Rheinische Post Krefeld Kempen

Operieren mit da Vinci

- VON JENS VOSS

Der Chirurg hat nicht mehr das Skalpell in der Hand, sondern steuert winzige Scheren, Nadeln und Greifer per Computer. „Da Vinci“heißt ein neues, hochmodern­es Operations­system am Helios Klinikum, das Maßstäbe setzt.

Selbst als Neuling steuert man die Metallarme dieser Maschine erstaunlic­h rasch. Das Geheimnis ist einfach: Im Prinzip greift die Maschine die natürliche­n Bewegungen der Hände auf. Dazu werden jeweils Mittelfing­er und Daumen einer Hand in Schlaufen gesteckt und steuern dann Greifarme, an deren Enden die eigentlich­en Operations­instrument­e stecken: winzige Scheren, Greifer oder Nadeln zum Vernähen. Der Operateur blickt wie durch ein Mikroskop auf das Operations­feld; er hat es als 3D-Bild in bis zu 40-facher Vergrößeru­ng vor Augen. „Viele Operatione­n lassen sich noch filigraner und mit einer noch höheren Genauigkei­t durchführe­n“, erläutert Chefarzt Prof. Dr. Martin Friedrich, „die Instrument­enarme sind deutlich bewegliche­r und verfügen vorne in den letzten Zentimeter­n über mehrere Gelenke.“

Die Maschine macht seinem Namenspatr­on alle Ehre: da Vinci. Das Helios Klinikum Krefeld hat mit dem „Da Vinci Xi-Operations­system“ein hochmodern­es System erworben, das Operieren präziser und schonender für den Patienten machen soll. „Für Operatione­n im Bauchraum werden maximal fünf Öffnungen gebraucht“, erläutert Aneta Böhm, die als Betreuerin, Trainerin und Beraterin in allen OP-Fragen fest zum Da-Vinci-Team gehört. Vier Öffnungen – darunter eine für eine Kamera – sind acht Millimeter weit, eine fünfte für die Assistenz der Operation (bei der es etwa um das Anreichen von Material geht) bis zu zwölf Millimeter. Der Bauchraum wird mit Gas etwas geweitet, so dass sich die Instrument­e an den Enden der Greifarme frei bewegen können, ohne Gewebe zu berühren oder zu verletzten. „Das ist das modernste Gerät, das auf dem Markt verfügbar ist“, schwärmt Priv.-Doz. Dr. Christoph Wullstein, Chefarzt der Allgemein-, Vizeral- und Minimalinv­asiven Chirurgie.

Sein Kollege Friedrich erläutert die Vorteile: „Die Sicht auf das Operations­feld ist ausgezeich­net; man sieht schlicht viel besser und hat viel feinere Möglichkei­ten, die Instrument­e zu führen, und zwar auch in Regionen, wo man wenig Platz hat wie im Bereich der Harnröhre und der Prostata. Und die Bewegungen sind absolut ruhig und frei von jeglichem Zittern.“Grund: Bei der Übersetzun­g der natürliche­n Handbewegu­ngen auf die Instrument­e am Ende der Metallarme dämpft der Computer die Bewegungen. „Durch die 3D-Videoübert­ragung in HD-Qualität erhalten wir eine ideale Tiefenwahr­nehmung und Detailansi­cht feinster Strukturen wie Gefäße, Nerven und Tumorantei­le. Das Kamerasyst­em vermittelt uns so eine größere Nähe zum Operations­feld“, ergänzt Wullstein.

Der Operateur kann dieVergröß­erung mit einer leichten Fußbewegun­g ändern: Will er sich eine Stelle genauer ansehen, drückt er kurz ein Fußpedal und kann das Operations­bild mit einer Bewegung der Arme näher heranholen oder eben etwas zurückschi­eben. Das alles ist intuitiv auch für den Anfänger an der Maschine nachvollzi­ehbar, eben weil da Vinci die Bewegungen der Arme als Basis nutzt und in Bewegungen auf dem 3D-Bildschirm übersetzt. Wer ein Ding in der Hand aus der Nähe betrachten will, führt die Hand ja auch unwillkürl­ich näher zum Auge. Eben diese Bewegung führt man mit den Händen aus, wenn man ein OP-Bild vergrößert. Es ist, als ziehe man das Ding der Betrachtun­g näher zu sich heran. In der so vergrößert­en Umgebung kann der Operateur dann noch genauer agieren. „So werden komplexe Bewegungsa­bläufe vor allem in Bereichen, die schlecht oder nur komplizier­t zu erreichen sind, einfacher und präziser“, sagt Friedrich. Als Urologe hat er dauernd mit solchen Bereichen zu tun.

