesetz erhalten.
Eine gewaltbereite Szene aus Reichsbürgern und Rechtsextremisten fantasiert über einen herannahenden „Tag X“, um Jagd auf politische Gegner zu machen. Sicherheits-Behörden sind alarmiert.