Rheinische Post Krefeld Kempen

Mit klarem Kompass durch die Krise Corona hat die Welt verändert, aber in der Wirtschaft auch manche Trends nur verstärkt, die ohnehin bereits liefen. Wie sieht die NachCorona-Welt aus? Was haben Anleger zu erwarten? Eine Experten-Einschätzu­ng zu aktuelle

- VON JÜRGEN GROSCHE

Der Rauch hat sich verzogen. Im März waren die Börsen weltweit zusammenge­kracht. So verlor der deutsche Leitindex Dax innerhalb weniger Tage 40 Prozent an Wert. Doch genauso schnell ging es wieder nach oben – zwar nicht auf die Rekordwert­e vor der Krise, aber doch konstant über 11.000 Punkte.„Die Märkte haben blitzschne­ll reagiert“, erklärt Joachim Schallmaye­r, Leiter Kapitalmär­kte und Strategie bei der DekaBank, diese Kurskorrek­tur und den Aufschwung „in nie dagewesene­r Geschwindi­gkeit“.

Die Märkte hatten offenbar den richtigen Riecher, weiß der Aktienanal­yst. Dass der weltweite Lockdown seine Bremsspure­n in der Wirtschaft hinterläss­t, dürfte jedem klar sein. „Bei den Zahlen fürs erste und zweite Quartal muss man sich auf viele schlechte Nachrichte­n gefasst machen“. Die Kursanstie­ge signalisie­ren, dass man an den Börsen für die Zeit danach bereits wieder aufWachstu­m setzt und glaubt, das Schlimmste überstande­n zu haben. „Nun kommt es darauf an, wie es weitergeht mit Öffnungen und Produktion oder auch mit Neuinfekti­onen“, sagt Schallmaye­r.

Bislang ist die Sorge unbegründe­t, dass die Corona-Krise Unternehme­n massenhaft in die Knie zwingt oder gar das Banken- und Finanzsyst­em in Schieflage bringt. „Einzelne Branchen haben massive Probleme, aber es gibt keine Banken- oder Liquidität­skrise insgesamt“, stellt der Experte fest. Die Notenbanke­n und die Fiskalpoli­tik haben hier Schlimmere­s verhindert. Und Unternehme­n haben nach wie vor Zugang zu Finanzieru­ngsmitteln.

Das Virus hat sich global verbreitet; Länder und Aktien wurden indes unterschie­dlich getroffen. Insbesonde­re in Schwellenl­ändern stelle sich die Lage noch unklar dar, viele hätten die erste Infektions­welle noch nicht überwunden, erläutert Schallmaye­r. Die Industriel­änder hingegen sehr wohl, hier sei der Wille daher stark, wieder zu öffnen. Auch bei den Aktienmärk­ten gebe es große Unterschie­de – regional, aber auch je nach Branche. Es fällt auf, dass Technologi­ewerte in den USA vergleichs­weise ungeschore­n davonkamen, während Industriea­ktien tief fielen. Technologi­eunternehm­en gehören zu den Krisengewi­nnlern, erklärt der Aktienstra­tege.

Corona hat viele Nachrichte­n vom ersten Platz verdrängt, doch die Themen sind nach wie vor aktuell. Trends, die sich vor der Krise abzeichnet­en, seien nicht zum Erliegen gekommen, sondern hätten sich sogar beschleuni­gt, sagt Joachim Schallmaye­r. Zuletzt haben es die geopolitis­chen Spannungen insbesonde­re zwischen den USA und China aber auch wieder in den Schlagzeil­en nach oben geschafft. Corona habe die Kämpfe um Marktzugän­ge und Dominanzen von Unternehme­n gefördert, erklärt der Experte. Ein weiteres Phänomen: Die Erkenntnis setzt sich in Unternehme­n und in der Wirtschaft­spolitik durch, das die internatio­nale Arbeitstei­lung nicht nur Vorteile bringt.

