Rheinische Post Krefeld Kempen
Sorge um die Hülser „Bückeburg“
Eines der ältesten und wertvollsten Gebäude von Hüls ist in Gefahr: die Vikarie, auch Rektorat oder im Volksmund „Bückeburg“genannt, weist massive Schäden auf. Nötig werden umfassenden Sanierungsarbeiten.
In den sozialen Netzwerken sorgt es für Aufmerksamkeit, die Hülser Politik ist alarmiert: Eines der ältesten und wertvollsten Gebäude von Hüls ist in Gefahr: die Vikarie, auch Rektorat oder im Volksmund „Bückeburg genannt, weist massive Risse im Mauerwerk auf, musste statisch gesichert werden und steht vor umfassenden Sanierungsarbeiten, will man das seit 1984 denkmalgeschützte Haus retten. Der Name Bückeburg geht auf eine hübsche Geschichte zurück: Der letzte Pfarrer, der dort gelebt hat, war der wegen seiner Mundartpredigten beliebte, 2011 verstorbene Pfarrer Hermann Lunkebein. Als langer Lulatsch, der der Geistliche mit seiner Größe von knapp zwei Metern war, musste er sich in dem Haus vielfach bücken – so war irgendwann der Begriff Bückeburg geboren.
Die niedrige Deckenhöhe ist zugleich ein Hinweis auf das Alter des Gebäudes. Seine Geschichte reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück. Besitzer ist die katholische Kirche. Vor zweieinhalb Jahren fiel erstmals auf, dass etwas mit dem Gebäude nicht stimmte. Damals waren dem Architekten Thomas Blohm-Schröder feine Risse in der Fassade des Gebäudes aufgefallen. Blohm-Schröder ist quasi der Haus- und Hofarchitekt von St. Cyriakus, erfahren im Umgang mit historischen Gebäuden, zumal mit kostbaren Kirchen. In Hüls ist er zuletzt mit der Sanierung des Altarraums von St. Cyriakus befasst gewesen. „Diese Schäden bewegten sich zunächst im Rahmen des üblichen und sollten behoben werden“, berichtet Blohm-Schröder auf Anfrage über die Vikarie. Im Frühjahr 2019 musste er feststellen: Die Risse waren erheblich breiter geworden; „dieser Schaden hatte nichts mehr mit dem zu tun, was ich im Februar gesehen habe.“Es war klar: Es gibt ein grundsätzliches Problem, innen wie außen. Im Innern gab es sogar eine Eckwandsituation mit einem Riss, durch den man Richtung Garten bis ins Freie blicken konnte, berichtet der Architekt. Es gab und gibt keine Einsturzgefahr, betont Blohm-Schröder, doch habe man zum Schutz der Bausubstanz im Dezember erste Sicherungsmaßnahmen vornehmen lassen.
Warum gerät ein Gebäude das seit Hunderten Jahren sicher steht, plötzlich so in Bewegung, dass die Mauern reißen?
„Wir vermuten, dass es etwas mit den extrem trockenen Sommern der vergangenen beiden Jahre zu tun hat“, sagt Blohm-Schröder. Der Baugrund ist demnach lehmund torfhaltig und durch die Trockenheit in sich zusammengesunken; so können die Spannungen im Mauerwerk immer größer geworden sein. „Man kann einen Murmeltest machen: Legt man im Innern eine Murmel auf den Boden, rollte sie zu einer Zimmerwand. Der Höhenunterschied macht mittlerweile eineinhalb bis zwei Zentimeter aus.“
Die Behebung der Schäden und das Unterfangen des Gebäudes mit einem neuen Fundament würde nach einer vorsichtigen Schätzung Blohm-Schröders 200.000 Euro kosten. Ob die Kirche dieses Geld aufzubringen in der Lage ist, sei offen, berichtet Pfarrer Paul Jansen. Unklar ist auch die künftige Nutzung, die letzte Bewohnerin, die Pfarrreferentin der Gemeinde, ist ausgezogen.
Die Politik will die Rettung des Gebäudes, das identitätsstiftenden
Rang für Hüls hat, helfen. Bezirksvorsteher Hans Butzen sagte zu, sich dafür einzusetzen: „Es ist für Hüls von großem Interesse, dieses Denkmalkleinod zu erhalten; nicht nur wegen der Erinnerung an den beliebten Pfarrer Lunkebein, sondern weil es sich um das älteste Gebäude von Hüls handelt.“
Die Geschichte des Hauses reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück. Der Eintrag im Denkmallistenblatt, mit dem 1984 der Denkmalschutz angezeigt wurde, ist laut Eva-Maria Eifert von der Unteren Denkmalbehörde Krefeld, offenbar nicht richtig. „Die Fachwerkanlage kann nicht 1820 errichtet und im 18. Jahrhundert mit einem barocken Schweifgiebel versehen worden sein“, berichtet sie. Die Eintragungen aus der Anfangszeit der Denkmalschutzgesetze NRW seien oft unter Zeitdruck erfolgt, so gebe es Präzisierungsbedarf, erläutert sie.
„Für das zugehörige Nebengebäude mag die Angabe dagegen zutreffen“, vermutet Eifert. Die Hülser
Chronik von Mellen 1998 datiere den Bestand der Liegenschaft um 1550/1600 (Kartengrundlage Urkataster), berichtet die Denkmalexpertin. Offenbar war die „Vikarie“der Pfarre St.Cyriakus zugeordnet und diente dem Unterhalt eines Pfarrbediensteten. Bereits im Mittelalter sind „Vikarien“als Stiftungen zum Lebensunterhalt eines Geistlichen entstanden.
Ein Irrtum ist auch der Vermerk in den„Hülser Heimatblättern“von 1978, wo unter einem Foto zu lesen ist, die Vikarie sei „die spätere Rektoratsschule; diese stand vielmehr rechts von der Vikarie und wurde irgendwann abgebrochen (Hülser Chronik Mellen, 1998). So dürfte die Bausubstanz dieses Gebäudes ins 16., spätestens 17. Jahrhundert zurückreichen. Die Rettung ist aus fachlich-historischer Sicht geboten.