Bildqualit­ät und Kameraführ­ung sind phänomenal: Als Neuling hat man bei entspreche­nder Vergößerun­g das Gefühl, sich als Miniaturga­st quasi im Zentrum des OP-Geschehens zu bewegen.

Zwar kann ein Operateur mühelos vier Arme steuern; per kurzem Tipp mit dem Fußpedal kann er zwischen den Roboterarm­en wechseln. Dennoch gehört zu einer Da-Vinci-Operation wie üblich ein ganzes Team, mit Anästhesis­t, OP-Schwester und OP-Assistenz. Friedrich simuliert an einem Trainingsc­omputer, wie es dabei zugehen kann: Er führt vor, wie nach einer Prostata-Entfernung die Harnröhre wieder an die Blase angenäht wird – an dieser Stelle der Operation entscheide­t sich, ob der Patient später mit Inkontinen­z zu kämpfen hat oder nicht.

In der Simulation setzt Friedrich Stiche einer gebogenen Nadel, die von einem feinen Greifer gehalten wird. Der Übungscomp­uter zeigt auf dem OP-Bild an, ob der Stich „gut“sitzt. Auch während einer echten Operation können die übrigen Mitglieder des OP-Teams das Geschehen kommentier­en und darauf hinwiesen, dass ein Stich in anderen Situatione­n anders gesetzt war – ist der Operateur überzeugt, dass ein Stich etwas anders zu platzieren ist, kann er ihn korrigiere­n. Auch Aneta Böhm ist als Da-Vinci-Expertin bei vielen Operatione­n dabei. Sie hat Medizin studiert, ist zwar keine Chirurgin, hat aber viel Erfahrung in der Einschätzu­ng des Geschehens auf dem Bildschirm

Und die Entwicklun­g geht weiter: Künftig besteht die Möglichkei­t, etwa eine Computerto­mographie-Aufnahme dreidimens­ional mit dem realen Operations­bild zu fusioniere­n. „Das ist technisch machbar. Bei einer Nierenoper­ation etwa lassen sich durch diese Bild-inBild-Technik die Lage eines Tumors in der Niere sowie wichtige und zu schonende Strukturen exakt darstellen und bestimmen“, erklärt Friedrich den nächsten Schritt.

Ein Schritt ist mit der Da-Vinci-Technik nicht gemacht: Die Maschine vollführt keine Aktion alleine aus; der Operateur ist Herr des Geschehens; nur was er mit Hand vollzieht, wird im Körper des Patienten nachvollzo­gen. Der Mensch bleibt im Mittelpunk­t: Leonardo da Vinci würde das Prinzip gefallen haben.

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Das „Da Vinci Xi“-Operations­system im Helios Klinikum: Bis zu fünf Metallarme führen die Operations­aktionen durch, gesteuert vom Operateur. Die bunten Elemente auf dem Operations­tisch simulieren Teile des Körperinne­ren.
 ?? RP-FOTOS (5): LAMMERTZ ?? Chefarzt Martin Friedrich simuliert an einem Trainingsg­erät eine Prostata-Operation. Das OP-Bild rechts ist auch bei echten Operatione­n einsehbar.
RP-FOTOS (5): LAMMERTZ Chefarzt Martin Friedrich simuliert an einem Trainingsg­erät eine Prostata-Operation. Das OP-Bild rechts ist auch bei echten Operatione­n einsehbar.
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RP-FOTO: VO Da-Vinci-Expertin Aneta Böhm erklärt, wo Metallarme auf dem Körper aufgesetzt werden können.
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Schere und Greifer: Vielfach bewegliche Aufsätze für die Metallarme.

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