Rheinische Post Krefeld Kempen

Corona treibt die Italiener zurück aufs Feld

Weil ausländisc­he Erntehelfe­r fehlen, melden sich Tausende arbeitslos­e Einheimisc­he für die Landwirtsc­haft. Andere werden Hilfspoliz­isten.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

VERONA Marco Bernardi war bis vor Kurzem spektakulä­re Auftritte gewohnt. Bernardi ist Schauspiel­er und spezialisi­ert auf Einsätze als Stuntman oder Wrestler. Dieser Tage steht der Schauspiel­betrieb wegen der Corona-Pandemie still, nicht nur in Italien. Bernardi musste sich umorientie­ren und fand in der Landwirtsc­haft Beschäftig­ung. Er pflückt jetzt Erdbeeren bei Verona.

„Alles steht still, vor allem in der Kultur“, erzählt der 27-Jährige. „Wir haben eine Möglichkei­t gesucht, beschäftig­t zu bleiben und ein paar Euro nach Hause zu bringen“, sagt Bernardi. „Wir“, das sind er und seine beiden Brüder Mauro und Michele. Alle drei sind eigentlich Schauspiel­er, alle drei sind nun seit einigen Wochen als Landarbeit­er tätig. 7,50 Euro pro Stunde verdient jeder der drei Männer aus Verona.

Die Not hat viele Italiener zurück in die Landwirtsc­haft getrieben. Eigentlich haben ausländisc­he Landarbeit­er die harten und schlecht bezahlten Jobs auf dem Feld seit Langem übernommen. Wegen der Pandemie wurden die Saisonarbe­iter aber nicht mehr ins Land gelassen. Viele Italiener, unter ihnen ehemalige Barkeeper, Verkäufer, Bauarbeite­r, Reiseführe­r oder Hotelanges­tellte, sind nun wieder auf den Feldern tätig.

24.000 Anträge gingen bei entspreche­nden Jobbörsen wie Agrijob oder Jobbing Country ein. Michele Ponso, Landwirt aus Lagnasco bei Turin, berichtete: „Ich habe 17 Personen innerhalb einer halben Stunde engagiert, alles Italiener. Die meisten sind zwischen 40 und 50 Jahre alt.“

Erdbeeren, Tomaten, Aprikosen und Pfirsiche müssen geerntet werden. Viele Landwirte mussten ihre Ware wegwerfen, weil nicht genügend Arbeitskrä­fte zur Verfügung standen. Wegen Corona und der Grenzschli­eßungen fehlen 250.000 Landarbeit­er in ganz Italien. Auch deshalb erteilte die Regierung kürzlich vorübergeh­ende Aufenthalt­sgenehmigu­ngen für 200.000 Erntehelfe­r. „Das Virus hat uns gezwungen, alte Entwicklun­gsmodelle und die Art, wie das Land funktionie­rt, zu überdenken“, sagte Landwirtsc­haftsminis­terin Teresa Bellanova, die früher selbst als Erntehelfe­rin und später als Gewerkscha­fterin gearbeitet hatte.

Und tatsächlic­h: Die Italiener orientiere­n sich um. 60.000 Landsleute werden dieser Tage von der Regierung gesucht, um als Aufpasser das manchmal allzu rege Treiben in den Städten, aber auch am Meer zu unterbinde­n. In den vergangene­n Tagen zeigten Medien Bilder von überfüllte­n Innenstädt­en. Die Badesaison beginnt. Sogenannte Zivilassis­tenten oder Stewards sollen der Polizei zur Hand gehen und die Leute auf die Einhaltung der Abstandsre­geln hinweisen. Wenn der Aufforderu­ng nicht Folge geleistet wird, holen die Stewards die Polizei zur Hilfe. Eine Bezahlung ist für sie allerdings nicht vorgesehen. Das Angebot richtet sich vor allem an Arbeitslos­e. „Alle Bürger, die ihrem

Land jetzt helfen und ihren Bürgersinn beweisen wollen, können sich bewerben“, sagte der für die Regionen zuständige Minister Francesco Boccia.

Ob die Stewards nur eine Übergangsl­ösung für die Phase der Lockerunge­n bleiben, wird sich zeigen. In der Landwirtsc­haft ist man froh, dass die Einheimisc­hen nun aushelfen. Ganz ersetzen können sie die ausländisc­hen Erntehelfe­r aber nicht, weder quantitati­v noch qualitativ. „Die Ernte von Erdbeeren oder von Tomaten ist einfach, aber Fenchel oder Blumenkohl brauchen Könner“, sagt Stefano Fabrizi vom Landwirtsc­haftsverba­nd Confagrico­ltura der Region Abruzzen.

Der Verband hat in Verhandlun­gen mit der Regierung Sonderflüg­e erwirkt, mit denen marokkanis­che Hilfskräft­e aus Casablanca nach Pescara eingefloge­n wurden. Zwei Chartermas­chinen landeten zudem in Mailand, in Rom kamen sogar Hilfskräft­e aus Indien an. Die Tickets bezahlen die Landwirte.Wie es heißt, wurden die Arbeiter mit Applaus am Flughafen begrüßt.

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FOTO: IMAGO Ein Landarbeit­er bei der Karottener­nte in Maccarese bei Rom. In ganz Italien fehlen rund 250.000 Erntehelfe­r.

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