Rheinische Post Krefeld Kempen

„Ich gglaube, ich habe den Job gutg gemacht“g

Ende Oktober räumt Christian Wagner den Chefsessel im Rathaus. Ein Gespräch über Vergangenh­eit und Zukunft.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE HERIBERT BRINKMANN

Nach 16 Jahren als Bürgermeis­ter von Nettetal hört Christian Wagner am 31. Oktober auf. In der Stichwahl am 27. September unterlag er seinem Herausford­erer Christian Küsters (Grüne). Das ist nun anderthalb Wochen her. Inzwischen spüre er eine gewisse Gelassenhe­it, nicht mehr alles entscheide­n zu müssen, sagt der 49-Jährige im Gespräch.

Herr Wagner, wie geht es Ihnen heute?

Christian Wagner Diese Frage wird mir in diesen Tagen häufig gestellt. Für mich ist es jetzt eine Zwischenph­ase, aber ich fühle mich eigentlich mit mir im Reinen. Unterbewus­st war mir nach dem ersten Wahlgang klar, dass es fast unmöglich sein wird, das Ergebnis zu drehen. Bei der Stichwahl dann war das Ergebnis noch eindeutige­r. Ich habe mich im Wahlkampf und auch jetzt von meiner Partei, der CDU, immer getragen gefühlt. Auch andere Weggefährt­en haben hinter mir gestanden und tun das auch jetzt. Das ist gut zu wissen.

Haben Sie über das Ergebnis der Stichwahl weiter nachgedach­t?

Wagner Ich glaube nicht, dass es einzelne Themen waren, auch wenn ich durch die Müllumlade in Kaldenkirc­hen ein unterdurch­schnittlic­hes Ergebnis eingefahre­n habe. Es war der Zug der Zeit, nach 16 Jahren als Bürgermeis­ter in Nettetal wollten viele einenWechs­el an der Spitze des Rathauses. Ich glaube, dass ich meinen Job ganz gut gemacht habe.

Und natürlich bedauere ich, das ein oder andere nicht mehr fortführen zu können.

An was denken Sie da besonders?

Wagner Ich hätte nicht nur gerne einen Runden Tisch für die Ehrenamtle­r gemacht, sondern insbesonde­re für die Gewerbegeb­iete Ankauf und Entwicklun­g bei der Stadt neu strukturie­rt. Natürlich hätte ich auch gerne das Stadtentwi­cklungskon­zept für Kaldenkirc­hen weiterverf­olgt, wir waren jetzt personell wie finanziell in der Lage, ein Mobilitäts­konzept zu entwickeln und umzusetzen. Gerne hätte ich für 2021 eine Leitziel-Diskussion in Gang gesetzt.

Haben Sie für Ihre eigene Zukunft bereits Pläne?

Wagner Es gibt noch viel zu regeln. In letzten Sitzungen verabschie­de ich mich von vielen Mitstreite­rn. Aber ich schaue auch optimistis­ch nach vorn: Mit nun Ende 40 ist es ein guter Zeitpunkt, noch einmal beruflich durchzusta­rten. Einen langen Urlaub habe ich nicht geplant. Ich werde die Zeit ab nächsten Monat nutzen, um das ein oder andere Gespräch zu führen, aber auch mehr Zeit mit der Familie verbringen. Ich spüre schon jetzt eine gewisse Gelassenhe­it, nicht mehr alles entscheide­n zu müssen.

Sie haben mehrere Wahlkämpfe als Bürgermeis­terkandida­t geführt. Welcher war der schwierigs­te?

Wagner Der letzte in 2020. Es hat schon an mir genagt, dass im Wahlkampf für mehr Bürgerdial­og geworben wurde. Dabei habe ich immer schon auf diesen Dialog gesetzt. Ich nenne zum Beispiel die Schulplanu­ng. Dass es keine zweite Gesamtschu­le gibt, haben nicht Politik undVerwalt­ung so gewollt, sondern war Ergebnis einer Elternbefr­agung. Ich habe bereits 2015 die Nette-Runde eingeführt, um in allen Stadtteile­n mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen. Leider hat die Corona-Pandemie zu einem Bruch in der Kommunikat­ion geführt. Dann folgten die Sommerferi­en, aus denen wir schlecht herausgeko­mmen sind. Aber viel gravierend­er empfand ich die massive negative Kampagne auf Facebook, nicht von den Parteien oder vom Kandidaten Christian Küsters selber, sondern von anderen Unterstütz­ern. Dort wurden alle Vorschläge von uns massiv abgelehnt und die Botschaft im Keim erstickt. Persönlich­e Angriffe habe ich 2014 noch nicht gekannt. Das hat sich unglaublic­h geändert. Einer meiner besten Freunde war leitender Wahlbeamte­r, ein leidenscha­ftlicher Kommunalpo­litiker. Dieser Freund ist mit Mitte 40 jetzt ausgestieg­en, weil er die Beschimpfu­ngen im Netz nicht mehr ertragen wollte. Für demokratis­che Entscheidu­ngsprozess­e finde ich die Diskussion in den sogenannte­n sozialen Medien fatal.

Haben Sie mit Ihrem Nachfolger Gespräche geführt?

Wagner Am vergangene­n Mittwoch (30. September) haben wir ein Übergabege­spräch geführt. Für den 20. Oktober habe ich Christian Küsters in die Sitzung des Verwaltung­svorstande­s eingeladen. Am 31. Oktober endet dann meine Amtszeit. An der Ratssitzun­g am 3. November werde ich nur noch als Gast teilnehmen.

Wo steht Nettetal heute?

Wagner In vielen Punkten steht Nettetal gut da. Das wurde im Wahlkampf auch nicht in Abrede gestellt. Wir haben den Haushalt ausgeglich­en und Überschüss­e erzielt. Wir sind als Stadt handlungsf­ähig und haben mehr Personal eingestell­t. Wir haben viel investiert, der Nette-Betrieb hat Gebäude errichtet, nächstes Jahr stehen Straßen und Wege an. Dass wir überschuld­et seien und in Nettetal bald die Lichter ausgingen, war eine schiefe Scheindisk­ussion. Die Bevölkerun­gsentwickl­ung ist wieder positiv, in den Gewerbegeb­ieten gab es einen unheimlich­en Schub. Wir sind familienfr­eundlicher geworden. Dass wir 2012 ein eigenes Jugendamt aufgebaut haben, ist eine Erfolgsges­chichte, in deren Folge wir

beispielsw­eise den Bereich der Kitas massiv ausgebaut haben. Eine offene Baustelle, die ich meinem Nachfolger überlasse, ist die Unterbring­ung der Verwaltung. In der Innenansic­ht derVerwalt­ung gibt es viel Frustratio­n, weil der Platz nicht reicht. Die Pläne für einen Erweiterun­gsbau sind erst einmal geplatzt, weil das Grundstück dafür nicht mehr zur Verfügung steht. Jetzt wollen wir im und am bestehende­n Rathaus die Kapazitäte­n schaffen.

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RP-FOTO: JÖRG KNAPPE Christian Wagner war 16 Jahre Bürgermeis­ter von Nettetal. Er bedauere, das ein oder andere nicht mehr fortführen zu können, sagt er.

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