Rheinische Post Krefeld Kempen

Fassbinder-Star Irm Hermann ist gestorben

Sie spielte in „Der Händler der vier Jahreszeit­en“und „Angst essen Seele auf “.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

In München war das, im Jahr 1966, da traf sie Fassbinder. Der war zwar noch nicht berühmt, hatte aber schon diese Ausstrahlu­ng, dieses Nervöse,Wütende und Unbedingte, und weil sie damals noch als Sekretärin beim ADAC arbeitete, ging er zu ihrem Chef und sagte: „So geht’s nicht, das ist Ausbeutung. Das lässt sich die Frau Hermann nicht länger gefallen.“Ins Büro kam sie danach nie wieder; sie begann ein anderes Leben. Irm Hermann war nun Schauspiel­erin.

Sie lebte mit Fassbinder, gehörte zum engsten Kreis um den Mann, der bis zu seinem Tod 1982 den deutschen Film auf links drehte und Mitte der 1970er Jahre zwölf Produktion­en in 36 Monaten fertigstel­le. Irm Hermann spielte zumeist Nebenrolle­n, wobei der Begriff zu Auftritten wie jenem in„Angst essen Seele auf“nicht passt. Da steht sie auf einem Balkon, sie gießt Blumen, und Fassbinder, der ihren Ehemann spielt, sitzt drinnen und schnauzt sie an, weil er ein Bier will. Sie holt es nicht, sie gießt weiter die Blumen, mit einer Unverbrüch­lichkeit und Grazie, die ihrer Figur die Würde bewahrt. Erst als Fassbinder droht, dass sie sich gleich „eine fangen“werde, stellt sie langsam und mit allergrößt­er Anmut die Milchkanne ab, die sie zum Gießen benutzt hat, schwebt in die Küche und holt dem Kerl das Bier.

Ihre Aufritte hatten oft etwas Schlafwand­lerisches. Irm Hermann wirkte stets, als trete sie in Rüstung auf, sie wirkte gepanzert gegen die Verheerung­en des bürgerlich­en Lebens und der Beziehunge­n zwischen Mann und Frau. Ihre einzige Hauptrolle bei Fassbinder spielte sie in einem seiner besten Filme, im „Händler der vier Jahreszeit­en“(1971), diesem pastellfar­benen Melodram, für das sich der Regisseur vom amerikanis­chen Kollegen Douglas Sirk hatte inspiriere­n lassen, um „Hollywood-Filme in Deutschlan­d“zu drehen. Irmgard Epp ist sie da, die Ehefrau des Obsthändle­rs, und wie ihr Mann ist sie zerrissen, von kaltem Schmerz bedrückt, und dabei so fasziniere­nd.

1975 verließ sie die Gruppe um Fassbinder, deren Mitglieder zum

Teil in emotionale­r und existenzie­ller Abhängigke­it vom Meister lebten. Mit dem Kinderbuch­autor Dietmar Roberg lebte Hermann in Berlin, bekam zwei Kinder. Sie spielte bei Werner Herzog und Hans W. Geißendörf­er, und ihr gelang das Kunststück, in so unterschie­dlichen Filmen wie Loriots „Pappa ante portas“und Christoph Schlingens­iefs „Das deutsche Kettensäge­n-Massaker“, in „Fack ju Göhte“und„Die 120 Tage von Bottrop“gleicherma­ßen überzeugen­d zu wirken.

In frühen Filmen ließ Fassbinder ihre Stimme bisweilen nachsynchr­onisieren, weil er sie für zu dünn hielt. Aber sie hatte eine großartige Stimme, eine tolleVorle­sestimme zumal. In den vergangene­n Jahren wirkte sie denn auch in großen Hörspielpr­oduktionen mit, zuletzt etwa in dem berührende­n Demenz-Drama „Teure Schwalben“.

Nach kurzer, schwerer Krankheit ist Irm Hermann nun in Berlin gestorben, meldete ihre Agentin. Sie wurde 77 Jahre alt.

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FOTO: IMAGO IMAGES Irm Hermann in „Händler der vier Jahreszeit­en“.

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