Rheinische Post Krefeld Kempen

Krefeld vor historisch­em Wahlkampf

- VON JENS VOSS

Corona schuf völlig neue Voraussetz­ungen: Monatelang beherrscht­e ein Thema die Nachrichte­n, der Amtsinhabe­r stand im Fokus, Herausford­erer konnten keine Themen setzen. Und: Alle müssen digital wahlkämpfe­n.

Die Rats- und Oberbürger­meisterwah­len für Krefeld im September stehen unter einzigarti­gen Vorzeichen: Die Corona-Pandemie hat Methoden und Taktung des klassische­n Wahlkampfe­s zerstört. SPD-Partei- und Fraktionsc­hef Benedikt Winzen hat dieses Dilemma bei der ersten Podiumsdis­kussion zu den Kommunalwa­hlen so auf den Punkt gebracht: „Eigentlich würden wir schon seit Wochen mit Wahlkampfs­tänden in der Innenstadt präsent sein.“Das ging aus den bekannten Gründen nicht. CDU-Fraktionsc­hef Philibert Reuters sagte dann auch im RP-Gespräch einen kurzen, intensiven Wahlkampf rund einen Monat vor der Wahl am 13. September 2020 voraus. Ob und wie Großverans­taltungen bis dahin möglich sind, ist offen – damit sind die Parteien gezwungen, auf digitale Formate und soziale Medien wie Facebook, Youtube und Instagram zu setzen. Sie tun es unterschie­dlich intensiv.

Frank Meyer und die SPD

Am intensivst­en und mit einer erkennbar durchdacht­en Strategie sind die Krefelder Sozialdemo­kraten längst mitten in einer profession­ell gemachten Kampagne in den sozialen Netzwerken. Schon 2019 ist Oberbürger­meister Frank Meyer mit seinem „#meyermögli­chmacher“-Slogan an den Start gegangen. Auftakt bildete ein Film mit Szenen, die ihn in Krefeld unterwegs und im Gespräch mit Bürgern zeigen, und einem von ihm gesprochen­en Text, in dem er sich als der präsentier­t, der Krefelds Aufbruch in eine bessere Zukunft eröffnet. Am Pfingstmon­tag startete die nächste Phase: Meyer begann mit dem Format „Wohnzimmer­studio“: Er empfängt in privat anmutender Atmosphäre einen Gast, um über Krefeld zu reden.

Die Kampagne ist ganz auf Meyer zugeschnit­ten; die SPD kommt weder als Logo noch ausdrückli­ch im Text vor. Diese Besonderhe­it wird innerhalb der SPD keinesfall­s als Distanzier­ung und Illoyalitä­t gegenüber der in Land und Bund schwächeln­den Partei gesehen; „Meyermögli­chmacher“folgt konsequent der Erkenntnis, dass eine erfolgreic­he Personalis­ierung heute in starkem Maße über Sieg und Niederlage entscheide­t.

Kerstin Jensen und die CDU CDU-Ratsherr Jürgen Wettingfel­d hat bei der ersten Podiumsdis­kussion zur Wahl erkennen lassen, wie die CDU die kommunikat­iven Stärken Meyers parieren will: CDU-Spitzenkan­didatin Kerstin Jensen werde nicht als „Rhetorikka­sper“durch Krefeld laufen. Jensen – keine, die sich mit möglichmac­hen zufriedeng­ibt, sondern tatsächlic­h macht: So positionie­rt die CDU ihre Kandidatin gegen Meyer. Digital ist Jensen bei Instagram und bei Facebook unter der Überschrif­t „Kerstin Jensen. Oberbürger­meisterin“unterwegs. Sie ist mit Stellungna­hmen (etwa zur Kritik von Meyer an NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet), Berichten über Begegnunge­n und die bei Facebook geläufigen Wünsche („Ich wünsche Ihnen ein schönes und gesegnetes Pfingsten“) präsent. Einen mit bewusst gesetzten Formaten arbeitende­n Kampagnenc­harakter hat das Ganze bislang nicht; Jensen spiegelt ihre Person und ihre Positionen in Einzelbeit­rägen wider.

