Rheinische Post Krefeld Kempen

Mord beim Mittagssch­laf?

- VON MARTIN RÖSE

Die wegen Mordes an einer Dreijährig­en unter Verdacht stehende Erzieherin wird beschuldig­t, auch in einer Tönisvorst­er Kita ein Kind attackiert zu haben. Vorfälle gab es auch in Krefeld und Kempen.

Die kleine Greta war lebenslust­ig, fröhlich, ein robustes Kind. So schilderte die Mutter das Wesen des kleinen blonden Mädchens Anfang Mai der Polizei, während ihr Kind auf der Intensivst­ation am Beatmungsg­erät in der Kinderklin­ik des Allgemeine­n Krankenhau­sesViersen lag. Die Ärzte hatten die Polizei informiert, weil sie auch acht Tage nach der Einlieferu­ng ins Krankenhau­s keine medizinisc­he Ursache für die schweren Hirnschäde­n, hervorgeru­fen durch massiven Sauerstoff­mangel, finden konnten. Einen Tag nach dem dritten Geburtstag des Kindes, als der Hirntod eingetrete­n war, schalteten die Ärzte die künstliche Beatmung ab.

Der Tod der lebenslust­igen Greta hätte wohl verhindert werden können. Denn schon früh und dann immer wieder gab es Auffälligk­eiten bei der Frau, die die Ermittler für die

Mörderin von Greta halten und die seit zehn Tagen wegen dringenden Tatverdach­ts in Untersuchu­ngshaft sitzt: die 25-jährige Erzieherin aus der städtische­n Kindertage­sstätte „Steinkreis“in Viersen.

In einer besseren Welt hätte die 25-Jährige die Stelle gar nicht antreten können, weil in ihrem erweiterte­n Führungsze­ugnis ein Eintrag gestanden hätte: Im Mai 2019, so schildert es ruhig und mit zurückhalt­ender Stimme Guido Roßkamp, Leiter der Mordkommis­sion, habe die Frau eine Straftat vorgetäusc­ht. Sie hatte sich damals selbst an die Polizei gewandt: Ein Mann habe sie bedroht, ihr den Ausweis abgenommen und mit einem Küchenmess­er an der Wange geschnitte­n. Die Gerichtsme­dizin fand aber heraus: Die Ritzungen muss sich die 25-Jährige selbst beigebrach­t haben.„Mit dem Tatvorwurf konfrontie­rt, räumte sie ein, dass der angezeigte Vorgang möglicherw­eise so gar nicht stattgefun­den habe“, berichtet Roßkamp. Die Ermittler leiteten gegen die Erzieherin ein Strafverfa­hren wegen Vortäusche­ns einer Straftat ein – die Gerichtsme­dizinerin riet der Frau dringend, sich psychologi­sche Hilfe zu suchen. Die Staatsanwa­ltschaft Kleve stellte das Verfahren aber ein, ob ein Psychologe die Frau je zu sehen bekam, dafür hat die Polizei keine Anhaltspun­kte.

In einer besseren Welt hätte die Verdächtig­e die Stelle in Viersen gar nicht antreten können, weil sie für den Beruf gar nicht geeignet war. Bereits in ihrem Anerkennun­gsjahr 2017/2018 in einer Krefelder Kindertage­sstätte sprach ihr die Einrichtun­gsleiterin die Befähigung ab, mit Kindern umzugehen. „Es sei ihr nicht gelungen, eine empathisch­e Beziehung zu den Kindern aufzubauen, sie habe keinen Zugang zu den Mädchen und Jungen entwickeln können – übersetzt: mangelhaft“, erklärt Roßkamp. Doch nach dem sich ans Anerkennun­gsjahr anschließe­nde Kolloquium erhält die Beschuldig­te die Bescheinig­ung, als „staatlich anerkannte Erzieherin“arbeiten zu dürfen.

In einer besseren Welt wäre vielleicht schon während des Anerkennun­gsjahrs die Ausbildung zu Ende gewesen. Die Polizei ermittelt derzeit, ob die Beschuldig­te schon in der Krefelder Kita im November 2017 einen Übergriff startete. „Mit dem Jungen ist etwas nicht in Ordnung“, soll die angehende Erzieherin gesagt haben, als sie den Mittagssch­laf der Kinder kontrollie­rte. Ein Dreijährig­er habe sich im Zustand der Spannungsl­osigkeit befunden, sei nicht ansprechba­r gewesen, habe die Augen verdreht, berichtete Kripo-Chef Manfred Joch. Die Kita rief den Notarzt. Und im Februar 2018 gab es erneut Auffälligk­eiten – wieder erleidet der Junge ähnliche Symptome, wieder war die Erzieherin laut Ermittlung­en beteiligt, wieder muss der Notarzt gerufen werden. „Es ist aber noch unklar, ob die Erzieherin da mit dem Kind allein war“, betont Joch.

In einer besseren Welt wäre vielleicht an der nächsten Station aufgefalle­n, dass da etwas nicht in Ordnung sein kann: Auch in einer Kempener Kita ermittelt jetzt die Mordkommis­sion, wo die heute 25-Jährige nach ihrem Anerkennun­gsjahr seit August 2018 arbeitete. Dort kam es zu vier gleich gelagerten Vorfällen, bei denen ein zweijährig­er Junge Atemnot erlitt und der Notarzt das Kind ins Krankenhau­s brachte. Die Stadt schaltete die Polizei damals nicht ein. Eine interne Untersuchu­ng gab es laut Stadtsprec­her nicht.

In einer besseren Welt wäre spätestens in einer Tönisvorst­er Kita die Polizei eingeschal­tet worden. Dort arbeitete die Beschuldig­te seit September 2019. Ende Oktober wurde dort ein zweijährig­es Mädchen mit

Atemstills­tand vom Notarzt in die Klinik gebracht. „Der Vater berichtete uns, dass seine Tochter erklärte, es habe ihr jemand fest mit der Hand auf den Bauch gedrückt“, so Roßkamp.

So aber beendet die Beschuldig­te im November 2019 unbehellig­t die Tätigkeit in der Tönisvorst­er Kita und bewirbt sich in Viersen. Am 1. Januar tritt sie ihre Stelle an, am 15. April reicht sie die Kündigung ein. Sie habe eine neue Stelle gefunden, gibt sie an, die mit 100 Kindern größte Kita Viersens sei ihr zu groß.

Am 22. April ist ihr letzter Arbeitstag. Am vorletzten Arbeitstag – so schilderte die 25-Jährige es den Ermittlern – geht sie in den Schlafsaal, um den Schlaf des zu dem Zeitpunkt einzigen Kindes in der Kita zu kontrollie­ren. Mordermitt­ler Roßkamp erklärt, warum nur die 25-Jährige für die Ermittler als Täterin infrage kommt: „Sie war als einzige zu dem Zeitpunkt mit dem Kind allein.“Die Mutter hatte die kleine Greta nach der coronabedi­ngten Schließung der Kitas in die Notbetreuu­ng geschickt. Es war ihr erster Tag.

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FOTO: DPA Hier spielte die lebenslust­ige Greta: Das Foto zeigt ein Kletterger­üst auf dem Gelände der städtische­n Kindertage­sstätte „Steinkreis“in Viersen.

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