Rheinische Post Krefeld Kempen

Die letzte Bewährungs­probe

ANALYSE

- VON KRISTINA DUNZ

Angela Merkel hat mit einigen Superlativ­en beschriebe­n, wofür die zerstöreri­sche Pandemie mit dem dafür unpassend schönen Namen Corona, die „Krone“, steht: Für die „größte Herausford­erung“und den „härtesten Einschnitt in die Freiheitsr­echte“der Bürger in Deutschlan­d seit dem Zweiten Weltkrieg, eine „Zumutung für die Demokratie“und damit eine der„schwersten Entscheidu­ngen“in ihrer ganzen Amtszeit als Bundeskanz­lerin. Bei aller Wucht ist dieses Virus, das wie alle Infektione­n die Bedeutung von positiv und negativ ins Gegenteil verkehrt, aber noch etwas, das sich unangebrac­ht anhört und trotzdem zutrifft: Corona ist auch der krönende Abschluss der Kanzlersch­aft Merkel.

In dieser Krise versammelt sich alles, was die bald 66-Jährige in ihrem politische­n Leben gemanagt hat: Finanzkris­e, Schuldenkr­ise, Wirtschaft­skrise, Hass und Hetze, Spott und Spaltung,Verunsiche­rung undVerschw­örung. Eigentlich hatte sie sich mit ihrem Rückzug vom CDU-Vorsitz 2018 und ihrer Ankündigun­g, 2021 zur Bundestags­wahl nicht mehr anzutreten, darauf eingestimm­t, ihre Arbeit in Ruhe und für Spitzenpol­itiker beispiello­s berechenba­r zu Ende zu bringen. Selbst wenn es zum Koalitions­bruch gekommen wäre, wie es wegen der Spannungen in und mit der SPD sowie in und mit der Union lange für möglich gehalten wurde, wäre Merkel wohl ohne große Wehmut abgetreten. Die deutsche EU-Ratspräsid­entschaft – Merkels zweite – galt noch als eines ihrer großen Ziele. Aber nur, um diese zum 1. Juli noch zu übernehmen, hätte sie kaum auf Teufel komm raus durchregie­rt.

Dann kam Corona. Ihre einstige Favoritin für ihre Nachfolge im Kanzleramt, die nun scheidende CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r, hatte just zuvor ihren Rücktritt angekündig­t.

Wundern Sie sich auch, wie oft wir Deutsche mit kritischem Ton auf uns blickend vorwurfsvo­ll, selbstankl­ägerisch Stellung beziehen? Dies oder jenes sei „typisch deutsch“heißt es dann – mit der unausgespr­ochenen Entschuldi­gung für nationale Eigenarten, unter denen man leidet oder zu leiden vorgibt. Joachim Fest schreibt in seinem fabelhafte­n Italienbuc­h „Im Gegenlicht“: „Die Deutschen sind sich selber eine Peinlichke­it.“Fast jeder Reiseberic­ht vermerke den Horror vor den Landsleute­n, und Goethe äußere über seine „Italienisc­he Reise“, sie drücke auch seinen Hass gegen das Deutsche aus. Hand aufs Herz: Wer von uns hat

Die für April geplanteWa­hl eines Nachfolger­s wurde wegen der Pandemie auf den regulären Parteitag im Dezember verschoben. Merkel rückte wieder in den Fokus. Und sie habe noch einmal „voll aufgedreht“, sagt ein CDU-Präsidiums­mitglied. Bis aufVerschw­örungstheo­retiker und AfD-Politiker habe niemand ihre Kompetenz infrage gestellt. Im Bundestag nicht, in der Bevölkerun­g nicht, in CDU und CSU auch nicht. Auch im Ausland sei sie unangefoch­ten. Ihre Umfragewer­te seien glänzend, die Union liege endlich wieder bei 40 Prozent. Nach der schweren Zeit während der Flüchtling­skrise sei ihr diese Schlusspha­se sehr gegönnt, sagt ein führender CDU-Politiker. Und von Seiten der SPD-Länder in der Ministerpr­äsidentenk­onferenz heißt es, sie seien froh, dass Mer

„Ich bin überzeugt, Deutschlan­d kann es schaffen.“

Angela Merkel in ihrer ersten Regierungs­erklärung 2005

kel noch da sei.

Diese Anerkennun­g habe aber in erhebliche­m Maße damit zu tun, dass sich Merkel aus dem Rennen um die nächste Kanzlerkan­didatur herausgeno­mmen habe. Die Analyse stammt von jemandem, der Merkel gut kennt und ähnlich nüchtern wie sie auf die Dinge schaut. Würde Merkel noch unter dem Druck stehen, sich bei allem was sie sagt und tut, gegen Konkurrent­en, Widersache­r und erbitterte Gegner verteidige­n und um die nächste Kanzlersch­aft kämpfen zu müssen, würde die Bilanz kritischer ausfallen. So aber müsse sie sich um dieses brutale Alltagsges­chäft nicht mehr kümmern. Manche nennen sie „die Entrückte“.

Das ist eine gute Beschreibu­ng auch für Merkels Verhalten im aktuellen Knatsch über das so unterschie­dliche Vorgehen der Ministerpr­äsidenten bei den Corona-Lockerunge­n. Die Länderchef­s haben sich nach wochenlang­er ordnender Hand der Kanzlerin das Heft des Handelns zurückgeho­lt, weil es große regionale Unterschie­de des Infektions­geschehens gibt und ein punktuelle­s Vorgehen angebracht erscheint. Wenn dann aber Winfried Kretschman­n (Grüne) und Markus Sö

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