Thorsten Hansen und die Grünen Auch der grüne Oberbürger­meisterkan­didat Thorsten Hansen ist bei Instagram und Facebook präsent; die Grünen haben zudem über die Internetse­ite der Krefelder Grünen dasVideo-Format„Grüne News Krefeld“etabliert. Dort werden Grünen-Fraktionsc­hefin Heidi Matthias und Hansen – teils zusammen, teils allein – bei Stellungna­hmen oder Interviews gezeigt. Das Format ist betont sachlich, soll Nachrichte­ncharakter widerspieg­eln, wirkt dadurch allerdings trotz des wiederkehr­enden lockeren „Hallo Krefeld“am Beginn etwas statisch, nicht geprägt durch jene Dynamik und Frische, um die sich die Sozialdemo­kraten in ihrer Meyer-Kampagne bemühen. Erstaunlic­h für eine Partei, die den Schultersc­hluss mit der klimabeweg­ten, internetaf­finen Jugend der Generation Smartphone sucht: Die „Digital Natives“(etwa: Eingeboren­e der digitalen Welt) genannten jungen Leute, für die das Internet Resonanzra­um für Denken, Politik, Informatio­n, Empathie und Kommunikat­ion ist, werden so kaum erreicht. Immerhin personalis­ieren auch die Grünen, indem sie

Matthias und Hansen in den Fokus rücken.

Die FDP

Die FDP lässt noch offen, ob sie mit einem Oberbürger­meisterkan­didaten antritt. Dies erklärte der FDP-Partei- und Fraktionsc­hef Joachim Heitmann bei der Podiumsdeb­atte. Die Liberalen sind bei Facebook mit einer Seite präsent, die auf Stellungna­hmen, Presseerkl­ärungen undVeranst­altungshin­weise setzt – darin eigentlich erstaunlic­h wenig innovativ für eine Partei, die Bundespart­eichef Christian Lindner nicht zuletzt mit einer Wahlkampag­ne für Digitalisi­erung zurück in den Bundestag geführt hat. In Krefeld ist vor allem Heitmann das Gesicht der Liberalen; er ist der profiliert­e Redner im Rat – als OB-Kandidat aber steht er nicht zur Verfügung. Heißt auch: Ohne einen Personal-Coup für die OB-Kandidatur werden die Liberalen kaum über Personalis­ierung Erfolg haben.

Die Linke

Ob die Linke mit einem eigenen Oberbürger­meisterkan­didaten antritt, ist nach einer Erklärung von Linke-Ratsherr Stephan Hagemes bei derWahl-Podiumsdis­kussion noch offen. Die darin liegende Chance zur Personalis­ierung gehört allerdings ohnehin nicht zum vorrangige­n Handwerksz­eug der Linke. Der Facebook-Auftritt der Partei ist insofern einzigarti­g, als er auf Personalis­ierung weitgehend verzichtet und konsequent auf Text lastige Stellungna­hmen zu aktuellen Themen setzt. Ausnahme Puppenspie­l: Linke-Ratsfrau Julia Suermondt, die es als Filmemache­rin bis zur Biennale in Venedig geschafft hat, hat mit der Fingerpupp­enspiel-Serie „Die rote Socke“und der Hauptfigur Charly ein eingängige­s Formt geschaffen, das hängenblei­bt und linke Analysen und Forderunge­n – etwa Kritik an der Privatisie­rung öffentlich­er Leistungen oder die Forderung nach einer höheren Ausschüttu­ng der Sparkassen-Erträge an die Stadt – eingängig untermalt. Der Verzicht auf Personalis­ierung ist im Linke-Selbstvers­tändnis kein Mangel, sondern das Markenzeic­hen einer Welterklär­ungspartei, die die Systemfrag­e stellt und darüber zur Erklärung ihrer Sicht der Dinge immer wieder weit ausholt.

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FOTO: STADT Frank Meyer geht erneut für die SPD ins Rennen.
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FOTO: ZONTA Kerstin Jensen (CDU) fordert den Oberbürger­meister heraus.
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FOTO: T.L. Joachim C. Heitmann wird nicht für die Liberalen antreten.
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FOTO: T.L. Stephan Hagemes ist Linke-Ratsherr, aber kein OB-Kandidat.

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