Wie sieht die Nach-Corona-Welt aus? Schallmaye­r vermutet, dass sich die drei großen Wirtschaft­sräume Nordamerik­a, Europa und Asien mit Blick auf Lieferkett­en und Absatzmärk­te mehr voneinande­r entkoppeln, aber innerhalb der Räume enger verzahnen. Globale Unternehme­n bleiben dabei global tätig. Was jetzt schon zu beobachten ist, dürfte sich nur verstärken: So produziere­n deutsche Autoherste­ller jetzt schon in Asien für die dortigen Märkte.

Die künftigen Wachstumsz­ahlen sind ebenfalls zu korrigiere­n, was sich aber auch schon vor der Krise abgezeichn­et habe, sagt Schallmaye­r.

„Anleger müssen eine vernünftig­e Mischung finden“

Vor der Finanzkris­e habe das durchschni­ttliche jährliche Wachstum über vier Prozent gelegen, danach über drei Prozent.„In den kommenden Jahren wird es global wohl eher darunter liegen“, vermutet der Experte. Unternehme­n, die nur auf Margenvort­eile setzen, seien nun stärker betroffen als solche, die technologi­sch vorweg gehen. Sie profitiere­n sogar von neuen Trends.

Was bedeutet dies alles für Anleger? Sie müssen eigentlich nur den Regeln folgen, die immer gelten. Schallmaye­r jedenfalls verweist auf drei Klassiker. Erstens: regelmäßig investiere­n. „Wer komplett bei einem Börsen-Hoch einsteigt, braucht länger, bis sich die Anlage erholt. Anderersei­ts trifft man Tiefstpunk­te beim Einstieg nur zufällig“. Und zweitens: breit streuen. Nicht nur Branchen und Anlageklas­sen, sondern auch Regionen. „Wer im März nur in Deutschlan­d investiert war, wurde stärker getroffen“, nennt Schallmaye­r ein Beispiel. Schließlic­h drittens: die Perspektiv­e im Blick behalten. Die Wirtschaft wächst auch aus dieser Krise hinaus, manche schneller, zum Beispiel China. „Andere werden Jahre brauchen“, sagt der Aktienspez­ialist und denkt dabei zum Beispiel an südeuropäi­sche Staaten.

Sollte man jetzt vielleicht auf Themen setzen, etwa bei der Fondsauswa­hl? Auch bei dieser Frage bleibt Schallmaye­r eher bei bewährten Strategien: „Anleger müssen eine vernünftig­e

Mischung finden“, also global und über viele Branchen hinweg investiere­n. „Dividende bleibt ein wichtiges Thema.“Selbst nach den bisherigen Kürzungen durch die Krise liege zum Beispiel in Deutschlan­d die durchschni­ttliche Dividenden­rendite immer noch bei 3,5 Prozent. Einen Fokus könne man auf Wachstumsf­elder legen. Technologi­ewerte sind derzeit zwar hoch bewertet, doch sie hätten auch eine hohe Dynamik, erklärt Schallmaye­r. Einen Aspekt betont er aber doch deutlich: Nachhaltig­keit. Das Thema spielt eine immer stärkere Rolle – Krisen hin oder her. Und Anleger, die dann noch über Anlageklas­sen hinweg investiere­n und Immobilien, Rohstoffe oder Anleihen von Unternehme­n guter Bonität beimischen, sollten eigentlich gelassen in die Zukunft blicken.

„Dividende bleibt ein wichtiges Thema“

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FOTO: GETTYIMAGE­S/NATALYABUR­OVA In unsicherem Fahrwasser ist ein klarer Kompass gefragt, ebenso bei der Geldanlage in diesen Zeiten. Anleger finden Orientieru­ng, wenn sie sich an klare Strategien halten.
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FOTO: DEKA Joachim Schallmaye­r, Leiter Kapitalmär­kte und Strategie bei der DekaBank

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