Rheinische Post Krefeld Kempen
Die Instrumentalisierung der Garzweiler-Dörfer
Wer gehofft hatte, dass die Leitentscheidung das rheinische Revier befriedet, wurde enttäuscht. Kaum hatte der Wirtschaftsminister Details verkündet, überschwemmte eine Welle der Kritik die Landesregierung. Sie sei Handlanger von RWE, zerstöre Heimat, der Kohleausstieg komme zu spät. Tatsächlich kann man streiten, wie lange man Braunkohle trotz Klimakrise verstromen und Dörfer abbaggern will. Nur: Damit hat sich ausgiebig die Kohlekommission befasst, deren Ausstiegsplan Grüne und Umweltverbände zugestimmt haben. Sich davon nun zu distanzieren, ist verlogen. Vor allem sollten die Kritiker die Leitentscheidung genau lesen, bevor sie reflexhaft neue Proteste ankündigen. Das Land überrascht mit einer Ansage an RWE: Es will dem Konzern Enteignungen nur gestatten, wenn er die fünf Garzweiler-Orte bis zum Schluss stehen lässt. So gewinnt man ein paar Jahre Zeit, sagt Andreas Pinkwart. Tatsächlich öffnet er die Tür dafür, dass die fünf Dörfer am Ende sogar bleiben könnten. 2026 wird der Ausstiegsbeschluss überprüft und über einVorziehen verhandelt. Da RWE sich selbst zum Ökostrom-Konzern verwandelt, dürfte bei entsprechenden Entschädigungen derWiderstand gegen ein noch früheres Aus gering sein.
Wie attraktiv allerdings Orte noch sind, aus denen 80 Prozent der Bevölkerung fortgezogen ist, steht auf einem anderen Blatt. Das zeigt, um was es wirklich geht: Seit RWE den Erhalt des Hambacher Forstes zugesichert hat, haben die Aktivisten ihr Symbol verloren. Auf „Hambi bleibt“folgt „Alle Dörfer bleiben“, auf den Kampf gegen die Kohle der Kampf gegen Gaskraftwerke. Dabei kann Deutschland nicht zugleich aus Atom, Kohle und Gas aussteigen. Es geht den Aktivisten um den Protest an sich. Solche Revolutions-Romantik kann sich ein Industrieland nicht leisten. BERICHT