Rheinische Post Krefeld Kempen
Brief der Abiturienten
Der Brief Krefelder Abiturienten an die NRW-Schulministerin findet also großen Anklang. Das wundert mich, denn die Argumentation der Schüler ist schon sehr wackelig. Wir reden über drei Wochen Schulunterricht, der nicht erteilt wird. Was in acht Jahren nicht vermittelt wurde, kann in 15 Tagen nicht aufholt werden. Also: wo ist das Problem? Ich selbst gehöre einem Jahrgang an, der von Kurzschuljahren betroffen war und dem neun Monate Schulunterricht vorenthalten wurden. Das düstere Bild der häuslichen Situation, das gezeichnet wird, kann ich nicht nachvollziehen. Stress? Möglicherweise sitzen viele der 78.000 Abiturienten komfortabel in ihrem eigenen Zimmer und können in Ruhe lernen. Lerngruppen kann man dank moderner Technik immer bilden, und nie war der Zugang zu Wissen so einfach wie heute. Durch die erzwungene
Ruhe durch Wegfall vieler Freizeitaktivitäten fehlt auch die Ablenkung, ein Gewinn für jeden Lernwilligen! Ansteckungsgefahr bei der Fahrt zur Schule, auf engen Fluren, auf der Toilette? Für diese Aussage müssten sich die Schüler schämen, denn gleichaltrige oder sogar jüngere Auszubildende in Gewerbe, Handwerk und Handel gehen selbstverständlich ihrer Arbeit nach, und die Bedingungen sind mit Sicherheit nicht in jedem Fall besser als in einer Schule. Eine Arbeitsbefreiung gibt es dort nicht, seit Wochen müssen die Lehrlinge pünktlich erscheinen. Und zur Hygiene der Hinweis: Man kann sich ein Stück Seife und ein eigenes Handtuch von zu Hause mitbringen und wer ganz empfindlich ist, auch noch eine Toilettenauflage (die Corona-Viren sind in den letzten fünf Wochen sowieso abgestorben).
Die Idee, sich als Erntehelfer zu melden, ist lachhaft. Die hygienischen Bedingungen bei Arbeit unter freiem Himmel und unter Nutzung einer Dixie-Toilette können nicht besser sein als im Schulgebäude. Und was ist mit dem Problem der An- und Abfahrt zum Einsatzort, die angebliche Betreuung kleinerer Geschwister? Da ändert sich nichts im Vergleich zum Schulbesuch.
Ich hoffe, dass Frau Gebauer den hanebüchenen Vorschlag, dass Schüler selbst entscheiden dürfen, ob sie das Zeugnis der Reife mit oder ohne Abiturprüfung bekommen, ablehnt. Für die Zukunft hieße das auch, einen Präzedenzfall zu schaffen, denn möglicherweise gibt es in den kommenden Jahren immer wieder individuell empfundene Stressfaktoren, die Schüler hindern, sich einer Prüfung zu unterziehen.
Der Teilnahme an der Abiturprüfung steht aus meiner Sicht nichts entgegen, die Unzumutbarkeit konnten mir die Schüler nicht schlüssig darlegen!
Bettina Wendler, Krefeld