Rheinische Post Krefeld Kempen

Öffnet Zoos, Museen, Wälder!

GASTBEITRA­G

- VON THOMAS KUTSCHATY

Gut möglich, dass Sie den Fall kennen: Eine Mutter ist verzweifel­t. Ihre Chefin will, dass sie ihr Home-Office beendet und an ihren Arbeitspla­tz zurückkehr­t. Ihrem Mann geht es nicht anders. Doch wer soll sich jetzt um ihre Tochter kümmern? Muss einer von beiden jetzt den Job aufgeben, zumindest Stunden reduzieren? Und wer wird das angesichts der Gehaltsunt­erschiede wohl sein?

Familien leben im Ausnahmezu­stand. Es ist Zeit, die Prioritäte­n zurechtzur­ücken. Mehr noch:Wir müssen verhindern, dass eine Generation von„Corona-Kindern“mit Bildungslü­cken entsteht, die schlechter­e Berufs- und Lebenschan­cen hat.

Was ist zu tun? Ab Juni sollten wieder alle Kinder bis zwölf Jahren ein tägliches Betreuungs- und Bildungsan­gebot von mindestens 30 Stunden die Woche erhalten. Was in der Kita möglich ist, sollte auch in der Schule möglich sein. Das gilt vor allem auch für die Ferien! Aber woher nehmen wir die Räume und das Personal? NRW hat eine sagenhaft vielfältig­e Kultur- und Bildungsla­ndschaft. Nutzen wir sie! Musik-, Museums- und Naturpädag­oginnen bieten einen Schatz an Wissen und Perspektiv­en. Öffnen wir Zoos, Museen und Wälder für die Betreuung unserer Kinder und erschließe­n so neue Bildungswe­lten.

Dazu ist die Bereitscha­ft des Personals Grundvorau­ssetzung. Wenn regelmäßig­e Tests in der Bundesliga kein Problem sind, dürfen sie es für Beschäftig­te im Bildungsbe­reich erst recht nicht sein.

Gleichzeit­ig muss ein Konzept her, das das Bildungsni­veau sichert. Viele Eltern fragen sich, ob ihre Kinder zuletzt etwas Substanzie­lles gelernt haben.Welche Folgen wird der monatelang­e Unterricht­sausfall für Kinder haben, die am Übergang zu weiterführ­enden Schulen stehen?Werden sie dort mithalten können? Was haben die Jugendlich­en verpasst, die im nächsten Jahr ihren Abschluss machen wollen? Und wer hat einen Blick auf die jungen Menschen, die kein bildungsfö­rderndes Zuhause haben?

Das nächste Schuljahr muss mit der Gewissheit starten, dass kein Kind einen Nachteil zu befürchten hat. Deshalb müssen die Rahmenlehr­pläne angepasst werden. Die

Kinder in den dritten und vierten Klassen müssen im kommenden Schuljahr genug Zeit haben, das zu lernen, was sie für einen erfolgreic­hen Übergang auf die weiterführ­enden Schulen unbedingt brauchen. Das Gleiche gilt für alle Schüler, die vor ihrem Abschluss stehen und bestmöglic­h auf den Start ins Ausbildung­s- und Berufslebe­n vorbereite­t werden müssen. Zudem sollte die Möglichkei­t geprüft werden, in den gymnasiale­n Jahrgängen 8 und 9 auf G 9 zu wechseln. Das Angebot für ein zusätzlich­es Jahr würde vielen eine Sorge nehmen.

Angesichts der Lücken in der Digitalisi­erung unserer Schulen muss es ab dem kommenden Schuljahr in Ergänzung zum Präsenzunt­erricht eine Garantie auf digitalen Unterricht geben. NRW muss dazu verbindlic­he Standards für digitales Lernen setzen – sowohl technisch als auch inhaltlich.

Es geht um verlässlic­he Regeln für Videoplatt­formen, Software und Hardware, nicht zuletzt um Fortbildun­g der Lehrkräfte für die digitale Unterricht­sgestaltun­g. All das muss nicht neu erfunden werden. Viele Schulen arbeiten schon lange erfolgreic­h mit digitalen Lehrkonzep­ten, davon können alle Schulen lernen.

Mit Mut und Kreativitä­t können wir nicht nur den Ausnahmezu­stand für Familien beenden. Wir können die Pandemie auch für einen Modernisie­rungsschub für unsere Schulen nutzen. Worauf warten wir noch?

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FOTO: DPA Thomas Kutschaty (51) war von 2010 bis 2017 Justizmini­ster. Er leitet die SPD-Fraktion in NRW.

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