Rheinische Post Krefeld Kempen
Ökonom: Familien haben in der Corona-Krise keine Lobby
Justus Haucap fordert die Öffnung der Schulen und warnt vor Bildungsungleichheit. DGB-Chef Hoffmann fordert Corona-Tests für Schüler und Lehrer.
DÜSSELDORF nom verwies auf Nachbarstaaten, die viel weiter sind: „Andere Länder wie die Niederlande, Dänemark, Island, Neuseeland und mehr haben zuerst Kitas und Grundschulen wieder geöffnet, nur bei uns kommen sie erst ganz, ganz zum Schluss.“
Auch Reiner Hoffmann, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, mahnt die Politik zu handeln: „Die Rückkehr der Schulen in den Regelbetrieb ist eine dringende Aufgabe, wobei die Gesundheit der Schüler und Lehrer an erster Stelle stehen muss. Hier müssen regional unterschiedliche Lösungen erlaubt sein: Wo es keine Infektionen mehr gibt, sollten Schulen vollständig öffnen“, sagte Hoffmann. Er regte an, dafür auch flächendeckend auf Corona zu testen: „Flächendeckende Corona-Tests für Schüler und Lehrer können helfen, die Entwicklung zu kontrollieren. Die Test-Kapazitäten sind ja da.“
Vor allem
für
benachteiligte
Kinder seien die Schulöffnungen wichtig: „Das Distanzlernen benachteiligt gerade Kinder aus sozial schwachen Familien“, so Hoffmann. „Gerade in bildungsfernen Schichten darf Home Schooling kein Dauerzustand werden, insbesondere wenn die Eltern teilweise selbst nur schlecht deutsch sprechen. Durch den fortwährenden Lockdown der Schulen verschärft sich die Bildungsungleichheit umso mehr, je länger die Schulen faktisch geschlossen bleiben“, betonte Haucap.
Ein weiteres Opfer seien die Frauen. „Viele Familien mit kleinen Kindern sind aktuell am Limit. Ein paar Wochen lassen sich Home Office. Home Schooling und Home Kita verbinden, aber nicht monatelang. Meistens – wenn auch nicht immer – sind es insbesondere die Mütter, die den größeren Teil der Last tragen“, so Haucap.
Aber auch für Betriebe wachsen die Probleme: „Gerade für kleine Unternehmen ist es ein Problem, wenn sie überhaupt nicht planen können, wann ihre Angestellten, die kleine Kinder haben, wohl wieder einer geregelten Arbeit nachgehen können“, sagte der frühere Chef der Monopolkommission. Mit diesen Angestellten können Firmen derzeit überhaupt nicht planen. „Und es ist auch unklar, ob sie wenigstens nach den Sommerferien wieder mit ihnen rechnen können oder sich lieber nach Ersatz umsehen sollten, der möglichst keine Kinder hat.“Großunternehmen mögen das noch stemmen können, für kleine Betriebe sei das ein Problem.
Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus setzen auf eine rasche Rückkehr zum normalen Schulbetrieb. „So schnell wie möglich“, spätestens aber nach den Sommerferien, forderte Weil in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Bei Familien sei viel Druck auf dem Kessel. Brinkhaus warnte vor wachsenden Unterschieden zwischen Kindern aus bildungsnahen und bildungsfernen Familien.
Familienministerin Franziska Giffey (SPD) mahnte, voller Unterricht gehe nicht mit der 1,50-Meter-Abstandsregel. Sie verlangt gesicherte Erkenntnisse zum Infektionsrisiko von Kindern bis zum Ende der Sommerferien.„Wenn wir zuverlässig wissen, dass Kinder dasVirus weniger verbreiten, würde es auch für Personal mit Risikofaktoren leichter sein, wieder in den Job zurückzukehren.“