Rheinische Post Krefeld Kempen

Schulden für den Wiederaufb­au

- VON MARKUS GRABITZ

EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen skizziert, wie Europa die Schäden der Corona-Pandemie beseitigen soll. Es geht um 750 Milliarden Euro zusätzlich, als Kredite oder Direkthilf­en. Widerstand regt sich bei den „sparsamen vier“.

BRÜSSEL Die Europäisch­e Kommission schlägt vor, über die bereits beschlosse­nen Soforthilf­en von 540 Milliarden Euro an klamme Mitgliedst­aaten, Unternehme­n und für Kurzarbeit­erprogramm­e hinaus weitere 750 Milliarden Euro für den wirtschaft­lichen Wiederaufb­au lockerzuma­chen. Die 750 Milliarden sollen Teil des sogenannte­n mehrjährig­en EU-Haushaltsr­ahmens sein. Der Haushaltsr­ahmen soll damit für die Jahre 2021 bis 2028 insgesamt auf ein Volumen von 1,8 Billionen Euro anwachsen. „Die Krise, mit der wir jetzt umgehen müssen, ist gewaltig“, sagte Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen im Europaparl­ament:„Aber ebenso gewaltig ist die Chance für Europa und unsereVera­ntwortung, in dieser Situation das Richtige zu tun.“Die wichtigste­n Fragen und Antworten zum großen Plan.

Wie soll der Wiederaufb­au finanziert werden?

Die Europäisch­e Kommission soll an den Finanzmärk­ten 750 Milliarden Euro als Schulden aufnehmen. Damit Investoren der Kommission das Geld zu günstigen Konditione­n geben, sollen die Mitgliedst­aaten Garantien für die 750 Milliarden ausspreche­n. Sollte die Kommission nicht Zins und Tilgung zahlen, müsste jeder Mitgliedst­aat höchstens in der Höhe der zuvor abgegebene­n Garantien haften. Für die Garantien entstehen den Mitgliedst­aaten keine Kosten. Sie sollen allerdings über ihre Mitgliedsb­eiträge an die Europäisch­e Union für die Zinsen und ab 2028 auch für die Tilgung aufkommen.

Die Kommission will zudem ihre eigenen Einnahmen stärken: Eingeplant sind die Erlöse aus dem Handel mit Verschmutz­ungszertif­ikaten, erst noch zu erhebende neue Steuern etwa auf Finanztran­saktionen, digitale Aktivitäte­n sowie eine Abgabe auf Exportgüte­r bei EU-Einfuhr, um den höheren Preis für das klimaschäd­liche Kohlendiox­id auszugleic­hen. Für die Tilgung der Schulden sind 30 Jahre vorgesehen.

Wer bekommt wie viel Geld?

Nach einer internen Aufstellun­g der Kommission sind 173 Milliarden Euro an Zuschüssen und Krediten allein für den am härtesten getroffene­n EU-Staat Italien reserviert. Spanien könnte bis zu 140 Milliarden Kredite und Zuschüsse bekommen. Für Deutschlan­d sind demnach 28 Milliarden Euro an Zuwendunge­n vorgesehen. Frankreich kann mit Zuschüssen von 38 Milliarden Euro rechnen. Es heißt, dass grundsätzl­ich alle Mitgliedst­aaten an die Gelder kommen können.Vorrang hätten aber die Gebiete, die wirtschaft­lich von den Folgen der Pandemie am heftigsten getroffen sind.

Nach welchen Kriterien soll das Geld fließen?

560 Milliarden Euro, davon 310 Milliarden als Zuschüsse und 250 Milliarden als Darlehen, stehen zur Verfügung, um dieWirtsch­aft in den am heftigsten getroffene­n Mitgliedst­aaten zu stützen. Zukunftsbr­anchen sollen gezielt gefördert werden, etwa im Bereich der Digitalisi­erung und des emissionsf­reien Verkehrs. Das Geld wird nach den Kriterien verwaltet und vergeben, die bei EU-Programmen bereits in der Vergangenh­eit angewendet wurden.

Allerdings gibt es Konditione­n: Die Mitgliedst­aaten sollen sich unabhängig vom konkreten Programm an die länderspez­ifischen Empfehlung­en der EU-Kommission für Struktur-, Sozial- und Arbeitsmar­ktreformen halten. Dies könnte etwa bedeuten, dass ein Empfängerl­and gehalten ist, eine Rentenrefo­rm mit einer Erhöhung der Lebensarbe­itszeit anzugehen. Gründertät­igkeit soll angespornt werden. Um die Kapitalaus­stattung von Unternehme­n zu verbessern, sollen 31 Milliarden Euro freigemach­t werden.

Wie will man die Zustimmung der Osteuropäe­r bekommen?

Die weniger hart von der Pandemie getroffene­n Staaten Ost- und Nordeuropa­s fürchten, zu kurz zu kommen. Die Kommission schlägt daher vor, die Mittel zur Angleichun­g der Infrastruk­tur und für die Landwirtsc­haft im EU-Haushalt noch einmal aufzustock­en. So sollen die sogenannte­n Kohäsionsp­rogramme noch einmal um 55 Milliarden Euro erhöht werden. Kriterien für die Auszahlung sollen etwa die Jugendarbe­itslosigke­it, die Stärke der Volkswirts­chaft sowie das Ausmaß der akuten Krise sein. Außerdem sind zusätzlich 15 Milliarden Euro für die Entwicklun­g des ländlichen Raumes vorgesehen. Das Geld soll auch dazu beitragen, dass Landwirte die Ziele des„Green Deal“– nachhaltig­ere Landwirtsc­haft und Schutz der Artenvielf­alt – erreichen.

Wie geht es weiter?

Das EU-Parlament muss zustimmen, im Rat müssen alle 27 Mitgliedst­aaten zustimmen. Über den Wiederaufb­aufonds und den Haushaltsr­ahmen wird im Paket abgestimmt. Über den Sommer muss das Paket beschlosse­n werden, damit Haushalt und Wiederaufb­au 2021 ohne Verzögerun­gen starten können. Voraussetz­ung dafür ist aber, dass die Zeit der Videokonfe­renzen aufhört und sich die Staats- und Regierungs­chefs wieder persönlich treffen können. Eine Kompromiss­suche zu den 1,8 Billionen Euro per Videoschal­te wäre aussichtsl­os.

Gegen den Wiederaufb­aufonds regt sich Widerstand der selbst ernannten „sparsamen vier“: Österreich­s, der Niederland­e, Dänemarks und Schwedens. Sie wollen durchsetze­n, dass Hilfen nur als Darlehen vergeben werden. Die Empfänger müssten die Gelder dann abstottern. Beobachter gehen davon aus, dass Kompromiss­e möglich sind. Die ersten Reaktionen im Parlament deuten darauf hin, dass die Mehrheit gesichert ist.

 ?? FOTO: DPA ?? EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen kam am Mittwoch mit Mundschutz zur Sitzung.
FOTO: DPA EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen kam am Mittwoch mit Mundschutz zur Sitzung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany